Black Names Matter

Anton Wilhelm Amo Wie unsere Erinnerungskultur aussehen soll, können wir selbst bestimmen. Deswegen wird in Berlin-Mitte eine Straße umbenannt – und das ist gut so
Ausgabe 35/2020
Kulturelle Identität ist nicht in Stein gemeißelt
Kulturelle Identität ist nicht in Stein gemeißelt

Foto: Emmanuele Contini/Imago Images

Die deutsche Kolonialgeschichte hat lange ein Schattendasein geführt, wurde wenig beachtet und ihre Bedeutung runtergespielt. Großbritannien und Frankreich, ja, diese Staaten müssen sich mit Kolonialgeschichte und Sklaverei auseinandersetzen; aber Deutschland? Das Thema war lange nicht auf der Agenda. Aber das ändert sich gerade. Auch hierzulande wächst das Bedürfnis, sich den rassistischen Strukturen in der Gesellschaft zu stellen. Ein wichtiger Teil der Debatte um das koloniale Erbe Deutschlands ist dabei die Forderung, historisch belastete Straßennamen umzubenennen.

Jetzt hat der Bezirk Berlin-Mitte auf Antrag von Grünen und SPD beschlossen, der umstrittenen Mohrenstraße einen neuen Namen zu geben: Sie soll nach dem ersten bekannten Schwarzen Gelehrten an einer deutschen Universität, dem Aufklärungsphilosophen Anton Wilhelm Amo heißen, der 1734 in Wittenberg promovierte. Eine lange Debatte, Druck von verschiedenen zivilgesellschaftlichen Initiativen und ein Vorstoß der Berliner Verkehrsbetriebe, den gleichnamigen U-Bahnhof umzubenennen, gingen dieser Entscheidung voraus. Der Bezirk begründete seine Entscheidung damit, dass der „bestehende rassistische Kern“ des Namens belastend sei und dem nationalen und internationalen Ansehen Berlins schade. Gegenwind kam dagegen von der AfD-Fraktion, die die kulturelle Identität der Stadt durch die Straßenumbenennung gefährdet sah, aber auch von der CDU.

Warum konnten Straßen, die an Nationalsozialismus oder DDR erinnern, ohne Weiteres umbenannt werden, während im Kontext der deutschen Kolonialgeschichte viel zu lange auf eine kulturelle Identität gepocht wurde, die an Alltagsrassismus festhält?

Für Anton Wilhelm Amo als Namensgeber hatte sich unter anderem die „Initiative Schwarze Menschen in Deutschland“ gemeinsam mit dem Bündnis „Decolonize“ starkgemacht. Auch das Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität, das sich am Ende der Mohrenstraße befindet, hatte gemeinsam mit einer Nachbarschaftsinitiative für die Umbenennung plädiert. „Gerade weil unser Fach selbst so verstrickt ist mit Kolonialgeschichte und Rassismus und wir uns ständig kritisch damit beschäftigen, die Auswirkungen des kolonialen Erbes auf das heutige Europa zu untersuchen, war es für mich eigentlich unerträglich, diese Adresse benutzen zu müssen“, sagt die Mitinitiatorin der Nachbarschaftsinitiative und Professorin am Institut für Europäische Ethnologie, Regina Römhild.

Die Mohrenstraße trägt diesen Namen seit 1706, also seit mehr als 300 Jahren. 1707 wurde Amo, damals noch ein Kind, im heutigen Ghana von der niederländischen Ostindien-Kompanie versklavt und später an den Hof von Braunschweig-Wolfenbüttel „verschenkt“. Amo konnte sich eine außergewöhnliche Bildung aneignen. In seiner philosophischen Disputation ging es um die Rechte Schwarzer Menschen in Europa. Wegen einer gegen ihn gerichteten rassistischen Hetzkampagne verließ Anton Wilhelm Amo 1747 Deutschland in Richtung seiner Heimat, wo sich seine Spuren verlieren.

Kulturelle Identität ist nicht in Stein gemeißelt. An wen und an was wollen wir uns erinnern? Die Entscheidung ist nun zumindest an diesem symbolträchtigen Ort im Zentrum der Hauptstadt gefällt: in Zukunft an die Präsenz Schwarzer Menschen in Deutschland, die einen Namen haben.

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