Kein Kreuz, keine Kerzen, keine Heiligenbilder, dafür übersetzen Helfer die Predigt simultan in 15 Sprachen. Die Gottesdienste in der Biblischen Glaubens-Gemeinde, kurz BGG, haben wenig mit dem zu tun, was man aus den Amtskirchen kennt: Statt in dunklen Gemäuern an jahrhundertealten Melodien zu scheitern, schwelgt man hier sonntags im Wohlfühl-Pop, nur wenige Minuten vom S-Bahnhof Stuttgart-Feuerbach entfernt, in einer 20 Meter hohen Halle aus Glas und Metall.
Der „Lobpreis“ ist in den gut zweistündigen „Celebration-Gottesdiensten“ eine zentrale Größe: Fast die Hälfte der Zeit verbringt der Gottesdienstbesucher in musikalischer Harmonie, unterstützt durch einen Chor und eine fünfköpfige Band. Statt in dünnblättrige Bücher, geht sein Blick nach oben, wo über dem Schlagzeug, die Texte an die Wand geworfen werden. Die Musiker machen ihre Sache professionell, fast ein wenig cool. Nur selten merkt man ihnen an, was für ein Gefühl das sein muss, vor einem leidenschaftlich singenden Publikum Glaubenshymnen zu spielen. Dabei ist die Kraft dieses gemeinsamen Singens auch für einen Außenstehenden geradezu physisch spürbar.
Grenzenloser Glaube
Die Annahme, grenzenloser Gottesglaube spiele in Deutschland keine Rolle mehr, ist ein Irrtum. Außerhalb der großen Landeskirchen entstehen christliche Parallelwelten, die radikale Frömmigkeit mit modernem Entertainment verbinden. Obwohl sie in Fußgängerzonen missionieren und für jeden frei zugänglich sind, ist das Wissen über diese Glaubensformen oft gering. Laut der Apostelgeschichte hat Gott seinen Geist an Pfingsten auf seine Jünger ausgeschüttet. In die womöglich größte Freikirche Deutschlands kommen jedes Wochenende mehr als 4000 Besucher, um diesen Geist am eigenen Leib zu spüren.
Der Großteil des Publikums ist adrett gekleidet und macht den Eindruck, in soliden Arbeitsverhältnissen zu stehen. Die Männer tragen Kurzhaarschnitt und randlose Brillen, die Frauen flache Absätze und unaufdringliches Make-Up. Es sind viele Jugendliche da, die sich nur durch vereinzelte T-Shirt-Aufschriften wie „Salvation“ oder „Geist ist Geil“ von anderen unterscheiden. Eine Gruppe Studenten wippt eher zaghaft im Rhythmus von „God, He Reigns“, den Text können sie auswendig. Eine von ihnen lächelt mit geschlossenen Augen, als würde ihr jemand Zärtlichkeiten ins Ohr flüstern. Hin und wieder singt sie leise mit, die Hände ausgebreitet. Überhaupt spielen die Hände eine große Rolle: Viele strecken sie zur Decke oder halten sie mit geöffneten Handflächen vor sich hin. Ein gleichmäßig gebräunter Mann singt gestenreich mit. Immer wieder ruft er „Ja, Herr!“ und streckt die Faust nach oben, so dass ihm die Uhr vom Handgelenk auf den Unterarm rutscht.
„Jesus ist für Buchhaltung“
„Es gehen vor allem junge Leute dort hin, die fühlen sich in ihren kulturellen Ausdrucksformen ernst genommen”, sagt die evangelische Pfarrerin Annette Kick, „das ist gerade die Klientel, die bei uns vernachlässigt wurde.” Kick ist seit mehr als acht Jahren Weltanschauungsbeauftragte der evangelischen Landeskirche in Württemberg. Über die BGG sagt sie: „Die äußere Form ist modern, aber die Inhalte sind anti-modern.“ Zwar stelle sich die Gemeinde nach außen hin als „ganz normale evangelische Gemeinde“ dar. Aber nach innen sei es eine Pfingstgemeinde, das heißt es werde besonders auf die Erfahrung mit dem Heiligen Geist wert gelegt. Im Vordergrund des Gottesdienstes stünden die so genannten Geistesgaben: Prophetie, Heilung und die Zungenrede, Gebet in einer für den Betenden fremden Sprache. Innerhalb eines dualistischen Weltbildes würden, sagt Kick, „Krankheiten, psychische Leiden und Armut häufig auf dämonische Einflüsse zurückgeführt, die durch Gottes Kraft bezwingbar seien.”
Im Gottesdienst in Stuttgart-Feuerbach geht es aber erst einmal ganz bodenständig zu. Bevor der Prediger auftaucht, werden die Neuigkeiten des Gemeindelebens in merklich schwäbischem Akzent bekannt gemacht. Die Stimmung ist gut, man ist per Du. Nach ein paar Späßen und nachdem die Wichtigkeit der Opfergaben betont wurde, gehen blaue Eimerchen durch die Reihen, für jede Reihe einen.
Mit Absicht wird im Vorfeld nicht verraten, ob Peter Wenz predigen wird oder jemand anderes. Aber Wenz predigt heute. Im strahlend gelben Hemd betritt er die Bühne und schlagartig ist etwas anders.
Aufsichtsrat und Direktor in einem
Wäre die BGG eine Aktiengesellschaft, Peter Wenz wäre Aufsichtsrat-Vorsitzender und Generaldirektor in einem. Statt wie geplant bei der Bundeswehr Medizin zu studieren, hatte der 20 Jahre alte Wenz nach „einer persönlichen Erfahrung mit dem Heiligen Geist“ beschlossen, Pastor zu werden. Sechs Jahre später beginnt er seine Arbeit in Bad Canstatt, in einer Gemeinde mit 100 Mitgliedern, Tendenz fallend. Innerhalb von zwei Jahren verdoppeln sich die Mitgliederzahlen und die Gemeinde muss in immer größere Hallen ausweichen – was auch die nächsten 15 Jahre so bleibt. 2001 wird schließlich das „Gospel-Forum“ eingeweiht, ein Gebäudekomplex mit rund zehntausend Quadratmetern Fläche, der außer der Halle für Gottesdienste auch eine Kindertagesstätte, eine Musikschule, Sportanlagen, einen Jugendclub und Seminarräume beherbergt. Heute hat die Gemeinde nach eigenen Angaben etwa 3000 erwachsene Mitglieder, neben 1500 Kindern und Jugendlichen. „Nicht alte Traditionen“, erklärt Wenz selbst diesen Erfolg, „sondern die erlebbare Nähe Gottes zieht Menschen an.“
Insgesamt steht er an diesem Sonntag mehr als eine Stunde auf der Bühne, aber niemand langweilt sich: Viele schreiben mit, jede Pointe kommt an und in den lächelnden Gesichtern ist Bewunderung zu lesen. Wenz zitiert mehr als ein Dutzend Stellen aus dem Neuen Testament, aber nie mehr als ein bis zwei Verse. Seine Sprache ist einfach, manchmal fast kindlich. Die Bibelverse paraphrasiert er in umgangssprachlichem Ton, bevor er sie mit Alltagserfahrungen in Beziehung setzt: „Ihr Lieben, Gott ist hingegangen, uns eine Wohnung zu bereiten! Und die ist besser als dein Häusle hier im Schwäbischen. Wobei ich dir das gönne.“ Regelmäßig fordert Wenz das Publikum auf: „Wer’s glaubt, sagt Amen“. Und alle sagen Amen.
Die heutige Predigt trägt den Titel: „Jesus und das liebe Geld”. Dabei geht es viel um Praktisches. „Jesus ist für Buchhaltung“, sagt Wenz. Und: „Wenn wir es ernst meinen mit dem Bezahlen von Steuern, wird Gott zum Teil übernatürlich dafür sorgen, dass wir das Geld auch bekommen.“ Obwohl Wenz betont, er halte „keine Opferrede heute“, weist er wiederholt darauf hin, dass „die Gemeinde finanzielle Unterstützung braucht“ und dass, wer reichlich sät, auch reichlich ernten werde. Kurz vor den Fürbitten hält Peter Wenz einen Moment inne. „Mir kommt gerade etwas, das war nicht vorgesehen, ein Impuls“: Er bittet die Ordner, nach dem Gebet, die blauen Eimerchen für ein zweites Opfer herumgehen zu lassen, falls jemand „nach dieser Predigt etwas für das Reich Gottes geben wolle“.
Gesellschaftspolitisch gewinnt die BGG an Einfluss. Peter Wenz rühmt sich, einen guten Kontakt zum Stuttgarter Oberbürgermeister Wolfgang Schuster zu haben. Der Finanzbürgermeister und Stadträte der CDU werden regelmäßig im Gottesdienst gesehen. Von den sozialen Engagements werden besonders die internationalen Hilfsprojekte und die stationäre Therapieeinrichtung für Drogenkranke „Weg zur Freiheit“ hervorgehoben.
Annette Kick sagt dazu: „Ich bekomme natürlich nicht mit, wem es auf Dauer hilft, aber aus meiner Sicht wird oft einfach eine Abhängigkeit durch eine andere eingetauscht. Gerade in der Seelsorge erzeugt Peter Wenz eine starke Abhängigkeit von seiner Person.“ Aus ihrer eigenen Seelsorge, in der Kick seit Jahren Aussteiger betreut, könne sie zahlreiche Belege nennen. Beispielsweise eine Frau, die bei Wenz persönlich in Seelsorge gewesen und krank geworden sei. „Diese Frau ist sicher nie in psychiatrischer Behandlung gewesen. Und hinterher war sie psychotisch. Sie hat ein ganz extremes Abhängigkeitsverhältnis entwickelt.“
Den Grund dafür sieht Kick in Wenz’ Selbstverständnis: „Bei seinen Eindrücken, Visionen und Worten behauptet er, dass sie direkt von Gott seien.“ Zudem nehme er für sich in Anspruch, Dämonen zu erkennen. Der Dämonenglaube aber sei gerade für psychisch angeschlagene Menschen gefährlich: „Wenn in Belastungssituationen die alten Muster aufbrechen, heißt es: ,Warum hast du den Dämon wieder zugelassen?‘ Die Leute sind dann auch noch Schuld an ihrem Leid.“
Applaus für Gott
Auf sein Selbstverständnis angesprochen, redet Peter Wenz nicht von Dämonen, sondern zitiert Goethes „die Geister, die ich rief“. Er habe festgestellt, „dass es nur einen gibt, der einem hilft, solche negativen Kräfte im Leben loszuwerden, weil er einfach stärker ist als sie und das ist Jesus Christus.“ Auch er, Peter Wenz, erlebe immer wieder, dass der Heilige Geist ihm Dinge zeige, die man mit dem menschlichen Verstand nicht ergründen könne. In seiner Gemeinde gebe es viele, zum Teil ärztlich beglaubigte Wunder. „Diese passieren, wenn wir für Menschen – genau wie es Jesus seine Jünger gelehrt hat – beten, ihnen die Hände auflegen und sie segnen.“
Jede Woche bekomme er zahlreiche Berichte wie den folgenden: „Wir hörten eine CD von Dir und als Du dann sagtest, dass man seine Hände auflegen soll, wo die Schmerzen sind, ist mein Mann geheilt worden. Er hat seit circa einem halben Jahr einen Bandscheibenvorfall und starke Schmerzen, ging ganz krumm und keine Schmerztherapie hat ihm geholfen. Er läuft nun ganz gerade und die Schmerzen sind weg. Wir konnten beide spüren, wie die Kraft Gottes ins Zimmer kam und ich musste weinen.“
Zwar gibt es in den „Celebration-Gottesdiensten“ keine Liturgie, aber dennoch ist der Ablauf immer gleich und detailliert geplant. Nach der Predigt spricht Wenz ein Gebet, das von der Band musikalisch untermalt wird und sich immer weiter steigert. In den Fürbitten gelangt die Dramaturgie dann zu ihrem Höhepunkt. Wenz ruft mit lauter Stimme: „Ich spüre Gottes Kraft fließt überall. Hier ist Heilung, hier ist mächtige Heilung heute morgen.“ Als alle in den Gesang einstimmen, steht er mit ausgebreiteten Armen am Bühnenrand, den Blick zur Decke gerichtet. Die Studenten haben ihre Zurückhaltung aufgegeben, sie tanzen und singen mit erhobenen Händen. Die Stimmung ist auf eine entrückte Weise feierlich. Viele beten hörbar, teilweise in unverständlichen Lauten. Wenz ruft: „Gott ist hier, wir geben ihm nochmal einen richtigen Applaus!“ Dann geht er von der Bühne. In vier Stunden beginnt der Nachmittagsgottesdienst.
Jörn Dege studiert am Literaturinstitut Leipzig und recherchiert zurzeit für ein literarisches Projekt woraus auch diese Reportage entstand
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