Bis vor kurzem war ihr Name in der Öffentlichkeit nahezu unbekannt, seit Ende April ist sie wohl die mächtigste ehrenamtliche Gewerkschaftsfunktionärin der Welt: Daniela Cavallo, 46 Jahre alt, IG-Metall-Mitglied, hat den Vorsitz des „Gesamt- und Konzernbetriebsrats“ der Volkswagen AG übernommen. Sie löst Bernd Osterloh ab, der als Personalchef zur VW-Nutzfahrzeugtochter Traton wechselte.
Daniela Cavallo ist in Wolfsburg als Kind italienischer Eltern aufgewachsen, ihr Vater gehörte mit zu den ersten „Gastarbeitern“, die die Wirtschaftswunder-BRD damals an der Südperipherie Europas anwarb. Nach erfolgreichem Abitur begann sie 1994 eine Lehre als Bürokauffrau bei VW, engagierte sich bei der Jugend- und Auszubildendenvertretung, qualifizierte sich weiter zur Betriebswirtin. 2002 wurde sie in den Betriebsrat der ein Jahr zuvor gegründeten VW-Tochter „Auto 5000“ gewählt.
Im „Auto 5000“-Projekt – eine Idee des damaligen VW-Personalchefs Peter Hartz – wurden zum ersten Mal innerhalb des Konzerns in großem Maßstab Beschäftigte zu Bedingungen unterhalb des VW-Haustarifvertrags eingestellt: 5.000 Erwerbslose sollten für 5.000 D-Mark brutto und bei längerer Arbeitszeit als sonst im Betrieb üblich den Touran montieren. 2004 und 2008 unterbrach Cavallo ihre Betriebsratstätigkeit für eine Elternzeit. Ihrer Karriere im Betriebsrat hat das nicht geschadet. Das war damals noch nicht so normal wie heute – nicht bei VW, nicht bei Betriebsräten und auch nicht in der IG-Metall-Welt. Seit 2013 ist Daniela Cavallo Mitglied im VW-Gesamtbetriebsrat, 2019 wurde sie zur Stellvertreterin von Bernd Osterloh gewählt – jenem Mann, der 16 Jahre an der Spitze der Beschäftigtenvertretung von VW stand und als Cavallos politischer Mentor gilt.
Dass nun eine Frau und zweifache Mutter, Tochter einer „Gastarbeiter“-Familie, den Vorsitz des Betriebsrates des weltgrößten Autokonzerns übernimmt, ist ein ermutigendes Beispiel dafür, wie sich Veränderungen in der Arbeitswelt nach ein paar Jahren auch in den repräsentativen Gremien an der Spitze niederschlagen. Daniela Cavallo hat sich in der Männerwelt behaupten müssen; es liegt auf der Hand, dass sie mit ihrer persönlichen Geschichte eine besondere Sensibilität für die Anliegen von arbeitenden Frauen und von Menschen mit Migrationshintergrund mitbringt. Der Unternehmenskultur bei VW kann das nur zuträglich sein.
Ob ihr Aufstieg im Jahr 2021 nun immer noch eine kleine Kulturrevolution oder längst schon eine Selbstverständlichkeit ist, kommt auf die Perspektive an. Gewerkschaftspolitisch steht Cavallo jedenfalls ganz in der Tradition ihres Vorgängers Osterloh. Daran lässt sie im Interview mit dem IGM-Mitgliederblatt metallzeitung keinen Zweifel. Auf die Frage „Bricht eine neue Ära an?“ sagt sie: „Klares Nein, weder bei uns im Betriebsrat noch im gesamten Unternehmen.“
Bemerkenswert ist, dass sie das Projekt „Auto 5000“ immer noch als Erfolgsgeschichte wertet, weil die Tochterfirma „am Ende“ in VW aufging und die Belegschaft „damit in den Haustarif“ kam. Abgesehen vom glücklichen Ende, das keineswegs ausgemacht war, sieht das nicht jeder so bei VW. Andere würden sagen, man kann sich die Dinge hinterher auch schönreden.
„Mit mir als neuer Vorsitzender gibt es (...) keine Zeitenwende“, unterstreicht Cavallo in der metallzeitung. Für alle, die das Modell VW mit seiner starken Mitbestimmung, den hohen tariflichen Standards und der ausgeprägten Verquickung von Beschäftigtenvertretung und Management als Erfolgsmodell sehen, ist das eine gute Nachricht.
Spannend wird allerdings sein, ob dieses stromlinienförmige Konzept von „Sozialpartnerschaft“ über die künftigen Erschütterungen hinweg halten wird, die VW im Zuge der „Transformation“ der Automobilindustrie bevorstehen. Insider beschreiben die Stimmung an allen VW-Standorten als „mies“, wofür es viele Gründe gibt. Jedenfalls übernimmt Daniela Cavallo den Vorsitz in einer schwierigen Zeit.
Abgesehen von der Großbaustelle „E-Mobilität“ steht eine ganze Reihe von Problemen ins Haus. Im Herbst wird das Landgericht Braunschweig erneut über den Verdacht der Untreue im Zusammenhang mit womöglich überhöhten Betriebsratsvergütungen bei VW verhandeln. Osterlohs überraschenden Rückzug vom Frühjahr sehen in diesem Zusammenhang nicht wenige als Flucht. Angeklagt ist Osterloh zwar nicht, aber unangenehme Diskussionen in der Öffentlichkeit hätten sich für ihn, der zeitweise ein Jahresentgelt von 750.000 Euro erhielt, zweifellos ergeben. Von solchen Einkünften ist Cavallo, die nach eigener Aussage aktuell eine Festvergütung von 100.000 Euro im Jahr plus einen fünfstelligen Bonus-Betrag bekommt, weit entfernt. Trotzdem hält sie die Dreiviertelmillion ihres Vorgängers im Amt für „vermittelbar“.
Bonuszahlungen dürften auch eines der Themen werden, die bei den Betriebsratswahlen 2022 eine Rolle spielen: Viele Angestellte haben Vergütungsmodelle, bei denen ein Teil des Einkommens an Managerboni gekoppelt ist. Die sind aber im Zuge von Dieselgate arg geschrumpft. Nun grummelt es in dieser Beschäftigtengruppe, ansatzweise formiert sich unter dem Label „Meinungskompass“ so etwas wie eine schwer greifbare Opposition.
Cavallos Vorgänger Osterloh charakterisiert sie als „führungsstark“, das wird sie mit Sicherheit brauchen. Denn die Arbeitermacht bei VW ist zu einem Gutteil nur geliehen. So hängt die mächtigste Arbeitnehmervertretung der Welt letztlich doch vom „goodwill“ des Managements ab. Daran wird sich auch mit Daniela Cavallo nichts ändern.
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