Thekla Walker ist eine Quotenfrau. Eine aus jener Welt, in der das kein Schimpfwort ist, sondern zum politischen Bekenntnis gehört. Ein Aufstieg wie ihrer war immer Ziel grüner Gleichstellungspolitik. Seit drei Monaten bekleidet die 52-Jährige das Amt der Umwelt- und damit de facto einer Superministerin im Kabinett Kretschmann III.
Derzeit ist die Neue an der Schaltstelle für den Kampf gegen die Erderwärmung in einer der prosperierendsten Regionen der Welt unterwegs. In Reutlingen empfiehlt sie das Hochwasserschutzkonzept als vorbildlich zur Nachahmung, am ehemaligen Standort zweier Atomkraftwerke in Philippsburg besichtigt sie einen Konverter, der Strom aus erneuerbaren Energien verlustarm von Nord nach Süd bringt; sie macht sich vertraut mit grünem Wasserstoff, in Freiburg hat Walker ohnehin ein Heimspiel angesichts von Wahlergebnissen um die 50 Prozent in manchem Stadtteil. Der Sommerreise-Rucksack wird immer voller mit konkreten Beispielen dafür, wie die Pariser Klimaziele doch noch erreicht werden könnten – wenn viele an einem Strang ziehen.
Natürlich will sich Walker auch bekannt machen. Das Interesse vor Ort ist groß, die Ministerin versucht mit ihrem Plus zu punkten: Die Mutter zweier erwachsener Söhne kann mit Menschen. Außerdem will sie „Wissen über die Umwelt und ihre Probleme nicht nur über den Kopf vermitteln, sondern über eine lebendige Beziehung zur Natur“. Sie spielt ihre Fähigkeit aus, komplizierte Sachverhalte plakativ zu verkürzen. Der bisher eher väterlich-herablassende Umgang selbst deutlich jüngerer CDU-Semester mit der groß gewachsenen Blondine, die sich nach einem abgebrochenen Studium zur „Naturpädagogin“ weiterbildete, ist Geschichte. Walkers hohe Schlagzahl seit dem Amtsantritt im Mai sorgt schon für Spekulationen unter CDU-Abgeordneten, die Ministerin könnte zur Nachfolgerin von Winfried Kretschmann aufgebaut werden, weil der grüne Regierungschef spätestens 2026, mit dem Ende der Legislaturperiode, definitiv seinen Hut nimmt.
Zukunftsmusik. Die Gegenwart bestimmt, dass der kleinere Regierungspartner CDU erst noch in der Praxis mit den weitreichenden Zugeständnissen umzugehen lernen muss, die er in der Umweltpolitik machte, als Bedingung für die erneute Regierungsbeteiligung. Nur so konnte Landesparteichef und -innenminister Thomas Strobl seine Karriere retten. Jetzt muss das angekündigte Sofortprogramm abgearbeitet werden, vom Neubau von tausend Windrädern bis zu scharfen CO₂-Minderungsvorgaben und dem grundsätzlichen Anspruch, „Baden-Württemberg zum Klimaschutzland Nummer eins in Deutschland und in Europa zu machen“. Walker fällt eine Schlüsselrolle zu. Der erste Versuch der Schwarzen, sie nicht zu schnell zu groß werden zu lassen und den Medien die Klimaschutzgesetznovelle in ihrer Abwesenheit zu präsentieren, ging schief. Die Fachministerin war dabei. „Thekla kann die Ellbogen sehr flink ausfahren“, sagt einer ihrer politischen Weggefährten.
Sehr lang ist dieser Weg noch nicht. Zu den Grünen fand die gebürtige Münsterländerin mit dem Berufswunsch Tierärztin erst 2008. Sie wollte mehr, als sich in Initiativen zu engagieren: „Dorthin kommen, wo Entscheidungen fallen“ – das hieß schon ein Jahr später und weil die Grünen ihre Wahllisten gendern: in den Stuttgarter Gemeinderat. Sie habe erst durch zahlreiche Themen getragen werden müssen, urteilte damals ein erfahrener Parteifreund. Selbst als sie 2011 den Aufstieg in die traditionell aus mindestens einer Frau bestehende Doppelspitze des Landesverbands schaffte, galt die Reala als „Greenhorn“, als „Leichtgewicht“, die ins Amt nur gekommen sei wegen der dünnen grünen Personaldecke.
Parteichefin geblieben ist sie trotzdem, fünf Jahre lang. 2016 zog sie in den Landtag ein, verhandelt den ersten Koalitionsvertrag mit der CDU mit. Der wird einschneidend für ihre Bewertung schwarzer Handschlagqualitäten: Strobl persönlich hatte eine Reform des Landtagswahlrechts zur Abschmelzung des damals bundesweit einmaligen Männerüberhangs versprochen, konnte sich in seiner eigenen Fraktion aber nicht durchsetzen. Die Koalition überstand diesen Vertragsbruch. „Aber ich habe nicht vergessen“, sagt Walker.
Während in der Südwest-CDU Neulinge und erst recht die wenigen Frauen lange Umwege über unbeliebte politische Felder nehmen müssen, wird Walker in die einflussreiche Funktion der finanzpolitischen Sprecherin gehievt. Manch lobende Worte sind zweischneidig, etwa wenn ihr Neigung und Begabung bescheinigt werden, andere für sich arbeiten zu lassen und deren Ergebnisse gut als eigene Erfolge zu verkaufen. Nicht selten aber klingen Bewertungen überschwänglich: etwa als vielseitige Generalistin, die auch Finanz- oder Kultusministerin hätten werden können. Sie selbst sieht einen Vorzug darin, den Weg in die Politik spät gefunden zu haben, da sie so nicht festgelegt gewesen sei und „neugierig auf alles“. Im Amt der Umweltministerin ist sie, wo sie hinwollte, und kann „mitgestalten in einer entscheidenden Phase für den Planeten“. Und wenn sie sich bewährt? „Dann könnte gut sein“, so einer ihrer Bewunderer in der Landtagsfraktion, „dass wir noch einmal Geschichte schreiben und die erste Ministerpräsidentin in Baden-Württemberg stellen.“
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