Winfried Kretschmann, Thomas Strobl und die Polizei-Affäre

Baden-Württemberg Die grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg steht unter erheblichem Druck. Ministerpräsident Winfried Kretschmann hält eisern zu seinem CDU-Innenminister Thomas Strobl. Es geht um Sex-Vorwürfe gegen einen ranghohen Polizisten
Ausgabe 22/2022
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (l.) und sein CDU-Innenminister Thomas Strobl
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (l.) und sein CDU-Innenminister Thomas Strobl

Foto: ULMER Pressebildagentur/IMAGO

Prima Umfragewerte für das Spitzenpersonal auf Bundesebene, in Kiel und Düsseldorf schmieden sie gerade mit der CDU neue Landesregierungen – für die Grünen läuft es eigentlich gut. Das baden-württembergische Modell der grün-schwarzen Möglichkeiten aber schlittert gerade in die größte Krise seit Amtsantritt vor sechs Jahren: Gegen Law-and-Order-Innenminister Thomas Strobl (CDU) ermittelt die Staatsanwaltschaft. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hält seinem Vize die Stange, sogar um den Preis der Beschädigung seiner selbst.

Die Affäre hat mehrere Erzählstränge, weshalb die CDU und inzwischen auch ihr Koalitionspartner inständig hoffen, dass sich die Öffentlichkeit nur oberflächlich dafür interessiert. Dabei sind die Vorwürfe erheblich. Der ranghöchste Polizist des Landes ist seit Monaten vom Dienst suspendiert, weil er im Verdacht steht, von einer Kriminalkommissarin Sex für eine Beförderung verlangt zu haben. Strobl sieht sich selbst „in schwerer See“ wegen seines schrägen Einfalls, ein Anwaltsschreiben in dem Disziplinarverfahren gegen den Inspekteur der Polizei einem einzigen Journalisten zuzuschieben. Er habe damit für „maximale Transparenz“ sorgen wollen, sagt Strobl. Der Jurist Strobl lag voll daneben mit seiner Einschätzung, ein Vorgehen der Staatsanwaltschaft gegen ihn sei rechtlich ausgeschlossen. Eine Durchsuchung in seinem Ministerium versuchte er zu verschleiern, ohne Erfolg. Ausgerechnet Strobl, der mit der Inneren Sicherheit den Markenkern der CDU verantwortet, wurde vom Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft öffentlich angegangen.

Wäre Kretschmann noch in der Opposition, hätte ihn sein politischer Instinkt das Richtige tun lassen: Er hätte den sofortigen Rücktritt von Wolfgang Schäubles Schwiegersohn Strobl gefordert. Inzwischen aber ist er seit elf Jahren an der Macht. Das verschiebt seine Perspektiven, entgegen den eigenen guten grünen Vorsätzen.

Die größte Gefahr für seinen Ruf als umsichtiger Landesvater liegt nicht in Strobls Brief-Affäre. Toxisch für Kretschmanns dritte und letzte Legislaturperiode ist seine Weigerung, sich mit dem Verhalten seines Stellvertreters öffentlich erkennbar ernsthaft zu befassen. Immerhin hat der Landesdatenschutzbeauftragte die kuriose Weitergabe des Anwaltsschreibens in einem Prüfgutachten bereits als „rechtswidrig“ eingestuft. 24-mal (!) in einer einzigen Pressekonferenz sagte der Regierungschef stur diesen Satz: „Das Schreiben liegt mir nicht vor.“ In seinem Staatsministerium angekommen war es schon, nur weitergereicht wurde es nicht an den Chef. Jetzt hat nicht nur der Hausherr, sondern auch sein ohnehin nicht immer sehr professionelles Umfeld ein Problem.

Kretschmann ist 74, nach eigenem Bekunden hat er sich ein ganzes Jahr mit der Frage gequält, ob er überhaupt noch einmal antreten soll bei der Landtagswahl 2021. Vor allem seinem Ansehen ist zu verdanken, dass die Grünen 32,6 Prozent einfuhren, während die CDU bei 24,1 Prozent hängenblieb. Eine Ampel wäre möglich gewesen, Super-Realo Kretschmann beharrte gegen den erheblichen Widerstand seiner Partei aber auf einem grün-schwarzen „Weiter-so“. Schon in einem inhaltlich ausdifferenzierten Sondierungspapier – ein Kniff, den er jetzt auch der Düsseldorfer Spitzenkandidatin Mona Neubaur empfahl – wurden viele Vorhaben für die Zeit bis 2026 festgelegt.

Manches, wie die Solarpflicht für alle Neubauten und eine Wahlrechtsreform, ist umgesetzt, viele weitreichende Pläne warten darauf, angepackt zu werden. Die Südwest-CDU ist abgelenkt von Selbstfindungsprozessen auf Bundes- und Landesebene. Das wird sich mit einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Causa Strobl und zu Beförderungen bei der Polizei verstärken. Spätestens vor seinem zu erwartenden Zeugenauftritt wird sich Kretschmann en détail mit dem Verhalten Strobls befassen müssen. Wenn er da nicht mal aus allen Wolken fällt.

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