Der Schutz kommt zum Schluss

Coronakrise Ein rumänischer Erntehelfer starb am Virus. Ist billiger Spargel in Deutschland zu teuer erkauft?
Ausgabe 17/2020
Spargelernte in Köln
Spargelernte in Köln

Foto: Ina Fassbender/AFP/Getty Images

Mit dem Satz „We stay at home“ loben sich Menschen in Online-Netzwerken wie Twitter derzeit gern selbst. Ja, sie bleiben zu Hause, weil andere für sie die Drecksarbeit machen, möchte man ergänzen. Der Virustod eines rumänischen Landarbeiters auf einem Spargelhof in Baden-Württemberg offenbart nicht nur gravierende Fehler im Management der Corona-Pandemie. Er zeigt auch, wie stark das deutsche Wirtschafts- und Wohlstandsmodell auf den Import billiger Arbeitskraft gebaut ist – und wie wenig wir uns normalerweise darum scheren.

Schlaglichtartig macht das Coronavirus doppelte Standards für den Gesundheitsschutz der einheimischen Bevölkerung und ausländischer Saisonarbeitskräfte sichtbar. Aber diese doppelten Standards sind kein Versäumnis – nein, sie liegen in der Logik des Systems, das einen Großteil des Wohlstands der Bundesrepublik Deutschland ausmacht.

Der 57-jährige Erntehelfer war am Osterwochenende tot in einer Saisonarbeiterunterkunft aufgefunden worden. Er war offenbar erst in Deutschland erkrankt und hatte Symptome einer Atemwegsinfektion gezeigt. Auf Corona getestet wurde er jedoch erst, als er schon tot war. Inzwischen gibt es auf dem Hof einen weiteren bestätigten Fall von Covid-19.

Die Behörden versichern, das Unternehmen habe die Vorschriften eingehalten. Es gibt keinen Grund, das anzuzweifeln. Aber vielleicht sind ja die Vorschriften das Problem? Nachdem am 25. März zunächst ein Einreisestopp für Erntehelfer verhängt worden war, einigten sich eine Woche später das Bundesinnen- und das Bundeslandwirtschaftsministerium – beide CSU-geführt – auf eine Sonderregelung, mit der bis Ende Mai nun doch 80.000 osteuropäische Arbeitskräfte ins Land geholt werden sollen. Das SPD-geführte Bundesarbeitsministerium wurde nicht gefragt.

Das Konzept setzt klare Prioritäten: Die Ernte muss vom Feld, und die einheimische Bevölkerung muss geschützt werden. Der Schutz der Erntehelfer kommt zum Schluss. Hermetisch abgeschirmt dürfen bis zu 20 Personen in einer Unterkunft wohnen. Für die Anreise wurden Charterflüge organisiert, die Landwirtschaftsbetriebe übernehmen die Kosten. Für die Rückreise gibt es keine Regelung. Völlig unklar ist, was passiert, wenn jemand seinen Einsatz abbrechen muss.

Vertragsbeschäftigte bei Bedarf auf Zeit ins Land zu holen, hat Tradition in Deutschland. In Zeiten der Pandemie ist dieses Modell der kasernenartigen Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften und des eingeschränkten Zugangs zum deutschen Gesundheitssystem eine tickende Zeitbombe. Mindestens 90 Infizierte bestätigte das Gesundheitsamt vergangene Woche unter den Beschäftigten einer Fleischfabrik bei Pforzheim in Baden-Württemberg – die meisten von ihnen Saisonarbeiter.

Geht es also um ein Inländer-Ausländer-Problem? Jedenfalls nicht nur. Billiger Spargel, billiges Bauen, billige Lkw-Transporte, billige Altenpflege: Das gedankenloses Ausnutzen sehr schlecht bezahlter Arbeitskraft ist Teil unseres Lebensstils und fragt nicht nach Wohnsitz und Staatsbürgerschaft. Jeder fünfte inländische Beschäftigte arbeitet im Niedriglohnsektor. Trotzdem zierten sich CDU und CSU als Teil der Bundesregierung bis zuletzt, das Kurzarbeitergeld zu erhöhen. Wenn das System jetzt ins Stocken gerät, werden wir gezwungen, darüber nachzudenken: Wollen wir wirklich so leben – bedient von einem schlecht bezahlten Dienstleistungsproletariat?

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