Lernen von der AfD

Demagogie Was macht die Rechtspopulisten für viele attraktiv? Fabian Stepanek findet Argumente, die nicht jedem gefallen dürften
Ausgabe 31/2017

An Entlarvungsbüchern über die AfD herrscht kein Mangel. Justizminister Heiko Maas hat eines geschrieben, Marcus Bensmann vom Recherchezentrum Correctiv hat ein Schwarzbuch AfD vorgelegt. In der nächsten Woche erscheint Populismus für Anfänger von Walter Ötsch und Nina Horaczek, ein Buch, bei dem das Entlarven der „Tricks und Täuschungsmanöver der rechten Demagogen“ schon mit dem Klappentext beginnt.

Nicht in die Kategorie fällt ein kürzlich erschienenes Buch des Berliner Politikjournalisten Fabian Stepanek. Allein der Titel dürfte bei manchem den Blutdruck steigen lassen: Wo die AfD recht hat ... und warum sie trotzdem Brandstifter sind. Können rechte Populisten – mit irgendetwas – recht haben? Dürfen die das überhaupt? Macht man sie nicht „salonfähig“, wenn man sich auf eine inhaltliche Diskussion mit ihnen einlässt? Salon hin oder her, das ist jedenfalls nicht das vordergründige Problem dieses Autors. Im Gegenteil: Gerade Linke und Demokraten sollten sich inhaltlich mit der AfD auseinandersetzen. Es reicht nicht, sie zu „entlarven“ und „auszugrenzen“ – mal davon abgesehen, dass solche Spielchen bei einer Partei , die sich dauerhaft oberhalb der Fünfprozenthürde stabilisiert hat, praktisch ohnehin nicht funktionieren und einfach nur albern sind.

Vermeintlich alternativlos

Stepanek vermeidet zwei Fallstricke, in denen sich viele verheddern. Rassismus, Demokratiefeindlichkeit und Aversionen gegen „die Moderne“ einerseits und soziale Abstiegsängste andererseits taugen jeweils für sich genommen nicht als Erklärungsmodelle für den Aufstieg der AfD. So eindimensional ist die Sache nicht. Klar: Von all dem ist etwas dabei, aber die spannende Frage bleibt: Wie genau sind die Dinge miteinander verschränkt?

Die These des Autors lautet, vereinfacht gesagt: Die AfD gibt überwiegend falsche Antworten auf teilweise richtige Fragen. Ihre Programmatik ist menschenverachtend, reaktionär, mindestens „partiell auch gegen den Grundwertekanon einer demokratisch verfassten Gesellschaft“ gerichtet – „falsch“ also vom Standpunkt des Autors, der erkennbar links, aber frei von Ideologiehuberei ist. Die AfD hat aber recht, wenn sie konstatiert, dass die großen Volksparteien CDU und SPD „in vielen Fragen kaum noch unterscheidbar“ sind. Das „System Merkel“ als „Machtkartell von informellen und ökonomischen Eliten“ zu beschreiben, „eng verzahnt mit den großen Medien“, ist gewiss nicht weit hergeholt. So unschön es ist, dass der verbreitete Unmut gegen die vermeintliche Alternativlosigkeit heute überwiegend den Rechten hilft: Dadurch wird das Unbehagen noch nicht illegitim.

Knapp und prägnant skizziert Stepanek die Entstehungsgeschichte der Partei, zieht Vergleiche zu den ehemaligen Protestparteien Grüne, Piraten und Linke, analysiert Parteibasis und Wählerwanderungen. Dabei fällt auf, dass die AfD entgegen verbreiteten Stereotypen weder eine Partei der wirtschaftlich Abgehängten noch der Ungebildeten ist. Erstaunlich auch, dass die AfD einen vergleichsweise hohen Wählerzulauf aus dem Lager der ehemaligen Piraten verbuchen kann – ein meist übersehenes Detail, das aber nur allzu erklärlich wird, wenn man die AfD eben auch als Protestpartei gegen eine ausgehöhlte „Postdemokratie“ versteht.

Das Verstehen, um das es dem Autor geht, ist offenkundig etwas ganz anderes als Verständnis. Es geht nicht um Entschuldigungen, sondern Erklärung. Unter den Faktoren, die den Aufstieg des Rechtspopulismus befeuerten, nennt er an vorderster Stelle die Transformation der Sozialdemokratie in eine neoliberale Reformpartei und – eng damit verwoben – die „soziokulturelle Ausgrenzung“ breiter Bevölkerungskreise. Dabei nur an Hartz IV zu denken, greift zu kurz, so Stepanek: Der gesellschaftliche Riss, für den die rot-grüne Bundesregierung um die Jahrtausendwende gesellschaftspolitisch die Weichen stellte, finde heute vielfach seine Entsprechung in der „Arroganz und Ignoranz der ‚postmodernen‘, intellektuellen Linken gegenüber den ‚ungebildeten‘ und ‚rückständigen‘ Schichten der Bevölkerung“.

Für Leute, die glauben, dass man das Phänomen Rechtspopulismus verstehen muss, um es zu bekämpfen, ist Stepaneks Buch rundum lesenswert. Der Autor begnügt sich nicht damit, die Demagogie in den zentralen politischen Aussagen der Partei aufzuzeigen, sondern er fokussiert den Blick auf die realen Probleme dahinter. Warum verfängt diese Demagogie in einem so großen Maße? Was ist dran an den Vorwürfen gegen politische Oligarchie, Parteienstaat, „Lügenpresse“, EU und Globalisierung, an der Gefahr durch islamistischen Fundamentalismus? Fragen, die von der AfD auch deshalb in politischen Treibstoff verwandelt werden konnten, weil sie von den Linken in den letzten Jahren kaum oder zu zaghaft gestellt wurden. Unaufgeregt klopft Stepanek die von der Partei aufgeworfenen Themen auf ihren sachlichen Gehalt ab und kommt zu dem Schluss: Die AfD stellt „alle Menschen, die ihr enges, teilweise reaktionäres und extrem nationalistisches Weltbild nicht oder nicht in Gänze teilen, vor eine wichtige Aufgabe: Wie schaffen wir es, einen vernünftigen, offenen Diskurs über die drängenden gesellschaftlichen Gegenwarts- und Zukunftsprobleme Deutschlands in Gang zu bringen?“ Auf Gedeih und Verderb zwinge uns die AfD, diese Aufgabe zu lösen.

Info

Wo die AfD recht hat ... und warum sie trotzdem Brandstifter sind Fabian Stepanek Gemini 2017, 128 S., 9,99 €

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