Die Vagina-Dialoge

Kunst Das Schwule Museum in Berlin macht Platz für weibliche Perspektiven. Das sorgt in der Szene für Ärger
Ausgabe 32/2018

Die Filmlounge erinnert an eine Sauna-Landschaft. Da hängen Handtücher, die Sitzgelegenheiten sind weiß und orange gekachelt. Auf drei Bildschirmen laufen Filme. „When I say va, you say -gina!“, rappt das chinesische Hip-Hop-Duo Dajing und Evange auf einem davon („Ich sage Va-, ihr sagt -gina!“) Die Kacheln im Raum sind nicht echt, sondern auf Plastik gedruckt. An einzelnen Kacheln laufen die Fugen nicht zusammen, verwirren den Blick. Das ganze Kachelnetz scheint plötzlich fragil.

Die Installation der 12-Monde-Lounge ist Teil von Jahr der Frau_en im Schwulen Museum in Berlin. Ein ganzes Jahr widmet sich das Museum weiblichen Perspektiven. Das klingt wie ein Widerspruch – geht es in dem Museum nicht eigentlich um Schwule, also um homosexuelle Männer?

Eldorado der Homosexualität

„Es ist eine Intervention“, sagt die Kuratorin Vera Hofmann. Zusammen mit ihrer Vorstandskollegin Birgit Bosold hat sie die Leitung des Jahres der Frau_en inne und ist unter anderem für die Filmlounge verantwortlich. Das Museum ist schon seit einigen Jahren bemüht, nicht nur für schwule, sondern auch für lesbische, trans*, bisexuelle und queere Perspektiven Haus und Archiv zu sein. Auch aufgrund der fehlenden Repräsentation dieser Identitäten im Vorstand sei das Programm dennoch stark von schwulen Themen geprägt gewesen, erzählt Hofmann, die 2016 als zweites weibliches Mitglied nach Bosold in den Vorstand kam. Dessen acht Mitglieder entscheiden über das Programm des Museums. Die Wahl des diesjährigen Themas sei von #metoo und der feministischen US-Kampagne Time’s Up motiviert gewesen: „Wir erleben gerade eine neue emanzipatorische Welle“, erklärt Hofmann, „hier war auch eine Art Siedepunkt erreicht.“

Das Schwule Museum ist eine Berliner Erfolgsgeschichte. Initialzündung war 1984 die Ausstellung Eldorado – Homosexuelle Frauen und Männer in Berlin 1850 – 1950 im Westberliner Stadtmuseum, das von damaligen studentischen Mitarbeitern in Zusammenarbeit mit lesbischen Initiativen ausgerichtet worden war. Zwei der Gründungsväter, Wolfgang Theis und Andreas Sternweiler, sind heute noch im Museum aktiv. Mit Homosexualität_en realisierte das Museum 2015 in Kooperation mit dem Deutschen Historischen Museum seine bisher größte Ausstellung.

Und mit dem Jahr der Frau_en legt das Museum nun den Finger in eine alte Wunde. In der über 30-jährigen Geschichte des Museums waren von über 200 Ausstellungen nur acht Einzelausstellungen dem Werk von Künstlerinnen gewidmet, nur zwei künstlerischen Positionen aus Trans*-Perspektive, und nur eine Schau beschäftigte sich exklusiv mit der Geschichte des lesbischen Aktivismus. „Es ist eine Auseinandersetzung, die überall geführt wird: Männer dominieren einfach die Räume“, erklärt Hofmann.

Das Jahr der Frau_en soll aufzeigen, dass es Diskriminierung nicht nur gibt, weil Menschen homosexuell begehren, sondern dazu auch die herrschende Geschlechterordnung gehört. Und das ist eine Ordnung, die darauf besteht, dass es ausschließlich zwei Geschlechter gibt, wobei Männlichkeit als Norm gilt und Weiblichkeit als das Andere abgewertet wird. Darunter leiden übrigens nicht nur Frauen: „Es gibt eine generelle Weiblichkeitsfeindlichkeit, die auch die Schwulen zu spüren bekommen, wenn sie als ‚verweiblichte Männer‘ beschimpft werden“, sagt Hofmann.„Die Konsequenz sollte Solidarität sein.“ Und die Solidarität soll dabei nicht an den Geschlechtergrenzen aufhören: Das Jahr der Frau_en möchte der Kunst und Geschichte jener Menschen einen Raum geben, die sich selbst als Frauen definieren, sowie Trans*- und Inter-Positionen, darunter auch viele nichtweiße.

Dieser intersektionale Schwerpunkt ruft bei einigen schwulen Aktivisten Besorgnis hervor. Das „Schwule an sich“ gelte für die Organisatoren als „ahistorischer Hort sagenhafter ‚Privilegien‘“, schrieb Vojin Saša Vukadinović im Februar in der Jungle World. Er kritisierte an dieser Denkart eine „Verharmlosung der handfest exerzierten Schwulenverachtung“. Die reale Gewalt gegen Homosexuelle verschwinde hinter „dem Schillern der Identitäten“, die „mit Verweis auf ihre angebliche Randständigkeit Autorität beanspruchen“. Eine Debatte, die sich auch um das diesjährige Motto des Christopher Street Day entspannte: „Mein Körper, meine Identität, mein Leben“ ( siehe Der Freitag 30/ 2018).

Inzwischen zogen im Schwulen Museum einige Monde ins Land und das Programm entwickelte sich weiter. Im achten Mond werden Filme aus der Lesbenbewegung der 1970er bis 1990er Jahre gezeigt, auf einer Veranstaltung diskutieren Feministinnen über ihre Erinnerungen aus der Zweiten Welle der Frauenbewegung – der DDR und der BRD.

Zwischen Poesie und Esoterik

Das Museumscafé verwandelte sich inzwischen in die Dyke-Bar Spirits, hier wird an die Hexenverfolgung und Verdrängung alternativen weiblichen Wissens erinnert. „Dyke“ ist ein Begriff aus den USA, ein anderes Wort für lesbisch, aber mit einem „out and proud“-Gefühl des Stolzes – und explizit trans*-inklusiv. Wie übrigens auch das Jahresmotto an sich: Der Unterstrich bei „Frau_en“ macht Platz für verschiedene Geschlechtsidentitäten und zeigt an, dass das Frau-Sein nicht biologistisch gedacht wird. Die Dyke-Bar ist für alle offen, auch für Männer. Die stehen dort auch meistens hinter dem Tresen. Im Schwulen Museum wird der komplette Ausstellungsbetrieb von Ehrenamtlichen gestemmt, um die 60 Personen, die meisten von ihnen schwule Männer. Teilweise hätten die sich schon gefragt, ob sie hier noch willkommen seien, erzählt Hofmann. „Wenn man merkt, man muss plötzlich etwas abgeben von den eigenen Privilegien, erzeugt das erstmal Reibung.“

Man merke dabei auch, dass sich das Museum nicht nur als Kunst-Ort, sondern auch als „kulturhistorischer Community-Ort“ verstehe, so Hofmann. Im Schwulen Museum wird Geschichte anhand von Kunstwerken verhandelt. Welche Geschichte soll hier wie ausgehandelt werden? Das wird in einem Museum, das von Partizipation lebt, eben konfliktreich ausgetragen.

Das Jahr der Frau_en ist ein Experiment, das genau beäugt wird. Neben begeisterter Resonanz gibt es auch weiterhin harsche Kritik, insbesondere in den Sozialen Medien. Die Fronten erscheinen dabei verhärtet. Die Berliner Polittunte Patsy l’Amour laLove beklagte auf Facebook, das Museum werde zur „Spielwiese heterosexueller Hipster, die sich als ‚queer‘ bezeichnen“, und sprach von „abstrusen spiritistischen Ritualen“. Sie spielt dabei auf die Eröffnungs-Performance an, bei der ein Räucher-Ritual veranstaltet wurde – das verstanden einige so, dass die Schwulen aus dem Haus geräuchert werden sollten: „Die Räume meiner Ausstellung‚ Faszination Sex über Martin Dannecker etwa wurden per magischem Ritual von bösen/ männlichen Energien gereinigt“, schrieb L‘Amour laLove. „Man könnte auch sagen, Leute, chillt mal, es ist Kunst“, meint Hofmann dazu. Kunst sei ein Angebot zur Kommunikation. Die Orientierung der Filmlounge am Mondkalender müsse auch nicht unbedingt als esoterisch wahrgenommen werden, der Neumond sei doch eine schöne Metapher dafür, „dass immer wieder etwas Neues ans Licht kommt. Ein bisschen Poesie in die institutionelle Praxis zu bringen, kann nicht schaden“.

Trotz der teils heftigen Kritik sei das Jahr der Frau_en gut besucht, die Zielgruppe breche keineswegs weg, insistiert Hofmann. Mehrere Generationen von Lesben, trans*Personen und jungen Queers säßen alle in den Startlöchern und warteten darauf, sich im Museum artikulieren zu können. Vielleicht brauche ein behutsamer Vertrauensaufbau zwischen verschiedenen Generationen von schwulen, lesbischen und queeren Aktivist*innen einfach Zeit, meint die Kuratorin. Am Ende könnten sich vielleicht sogar neue Allianzen bilden. Nach dem Jahr der Frau_en soll es wieder ein gemischtes Programm geben.

In der Filmlounge läuft ein Schwarz-Weiß-Film aus den 1990er Jahren, Das Loch von Julia von Randow. Darin philosophiert die Künstlerin über die Anzahl von Löchern eines Körpers im Verhältnis zum Geschlecht und bohrt sich konsequenterweise ein Loch in den Schädel. „Als ich die Filmreihe eröffnet habe, habe ich gesagt: Ich lade auch das Nichtwissen ein. Ich lade auch Verletzlichkeit ein“, erzählt Hofmann. „Und feministisches Kuratieren bedeutet für mich eben auch, genau diese Unschärfen und Unsicherheiten auszuhalten und Fragilität zuzulassen.“

Info

Das Jahr der Frau_en läuft bis zum 31. Januar 2019. Die Podiumsveranstaltung zur Zweiten Welle findet am 23. August 2018 statt

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