Die meisten Museen sind entsetzlich dröge - die Sammlungen der Stadt Berlin - repräsentativ, konservatorisch hübsch eingemottet, von professionellen Gutachtern sanktioniert, abgeschlossen: Pergamonmuseum, Alte Nationalgalerie, Altes Museum. Erfreulich sind hingegen die kleinen Museen, deren Bestehen häufig nur der Liebhaberei eines einzelnen Sammlers zu verdanken sind, manchmal kaum mehr als schlecht aufgeräumte Rumpelkammern mit unprofessionell etikettierten, furios durcheinandergewürfelten Ausstellungsstücken. Da wird alles präsentiert, was mal eben so zu finden war. In dieser immer unvollständigen Anhäufung des scheinbar Unvereinbaren, Unmöglichen und Kuriosen sind sie den Heimatmuseen von Kleinstdörfern ähnlich. Ich erin
Ich erinnere mich an einen Besuch im Heimatmuseum von Hiddensee Anfang der neunziger Jahre; die albernen ausgestopften Vögel, der dämliche Kutter und das ganze maritime Brimborium interessierten mich wenig, aber da gab es das dünne Büchlein eines Hiddenseer Pastors mit Heide-Gedichten und den ergreifenden Bericht über das Grüppchen von dreißig aufständischen Inselbewohnern, die sich zu Zeiten der Wende in der Kirche trafen, um staatsumstürzlerische Forderungen zu stellen. Eine wirkliche Offenbarung, Zeugnisse, die mir mehr über den Ort meines Aufenthalts sagten als all der andere Plunder. Und die mich dem Ort näher brachten.Heimatmuseen sind komisch. Aber sie sind ebenso großartig. Ich liebe sie. Diese Museen stellen das Gewöhnliche zum Ungewöhnlichen, das offensichtlich Wichtige zum Unwichtigen. Und der Besucher findet Vergnügen daran, wie ein Kind auf Großvaters zugemülltem Dachboden zwischen all den merkwürdigen Gerätschaften Entdeckungen zu machen, nur für sich selbst, ohne dass jemand anderes vorher über den Wert der Fundsache bestimmt hat oder auch nur bestimmen könnte. Auch in Berlin gibt es einige dieser Häuser der wilden Sammelwut. Wenn auch manches Heimatmuseum sich nicht mehr als solches bezeichnen lassen will - das Heimatmuseum Neukölln heißt mittlerweile (wohl aus einer gewissen Schamhaftigkeit heraus) Museum Neukölln. Es will offensichtlich nicht in eins gesetzt werden mit Sammlungen, die sich dem irgendwie unstrukturiert anmutenden Furor des Hortens hingeben. Aufrichtiger bekennt sich dazu das Friseurmuseum in Alt-Marzahn. Seine Sammlung präsentiert alle "Facetten des Friseurberufs", und es berichtet auch über die weitergehende Bestimmung des Onduleurs als Zahnarzt, Hygieneverwalters und Knochenbruchwerkers. Da sind dann also zu sehen: Hecheln, Klistierspritzen, Aderlassmesser, Lockenhölzer und andere schreckerregende Werkzeuge zur Malträtierung des Delinquenten auf dem Barbierstuhl. Das Weddinger Zuckermuseum stellt die Zuckerrübe als die Königin der Feldfrüchte vor und zeigt unter anderem einen eindrucksvollen, stark kariösen Backenzahn von einem offensichtlich mit Süßigkeiten überfütterten Schwertwal. Und im Tegeler Feuerwehrmuseum werden, so heißt es, mit den Kindern nicht nur altertümliche Löschfahrzeuge bewundert, sondern gelegentlich auch Feuerwehrlieder gesungen. Der liebevolle Dilettantismus, das Bekenntnis zur Unzulänglichkeit dieser Schaustellen ungebändigter Sammelleidenschaft hebt sich wohltuend ab von Sensationen wie seinerzeit der MoMa-Ausstellung, da sich jeder dahergelaufene Kunstbeflissene in endlose Warteschlangen einreihte, um so seine Begeisterung über das Spektakel kundzutun. Die kleinen Museen sind winzige, partisanenhafte Inseln im Widerstand gegen die Hochkultur. Stille Orte, wo man kaum jemanden trifft, schon gar keinen, der neben einem laut tönend sein Halbwissen über das Gezeigte herausposaunt. Hier kann man in aller Ruhe das Bewundernswerte selbst finden. Oder eben miteinander singen.Das Museum der Dinge fühlt sich in seinen Ausstellungen den sonderbaren Alltagsutensilien des 20. Jahrhunderts verpflichtet - gezeigt werden Handtaschen, Staubwedel oder auch Fundstücke aus verlassenen Sowjetkasernen. Bisher führte das Museum ein nomadisches Dasein und ist jetzt in der Oranienstraße in Kreuzberg ansässig geworden. Da zeigt man nun Handtaschen, Staubwedel, Pittiplatsch (als "Ding des Monats März 2008"), all den ganzen Plunder, der uns zeitweilig glücklich, später lächeln macht. Nicht verwechseln sollte man das Museum der Dinge mit dem Museum der Unerhörten Dinge, das vorführt, was sonst ein Ausstellungsobjekt bestenfalls erst im Betrachter auslösen kann: dass man über einen scheinbar nichtssagenden Gegenstand ins Fabulieren gerät. Da gibt´s komische Dinge zu besichtigen, die den Besucher ohne Erklärung vollkommen orientierungslos ließen, mit aufmerksamkeitsheischenden Titeln und einer abstrusen Legende versehen. Irgendein kleines Stück Wuschelzeugs ist da als "Das Fell eines Bonsai-Hirsches" ausgestellt, dazu der Text: "Die Hochblüte der Bonsai-Hirsche war das ausgehende 18. Jh. in Japan. Bis 12 cm groß wurden sie und wurden in überdachten Gärten mit Bonsaibäumen gehalten..." Weitere Ausstellungsstücke: "Weißer Rotwein", "Der Bruststein von Thomas Mann", "Schrauben eines Flugzeugabsturzes", "Der rote Faden, der durchs Leben führt", "Der Gesang des Harzerrollers", jeweils mit mehr oder weniger irrsinniger Legende.Einige dieser merkwürdigen Sammlungen, wie etwa die seit über 150 Jahren bestehende Gurltsche Sammlung von Missbildungen (eingelegte Rindswasserköpfe, verrenkte Gerippe von siebenläufigen Schweinen usw.), bestehen schon recht lange. Nur kurze Zeit gab es hingegen das Museum Plagiarius, das jährlich einen Preis verlieh, einen schwarzen Zwerg mit goldener Nase, und damit schlimme Fälscher, Plagiatoren und Ideenklauer prämierte. Es ging ebenso ein wie andernorts das Münchner Zentrum für außergewöhnliche Museen, in dem es unter anderem ein Nachttopf-, ein Osterhasen-, ein Tretautomuseum und eine Korkensammlung zu besichtigen gab.Allzu oft machen es einem solche Orte des Staunens nicht leicht; so haben diese nicht staatlich bestallten Häuser häufig zu Zeiten geöffnet, da praktisch keiner ins Museum geht - das großartige Deutsche Schweinemuseum in Ruhlsdorf etwa öffnet seine Pforten nur einmal in der Woche, donnerstags von elf bis 17 Uhr. Dafür lohnt es sich hinzugehen: Wer wollte nicht schon immer im einzigen deutschen Museum, das sich diesem possierlichen Nutztier widmet, die Dermoplastik eines äußerst verdienstvollen Besamungsebers begutachten. Oder die Bedeutung des Schweins für den Menschen ermessen beim Anblick eines Fotos, auf dem zu sehen ist, wie Frauen mutterlose Ferkel säugen. Es zeigt so ganz schlicht, wie viel wir mit diesem Rüsseltier zu tun haben, sogar was wir selbst sind, in jedem Falle reflektieren sie unser Leben auf überzeugendere Weise, als es ein überrumpelndes Monumentalgerippe von einem Riesensaurier je tun könnte. Einfach liebenswert ist auch das Museum Neukölln, wo derzeit für ein Jahr dessen fotografische Sammlung zu sehen ist. Sie zeigt den Alltag Neuköllns: Manch verwackelte Aufnahme einer Straßenszene von einem unbekannten Fotografen steht neben professionellen Porträts und Architekturfotos. Am beeindruckendsten jedoch sind die Bilder von den Schaufensterdekorationen des Kaufhauses Kajot aus den fünfziger Jahren: die Detailverliebtheit, die Opulenz, überwältigend, im Gegensatz zu den kargen Dekorationen samt enthaupteter Schaufensterpuppen von heute. Die tollste Entdeckung, die ich machte, war ein Kajot-Foto von zwei dekorativen Herren (in Anzügen mit Preisschildern) vor einer Kasse, an der Karten für einen Boxkampf verkauft werden, die nicht nur einen Hut auf dem Kopf tragen oder eine Zeitung halten, sondern auch eine Zigarette (!) in der Hand. Erst vor kurzem wollte ein Currywurst-Museum öffnen. Mit einer Futterstelle für die fresswütigen Wurstliebhaber. Wirklich großartig. Leider kam es dann doch nicht dazu. Besser gefallen hätte mir ja auch ein Schmuddelimbiss-Museum - wegen des weitaus größeren Sortiments an merkwürdigen Gegenständen, das eine solche Sammlung den Besuchern hätte bieten können. Natürlich mit treulich konservierter Fettpatina oder dem eingesauten Döner-Messer. Und mit verwesendem Fleisch.
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