Das Ende des Liberalismus

Trump Die liberalen Interpretationen des Wahlergebnisses als singulärer Unfall innerhalb des Systems schlagen fehl. Trump ist die logische Konsequenz des Systems

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Das Ende des Liberalismus

Bild: Win McNamee/Getty Images

Der Liberalismus brachte uns ein System der Ideale von Freiheit, Pluralismus, Schutz vor staatlichen Eingriffen und Gleichbehandlung. Doch diese Idee ist dabei, sich durch ihre immanenten Konstruktionsfehler ins Gegenteil zu verkehren. Trump ist hierfür das bisher eindeutigste Symptom, speziell in dem Land des Liberalismus – und auch international als Speerspitze einer neuen autoritären Internationale.

Die staatliche Gleichbehandlung scheint egalitär gerecht zu sein, doch setzt eine gleiche Behandlung aller auch eine faktische Gleichheit auf vorrechtlicher Ebene voraus. Ansonsten wird Ungleiches gleich behandelt, was im Ergebnis zu Diskriminierung führt. Armen wie Reichen wird gleichermaßen verboten, nachts unter der Brücke zu hausen, um es zynisch auszudrücken. Von Gleichheit kann in den USA keine Rede sein, weshalb der Liberalismus als Aphorisierung des Bestehenden und Nivellierung von Defiziten wirkt. Der Staat ignoriert unterschiedliche Lebensbedingungen und ist blind gegenüber gesellschaftlichen Dynamiken der Diskriminierung. So hat faktisch in einer solchen Gesellschaft nur Rechte und Möglichkeiten der Selbstverwirklichung, wer Teil der konkurrenzfähigen, stärkeren Gruppe, der bürgerlichen Gesellschaft, ist. Die Gesetze gelten zwar egalitär, jedoch sehen sie so von den Vorbedingungen zur Inanspruchnahme dieser Rechte ab und wirken somit elitär.

Jene Menschen, die Donald Trump vor allem wählten – die sogenannten blue collar worker oder auch der white trash –, nehmen dies diffus wahr und fordern an der Wahlurne ihre Rechte an gleicher Teilhabe ein. Donald Trump steht für die Emanzipation der Abgehängten. Unabhängig von seiner tatsächlichen Arbeit als Präsident hat er es jetzt schon geschafft, diese Gruppe durch den Schwenk der Aufmerksamkeit aus der Vergessenheit zu holen.

Der Wirtschaftsliberalismus ist Teil des Problems. Ein Rückzug des Staates aus der Wirtschaft über Deregulierung, Privatisierung und Liberalisierung führt zu einer Verselbstständigung der kapitalistischen Dynamiken. Die marktkonforme Demokratie verkennt, dass die Dynamiken des Kapitalismus keinesfalls mit den Interessen der Gemeinschaft übereinstimmen. Kapitalismus und Demokratie sind nicht obligatorisch sich ergänzende Teile einer Funktionslogik, sondern in großen Teilen gegensätzlich. Der neoliberale Staat nimmt den Systemzwang der steigenden Ungleichheit im Kapitalismus hin. Auch gewährleistet der Staat keine Leistungsgerechtigkeit, sondern lässt den Markt entlohnen, nicht nach einem Maß an vollbrachter Leistung, sondern nach den kapitalistischen Zwängen der Verfügbarkeit, der Logik von Angebot und Nachfrage. Besonders die Unterschicht ist diesen Dynamiken durch die fehlende Möglichkeit des Aufbaus finanzieller Rücklagen ausgesetzt. Diese Schicht ist es auch, auf deren Basis ihrer Arbeit die liberale Oberschicht leben kann. Die Ausbeutung des Mehrwerts ist Grundlage der Existenz dieser und ihres Lebensstandards.

Die Frage ist nun, warum diese im Grunde genommen emanzipatorische Bewegung der Subalternen statt in einer sozialistischen in einer faschistischen Bewegung mündet.

Zum einen sind die Subalternen zumeist durch eine große Bildungsferne stark von dem öffentlichen Diskurs abhängig und haben ein geringes Reflexionsvermögen diesem gegenüber. Der öffentliche Diskurs ist vor allem liberal geprägt und die Alternative hierzu ist zumeist bestimmt durch gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Nationalismus. Ursächlich hierfür ist besonders die antisozialistische Grundtendenz der Öffentlichkeit, welche linke Alternativen versperrt. Zudem sehen viele Vertreter der Unterschicht in linken Bewegungen Teile des Establishments aufgrund der genuin liberalen Ausrichtung und des Engagements der Linken gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Durch das linke Defizit äußerst sich Frust auf der anderen Seite des politischen Spektrums.

In der Unterschicht halten sich Vorurteile weiter tief verwurzelt durch große Bildungsferne und die antiliberale Grundrichtung dieser. Das Engagement der liberalen Oberschicht gegen solche Vorurteile hat zur Folge, dass sich die Ablehnung dieser Gruppe durch die Subalternen auch auf die liberalen Werte der Oberschicht überträgt. Darüber hinaus ist die Unterschicht durch den Glauben an Meritokratie – das heißt, die Verbindung von finanziellem und sozialen Status, die Möglichkeit des Aufstiegs und an die Leistungsgerechtigkeit – dominiert. Ursächlich hierfür sind die genannte Diskursabhängigkeit sowie die Folge der alltäglichen Konfrontation mit der Begrenztheit der eigenen finanziellen Freiheit. Dies fördert eine Sehnsucht nach Reichtum und eine Sympathie mit Menschen, die „es geschafft haben“ Wohlstand zu erreichen. Sogenannte Selfmade-Millionäre werden zu Vorbildern und dienen als Bestätigung der Überzeugung von egalitärer Leistungsgerechtigkeit und Aufstiegsmöglichkeit. Nun entsteht aber ein Konflikt zwischen ihrer subjektiven meritokratischen Einstellung und ihrer objektiven Situation der finanziellen Armut. Gelöst wird dieser Widerspruch durch Schuldzuweisungen entlang nationalistischer und rassistischer Kategorien. Besonders die Dynamik der Globalisierung gibt dem Vorschub. Außerdem ermöglicht gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, den eigenen relationalen sozialen Aufstieg, indem Andere diskriminiert und somit unter sich degradiert werden. Es wird ein eigenes Narrativ geschaffen, dass sich wechselseitig mit dem Aufstieg der neuen autoritären Internationalen bedingt. Donald Trump gelingt es so, sich leicht als Vertreter des kleinen Mannes darzustellen, indem er diese Vorurteile bedient und sich so bewusst von dem liberalen Establishment abgrenzt. Außerdem ist er in seinem Auftritt als scheinbarer Selfmade-Millionär eine wohlige Bestätigung der Überzeugung derer, die an die Meritokratie glauben.

Der Liberalismus hat eine immanente soziale Dynamik und zwar der Auflösung des Sozialen. Der Schutz des Individuums vor Eingriffen Anderer ist das höchstes Ideal. Der Beginn der Sphäre des Anderen ist die Begrenzung der Eigenen und nicht die soziale Verwirklichung als eines Jeden in seinem Nächsten. Die Individualisierung wird gefördert, zumal durch steigende Ungleichheit eine Inkompatibilität von Lebensverhältnissen entsteht und schließlich zu Isolation führt. Besonders betroffen sind Menschen, die von der sozialen Interaktion des Arbeitsplatzes ausgeschlossen sind und so zudem einen geringen sozialen Status genießen. Die liberale Isolation führt zu einer Sehnsucht nach einem starken, verbindenden Kollektiv. Dies findet sich aus isolierten Menschen über soziale Medien und ist im Ergebnis ein autoritäres, faschistisches Kollektiv. Die sozial verbindende Dynamik des Faschismus funktioniert auch heutzutage, wofür Donald Trump die zeitgemäße Verkörperung eines Neofaschismus ist.

Zudem äußerst sich der Liberalismus in der Vernachlässigung des Gemeinwohls, aufgerieben zwischen egoistischen Interessen. So entstehen von staatlicher Seite Defizite der politischen Bildung in Schulen und in der medialen Öffentlichkeit, was generell einen Populismus begünstigt. Auf Seite der Bevölkerung steht das individualistische Streben einem politischen Engagement breiter Bevölkerungsgruppen (gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit) entgegen. Die Konzentration auf Selbsterhaltung und Wohlstandssteigerung führt zu einer Depolitisierung und politischen Verarmung.

Das entscheidende Zünglein an der Waage zur Wahl Donald Trumps war die Globalisierung als Teil der liberalen Idee und damit einhergehend der fehlende politische Gestaltungswille dieser. Nationale Ungleichheiten werden verstärkt durch eine Transformation des Ausbeutungsmechanismus von nationaler auf internationale Ebene. Zum einen steigt der Wohlstand der Oberen durch effizientere Ausbeutung, zum anderen verlieren die Unteren dabei ihren Arbeitsplatz an das Ausland. Dazu entstehen reaktionäre Reflexe wie bei jeder Idee des Internationalismus.

Die Ungleichheit rächt sich an der Wahlurne, an der die Masse der Abgehängten über die demokratische Logik der radikale-arithmetischen Gleichheit (one man one vote) ihre Macht ausspielt. Das Ergebnis hiervon kennen wir.

Schlussendlich bleibt die Erkenntnis, dass das, was Hillary Clinton verkörpert, einen Donald Trump hervorruft. Der Liberalismus scheitert an sich selbst und droht nun international in rechtspopulistische bis faschistische Bewegungen umzuschlagen. May God help us.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Johannes Oetjen

Berlin - Student der Politikwissenschaft Kontakt: johannes.oetjen@gmx.de

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