Rechts vom Fließband

Gewerkschaft Bei Daimler im Stammwerk sitzen Rechte im Betriebsrat, die migrantische Kollegen und die IG Metall attackieren
Ausgabe 32/2019

Sind Rechtsextremisten in der Industrie-Arbeiterschaft auf dem Vormarsch? Gut ein Jahr nach den Betriebsratswahlen 2018 stellt sich die Frage erneut. Mitte Juli kam es vor dem Tor des Daimler-Werks in Mettingen bei Stuttgart zu einer lautstarken verbalen Auseinandersetzung zwischen Anhängern der rechtsradikalen Gruppierung „Zentrum Automobil“ (ZA) und IG Metallern. Anlass war eine Flugblattaktion, mit der das „Zentrum Automobil“ für seinen Anfang Juli im Netz veröffentlichten 35-minütigen Film Der Vertrauensmann Reklame machte.

Der professionell gemachte Film erzählt die Geschichte von zwei ehemaligen Daimler-Beschäftigten aus dem Stammwerk Untertürkheim, zu dem auch Mettingen gehört. Timo W. und Joachim S. war im vorigen Jahr gekündigt worden, weil sie einem türkischstämmigen Kollegen monatelang rassistische Whatsapp-Nachrichten und Videos geschickt hatten. Nachdem sie ihre Beleidigungen auch auf die Familie des Kollegen ausdehnten, informierte dieser die Personalabteilung. Das Unternehmen leitete eine Untersuchung ein und kündigte den beiden im Juni 2018 fristlos.

Im vom „Zentrum Automobil“ produzierten Film werden die beiden Gekündigten als Opfer einer Intrige präsentiert: Der türkische Kollege – zufällig ein Vertrauensmann der IG Metall – habe sie selbst aufgefordert, ihnen die rassistischen Memes und Videos zu senden: „Kannst du mir das mal schicken, das will ich haben. Ich hab das ja auch nur von irgendwelchen Leuten zugeschickt bekommen“, erzählt der eine Hauptdarsteller. „Sonst hätte ich das doch niemals gemacht!“, beteuert der andere. Eine Schutzbehauptung und „völlig fernliegend“, so die Einschätzung des Arbeitsgerichts Stuttgart, das die Kündigung im November für rechtens erklärte. Der „Dokumentarfilm“, wie das „Zentrum“ den Streifen nennt, setzt dagegen auf Emotionalisierung: Als „tierlieb“ wird der eine Protagonist porträtiert, als „selbstmordgefährdet“ der andere – rührselig, manipulativ, wirkungsvoll.

Natürlich geht es nicht um Aufklärung, sondern um die Präsentation „alternativer Fakten“, eines eigenen Narrativs, das auf perfide Weise an Ressentiments und Frustrationen anknüpft. „Linke Gewerkschaften und internationale Großkonzerne“ arbeiten in dieser Erzählung Hand in Hand, um systematisch die Interessen der „einfachen Arbeiter“ zu verraten. „700 IG-Metall-Vertrauensleute drücken die politische Agenda von Betriebsrat und Vorstand durch“, erklärt ZA-Chef Oliver Hilburger im Film. „Sie sind die politischen Fußtruppen eines durch und durch korrupten Systems.“

„Eine ganz gezielte Inszenierung“, so das Urteil des baden-württembergischen IG-Metall-Bezirksleiters Roman Zitzelsberger. „Da wird gelogen, dass sich die Balken biegen“, sagte er im ARD-Magazin Report Mainz und bekräftigte: „Wer hetzt, fliegt. Das gilt auch weiterhin.“

Reise nach Görlitz

Der Film Der Vertrauensmann ist das PR-Vorzeigeprojekt des 2009 gegründeten „Zentrum Automobil“, das sich selbst als „unabhängige Gewerkschaft“ in „Opposition zu den gekauften Einheitsgewerkschaften“ sieht. Eine merkwürdige „Gewerkschaft“, die seit zehn Jahren weder Arbeitskämpfe geführt noch Tarifverträge geschlossen hat. Auffällig ist, dass trotz flotter Sprüche gegen „Finanzkapital“, „Globalisierung“ und „Großkonzerne“ der konkrete Hauptfeind immer die IG Metall ist.

Ein paar Jahre zuvor hatte ihr Gründer Hilburger noch für die „Christliche Gewerkschaft Metall“ (CGM) im Betriebsrat gesessen, eine Organisation, die seit langem hier und da durch arbeitgeberfreundliche Unterbietungstarifverträge der IG Metall Konkurrenz zu machen versuchte. Als 2007/08 linke IG Metaller bekannt machten, dass Hilburger seit Jahren als Gitarrist der Rechtsrock-Band Noie Werte aktiv war, deren Musik der NSU zur musikalischen Unterlegung eines Bekennervideos nutzte, wurde er für die CGM untragbar. 2010 zog er als einer von zwei Vertretern seines neuen Vereins ZA in den Betriebsrat ein. Vier Jahre später konnte die rechte Truppe ihr Ergebnis auf vier Sitze steigern. Rückenwind brachte der Einzug der AfD in den Bundestag: Bei den Betriebsratswahlen 2018 konnte das ZA sechs Sitze in Untertürkheim, zwei in Sindelfingen und drei in Rastatt gewinnen.

Um die Relation klarzumachen: Von 755 Betriebsratsmitgliedern bei Daimler stellen die Rechten seitdem elf. Ein Durchbruch sieht anders aus. Ernst nehmen muss man das Potenzial dennoch: 1.844 Beschäftigte hatten im Daimler-Stammwerk Untertürkheim für die ultrarechte Betriebsorganisation gestimmt, die damit auf 13,2 Prozent der abgegebenen Stimmen kam. Wichtiger noch: 187 Kandidaten (hauptsächlich Männer) hatten sich auf ihrer Liste zur Wahl gestellt. Dies zeigt, dass es zumindest in Untertürkheim eine Basis und so etwas wie einen „harten Kern“ gibt.

2018 war auch das Jahr, in dem das „Zentrum“ seine Öffentlichkeitsarbeit professionalisierte. Gemeinsam mit der rechten PR-Agentur „Ein Prozent“, einer Initiative von Aktivisten der Identitären Bewegung, wurde die Kampagne „Werde Betriebsrat“ lanciert. Als im Januar 7.000 Menschen in Görlitz gegen die drohende Schließung der dortigen Werke von Bombardier und Siemens protestierten, reiste Hilburger mit einer Handvoll Getreuer aus dem Schwabenland an. Zwar verwehrte der IG-Metall-Ordnerdienst den ZA-Leuten die Teilnahme an der Demonstration. Dass Hilburger und seine Medienleute eine Propaganda-Show für ihre Youtube- und Facebook-Kanäle produzierten, konnte er aber nicht verhindern. Der Film Der Vertrauensmann ist das jüngste Beispiel dieser ideologischen Schlacht. Deutlich wird: Die Szene hat Medienprofis und finanzstarke Hintermänner. Trotz aller Anstrengungen ist das „Zentrum Automobil“ außerhalb des Daimler-Konzerns bislang schwach: Es soll „Betriebsgruppen“ bei BMW und Porsche in Leipzig geben, das war es dann wohl.

Entwarnung also? Auf keinen Fall. Vor dem Hintergrund der rauen Zeiten, die auf die Automobilindustrie zukommen – Stichworte: Elektromobilität und „Transformation“ –, ist das Potenzial der Rechten in der Branche längst nicht ausgereizt. Jedenfalls muss die IG Metall aufpassen. „Im Betrieb treten die ‚Zentrums‘-Leute als ‚Kümmerer‘ auf“, sagt ein Vertrauensmann aus Untertürkheim. „Sie erreichen zwar nichts, aber sie gehen im Betrieb auf die Beschäftigten zu, haken ein, wo wir Fehler machen. Wir dagegen werden von vielen nur als die wahrgenommen, die in Ausschüssen und Gremien sitzen.“

Angst vor dem Jobverlust

So Anfang Juli, als bei einer Betriebsversammlung in Untertürkheim ZA-Vertreter der IG Metall vorwarfen, dem „Elektrowahn“ hinterherzuhecheln und mitverantwortlich für drohenden Arbeitsplatzabbau zu sein. Sicher: ein Zerrbild der tatsächlichen Linie der IG Metall, die erst Ende Juni mit 50.000 Demonstrierenden in Berlin deutlich machte, dass sie für eine „faire Transformation“ eintritt und verhindern will, dass die Automobilkonzerne die Lasten ihrer Neuausrichtung einseitig den Beschäftigten aufbürden. Aber in verunsicherten Belegschaften, zumindest in Teilen, die den Klimawandel ohnehin für eine „grüne“ Propaganda-Erfindung halten, kann so etwas durchaus verfangen.

Wenn sich die Rechten im Betrieb als „Kümmerer“ inszenieren und IG Metaller als diejenigen wahrgenommen werden, die in Gremien sitzen und über Arbeitsplatzabbau verhandeln, sollten die Alarmleuchten blinken, vor allem in Zeiten, in denen die AfD bei Wahlen bei Gewerkschaftsmitgliedern regelmäßig leicht überdurchschnittlich abschneidet, zuletzt mit 13 Prozent bei den EU-Wahlen. Will die IG Metall nicht in naher Zukunft nur noch als Teil des Establishments wahrgenommen werden, muss sie ihre eigene Erzählung dagegensetzen, und zwar als gelebte Realität in den Betrieben. „Mehr Konflikt und mehr Beteiligung wagen“ wäre die passende Headline. Erfahrungen und Ansätze dafür gibt es zur Genüge – nicht zuletzt in Baden-Württemberg, wo die IG Metall vor vier Jahren eine strategische Wende zur „Organizing-Gewerkschaft“ eingeleitet hat (der Freitag 30/2018). Auf Menschen zugehen und ihnen ein konkretes Angebot machen, den Zumutungen des globalen Kapitalismus und der Rechten die eigene Klassensolidarität entgegenstellen, das braucht es heute in großem Maßstab. Die Weichen dafür müssen jetzt gestellt werden: Der Gewerkschaftstag der IG Metall im Oktober bietet die Chance.

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