Putzen und putzen lassen

Arbeit Scheinselbstständig oder frei? Lisa B. war für eine Online-Plattform tätig, die Reinigungskräfte vermittelt
Ausgabe 37/2017

Als Lisa B. in die Wohnung kam, fielen ihr direkt die Katzenhaare auf. Lisa B. hat eine Katzenallergie. Doch sie war als Putzkraft bestellt, was also tun? Sie zog es durch und putzte die Wohnung. „Ich wollte nicht das Risiko eingehen, umsonst dorthin gefahren zu sein“, sagt sie. Dass ihr Vermittler, das Online-Portal Helpling, ihr zumindest die Fahrtkosten ersetzt hätte, hielt sie für unwahrscheinlich.

Seit etwas mehr als einem Jahr arbeitet Lisa B. nicht mehr bei Helpling – sie ist ausgestiegen. Heute leitet die 33-Jährige Workshops bei feministischen Seminaren. Die Digitalisierung hat den Einkauf von Dienstleistungen per Smartphone radikal vereinfacht: Unter welchen Umständen würde ich jemand anderen dafür bezahlen, meine Wohnung zu putzen, meine Wäsche zu waschen und mein Essen zu kochen, statt es selbst zu tun? All dies sind reproduktive Tätigkeiten – sie sind notwendig zum Erhalt der produktiven Arbeit. Meist werden sie von Frauen erledigt.

Die Ethnologin Mary Douglas beschrieb in ihrem Buch Purity and Danger von 1966 Schmutz als Materie, die sich an der falschen Stelle befindet. Beim Putzen ginge es darum, eine symbolische Ordnung aufrechtzuerhalten. Produziert, also neu hergestellt, wird dabei nichts. Für reproduktive Tätigkeiten kann jemand nicht mehr ausgeben, als sie oder er in der produktiven Sphäre verdient: Der Stundenlohn der Putzkraft muss unter dem eigenen Stundenlohn liegen.

Weniger als Mindestlohn

Als sich Lisa B. bei Helpling registrierte, versprach ihr die Internetseite einen Stundenlohn zwischen 11 und 15 Euro. Mehr als elf Euro wurden es später nie. Davon musste sie, wie alle Solo-Selbstständigen der Plattform, auch noch für weitere Kosten, unter anderem für Kranken- und Haftpflichtversicherung, aufkommen – am Ende verdiente sie weniger als eine Angestellte mit Mindestlohn.

Die für sie geltenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen erhielt B. erst gegen Ende der Anmeldeprozedur. Diese schien zu Beginn unkompliziert, mit Angabe von Name und E-Mail-Adresse. Dann galt es, ein polizeiliches Führungszeugnis und einen Gewerbeschein zu organisieren. „Das hat mich dazu gebracht, weiterzumachen, weil ich dann schon investiert hatte“, erzählt Lisa B. – obwohl ihr nicht klar war, worauf sie sich einlässt. „Ich habe Putzen noch einmal anders hassen gelernt“, sagt sie heute.

Helpling gilt als Erfolgsunternehmen. Im Jahr 2014 gründeten zwei schnittige junge Männer um die 30 das Start-up, zu dessen ersten Investoren mit Rocket Internet eines der Schwergewichte der deutschen Digital-Wirtschaft zählte. Anfang August gab eine Tochter des Konsumgüter-Konzerns Unilever bekannt, in Helpling zu investieren.

Letztere ist nicht die einzige Plattform dieser Art. Clean Agents startete das erste Modell und wurde inzwischen von Helpling übernommen. Der Konkurrent Book A Tiger entschied vergangenes Jahr, seine Putzkräfte anzustellen, statt sie weiter als Solo-Selbstständige arbeiten zu lassen. Das schafft Sicherheit in Sachen Altersvorsorge, Absicherung für den Krankheitsfall, Kündigungs- und Arbeitsschutz. Sicherheiten, die Lisa B. ebenso wenig hatte wie den Anspruch auf eine bestimmte Anzahl von Arbeitsstunden.

Helpling wirbt damit, nur „geprüfte“ Putzkräfte zu vermitteln. Für Lisa B. bedeutete das, sich nach ihrer Registrierung eine Unterweisung am Telefon anzuhören, sich gleichzeitig ein Video anzusehen und dann bei ihren ersten drei Aufträgen eine gute Bewertung erhalten zu müssen.

Eine Online-Plattform wie Helpling hat zwei Websites. Auf der einen können Kunden die Profile der Putzkräfte sehen und sie buchen. Die andere Seite ist für die Reinigungskräfte selbst. Dort loggen sie sich ein, um Kalender, Rechnungen und Beschwerden einzusehen. Buchungsangebote erhalten sie per SMS oder über eine App. Auf Anfragen musste Lisa B. so schnell wie möglich antworten, weil sie mit den anderen Reinigungskräften im Stadtgebiet in Konkurrenz stand: Die Person, die sich als Erstes meldet, erhält den Auftrag. „Irgendwann hatte ich Leute, die mich regelmäßig gebucht haben, dann musste ich nicht mehr auf Anfragen reagieren.“ Bezahlt werden die Putzkräfte nur für die Zeit, die sie beim Kunden sind. Letztere zahlen für eine Stunde Putzen zwischen 13 und 20 Euro.

Ihre Auftraggeber hätten sie häufig mit dem Satz „Oh, du bist die Erste, die Deutsch spricht“ begrüßt, erzählt Lisa B., wer aber diese anderen Putzkräfte sind, weiß sie nicht. Es gibt keine Möglichkeiten, sich untereinander auszutauschen, die anderen zu fragen, wie sie mit bestimmten Herausforderungen umgehen – wenn etwa die Wohnung so groß ist, dass sie unmöglich in der gebuchten Zeit sauber zu kriegen ist. Helpling rät Putzkräften, das am Anfang abzusprechen. Doch bei Auseinandersetzungen droht eine schlechte Bewertung durch die Kunden. Das war auch ein Grund für Lisa B., die Wohnung mit den Katzenhaaren trotz ihrer Allergie zu putzen.

Dass unter denen, die ihre Arbeitskraft per Helpling anbieten, viele aus Osteuropa sind, lässt sich schon dadurch erahnen, dass die Website für Putzkräfte nicht nur auf Englisch und Deutsch läuft, wie die für Kunden, sondern zudem auf Polnisch.

Gleichberechtigung für Reiche

Die meisten der Migrantinnen, die in Deutschland in der Pflege und im Haushalt arbeiten, kommen aus Osteuropa. Während hier eine Putzkraft stereotyperweise eine Polin ist, ist sie in Polen eine Ukrainerin: Die Soziologin Arlie Hochschild spricht von global care chains, globalen Betreuungsketten, eine Form der Arbeitsmigration, bei der insbesondere Frauen in reichere Länder migrieren und dort Haushalts- und Fürsorgearbeiten übernehmen. Lassen sie dabei ihre Familie zurück, sorgen sie aus der Ferne finanziell für sie. Oft werden Haushalts- und Fürsorgetätigkeiten dann in dieser Familie wiederum ausgelagert, sodass Betreuungsketten entstehen. Wenn diese Auslagerung notwendig ist, ist Gleichberechtigung dann ein Privileg der reichen Länder – ausgetragen auf den Schultern von Frauen aus ärmeren Ländern?

„Es scheint näher zu liegen, eine andere Frau dafür zu bezahlen, als den Typen dazu zu kriegen, mal aufzuräumen“, sagt Lisa B. In Italien kämpften Feministinnen der 1970er Jahre für die Entlohnung von Hausarbeit. Sie suchten einen Weg raus aus der Isolation, hin zum Arbeitskampf. Lisa B. sagt dazu: „Damals war nicht so die Zeit der individuellen Lösungen.“

Sie hat früher, wie die meisten Putzkräfte in Deutschland, schwarz gearbeitet, meist für Nachbarn, die ihr 10 bis 15 Euro pro Stunde auf die Hand gaben. Kritiker werfen Helpling vor, mit dem Modell Scheinselbstständigkeit zu produzieren, während die Gründer der Plattform die für sie tätigen Solo-Selbstständigen gern als unabhängig und frei beschreiben und ihr Angebot als Alternative zum Schwarzmarkt preisen. Lisa B. lässt das nicht gelten. Bei Helpling sei es erlaubt, Subunternehmen zu gründen, andere zum eigenen Termin gehen zu lassen. „Die werden noch weniger kriegen als die erste Person, die für Helpling arbeitet. Die brauchen nur ein Führungszeugnis, keinen Gewerbeschein. Undokumentierte Arbeit wird an keiner Stelle verhindert.“

Gefährlich bei Modellen wie dem von Helpling erscheint Lisa B., dass sie diejenigen, die ihre Wohnung putzen lassen, aus ihrer Arbeitgeber-Position entlassen. Stattdessen sind sie Kunden bei einem Online-Portal. „Das finde ich die politische Dimension“, sagt B., „es wird sehr leicht, solche Arbeiten in Anspruch zu nehmen, ohne Verantwortung für die Arbeitsbedingungen zu übernehmen.“

Lisa B. will niemandem vorschreiben, seine Wohnung niemals putzen zu lassen. Wichtig ist ihr jedoch, eine Vorstellung davon zu haben, was für eine Arbeit Putzen ist. „Bei manchen Leuten habe ich gemerkt, die haben noch nie ihre Wohnung selbst geputzt, die wissen nicht, was für einen Auftrag sie da vergeben. Und dann gab es Leute, die das gerade nicht können, aber jahrelang gemacht haben. Die haben dann eine Vorstellung davon, wie lange etwas dauert und wie unangenehm etwas ist.“

Eine aufgeräumte, geputzte Wohnung kann ganz anders wertschätzen, wer um die Arbeit weiß, die darin steckt. „Es ist körperlich anstrengend“, sagt Lisa B., „ich finde, das ist eine machbare Arbeit, aber ich weiß nicht, wie das Leute ohne Wertschätzung durchhalten können. Wertschätzung ist nicht alles, wenn man davon nicht leben kann. Aber sie macht einen Unterschied.“

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