Eines ist er ganz bestimmt: der bekannteste Rotschopf im Talkessel, nicht erst, weil Hannes Rockenbauch vor der zweiten Runde der OB-Wahl in Stuttgart erfolglos an einer rein rechnerisch satten ökosozialen Mehrheit mitgebastelt hat. Schon vor zehn Jahren hat sich der Diplomingenieur (Stadtplanung und Architektur) bei Heiner Geißlers Stuttgart-21-Schlichtung einem Millionenpublikum eingeprägt, als der junge Wilde, der nach jedem Sitzungstag in die Pressekonferenzen zur Bewertung der Ergebnisse drängte. Der durchaus einiges zu sagen hatte gegen das bis heute höchst fragwürdige Milliardenprojekt der Deutschen Bahn AG, dessen Kosten längst, wie von Gegnern vorhergesagt, explodiert sind und dessen Nutzen nach wie vor nicht belegt ist. Weitergebaut wird trotzdem, und Rockenbauch wäre nicht Rockenbauch, hätte er nicht kürzlich mit einer Suada auf die Frage geantwortet, was er sagen würde, wenn er irgendwann als Stadtoberhaupt den Tiefbahnhof eröffnen würde.
Dazu wird es nicht kommen. Die Wahrscheinlichkeit, dass der inzwischen 40-Jährige in die Beletage des Rathauses der sechstgrößten Stadt der Republik einzieht, ist gering. Als sicher kann hingegen gelten, dass er auch in Zukunft den Gemeinderat aufmischen und überhaupt ein unbequemer Zeitgenosse bleiben wird. Nicht weniger als 16 Jahre Erfahrung hat er inzwischen auf dem Buckel. Seit 2009 ist er Chef unterschiedlicher Fraktionsgemeinschaften, deren zuverlässiges Merkmal ist, dass sie immer deutlich links von der notorisch schwächelnden SPD stehen und immer angeführt werden von dem Bündnis „Stuttgart Ökologisch Sozial“ (SÖS), das Rockenbauch mitgegründet hat. Vor acht Jahren wollte er schon mal OB werden in Baden-Württembergs Landeshauptstadt, kam auf 10,4 Prozent der Stimmen. Diesmal waren es 14 in Runde eins.
Stuttgart, das in der linken Szene vor drei, vier Jahrzehnten „Kaputtgart“ hieß, sei für ihn „eine Herzensangelegenheit“, sagt Rockenbauch, und das Amt des Oberbürgermeisters „kein Karrieresprung“. Ein kleiner Seitenhieb muss sein gegen Marian Schreier, den SPD-Mann mit der ruhenden Parteimitgliedschaft, der diesmal als Quereinsteiger und ohne Unterstützung seiner Partei den Jungspund gibt. Bei den coronabedingt oft publikumslosen Podiumsdiskussionen ist Rockenbauch anzumerken, wie schwer ihm der Rollenwechsel ins reifere Fach fällt. In Sachen Redezeit und Leidenschaft kann ihm keiner das Wasser reichen, schon gar nicht CDU-Mann Frank Nopper, der die Wahl – als Profiteur des ökosozialen Hangs zum internen Futterneid – wohl am Ende gewinnt. Immerhin als Nachfolger eines gewissen Fritz Kuhn, einst Grünen-Parteichef und -Bundestagsfraktionsvorsitzender.
Gesetzter ist Heißsporn Rockenbauch auch mit 40 nicht, in dem Alter, in dem Schwaben „gscheid“, also weise werden. Kein Thema ist sicher vor der großen Bühnenpräsenz: Klima, Gerechtigkeit, Integration von Migranten, die dringend notwendige, aber Stadt und Land über zehn Jahre eine ganze Milliarde kostende Sanierung der Stuttgarter Oper, vor allem aber Mobilität und Wohnen. Gerne kommt er auf Wien zu sprechen, wenn es um den ÖPNV geht, der mittelfristig für alle, wenn er schon nicht kostenlos sein kann, wenigstens nur einen Euro am Tag kosten soll. Bezahlbaren Wohnraum will er schaffen, mit konsequenter Umsetzung des Zweckentfremdungsverbots. „Das gilt seit 2016“, sagt er der Obdachlosenzeitung Trott-war. Für notwendig hält er flächendeckende Kontrollen und mehr Beschäftigte in den Bußgeldstellen, denn: „Es geht um jede Wohnung.“ Am stärksten argumentiert er, wenn er gezwungen ist, konkret zu werden. „Er hört sich gern reden“, mosert ein Stadtrat, der mal einer seiner Mitstreiter war, oft sei er „kompromisslos stur“. Er wisse, dass er manchmal zu viel rede, sagt Rockenbauch zu Ersterem. Das Letztere versteht er sowieso als Lob. Kein Wunder, dass er nach so vielen Jahren aus einem Reservoir von Geschichten fischen kann, die von seiner rebellischen Hartnäckigkeit handeln. So hat er schon ewig Tempo 30 gegen den Feinstaub gefordert, die fatalen Cross-Border-Leasing-Geschäfte bekämpft und für die Rückkehr zu Stadtwerken plädiert. „Hohn und Spott kam damals von den bürgerlichen Parteien“, sagt er. Heute hätten sie seine Positionen im Wesentlichen übernommen.
„Hannes kann es“ war einer seiner mittlerweile zahlreichen Wahlslogans. Wer wissen will, wie Hannes wurde, was er ist, muss mit ans Stöckach. Da ist Stuttgart rau, multikulti in der dritten oder gar vierten Generation. Autos, Radfahrer, Fußgänger, der ÖPNV teilen sich den knappen Platz. Nur einen Block entfernt ist das berühmt-berüchtigte Neckartor, an dem jahrelang republikweit die höchsten Feinstaub-Werte gemessen wurden. Der Osten, der nahe Untere Schlossgarten, das Waldheim Gaisburg, eines der Überbleibsel der einst so kraftvollen Arbeiterbewegung, haben die Kindheit geprägt. Als ein Nachbarsjunge beim Rollschuhfahren tödlich verunglückt, gründet sich die Initiative Kinderfreundliches Stöckach, ein rothaariger Zehnjähriger fühlt sich aufgerufen, der damaligen Sozialbürgermeisterin von der FDP eine Skizze vorbeizubringen, die zeigen soll, wie ein Quartier aussehen muss, damit Kinder nicht umkommen oder krank werden.
Inzwischen hat er selbst zwei Töchter, drei und acht. Die Vaterrolle radikalisiert ihn, als wäre das noch nötig. Jedes Mal, wenn die Jüngere die Straße zum Spielplatz überquert, „habe ich dieses Bild vor Augen: Ihr Kopf fast auf Höhe der Auspuffe“. Deshalb will Hannes Rockenbauch OB werden. Das will er ändern.
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