Revoluzzer im Bezirk

Porträt Niklas Schenker, Jungpolitiker der Linken, kämpft für das Ende von sexistischer Werbung in Charlottenburg
Ausgabe 22/2017

Niklas Schenker ist groß und schmal. Seine Haare stehen in alle Richtungen ab, er zwirbelt gerne an ihnen herum. Ein Kopf wie vom Struwwelpeter oder von der Medusa. Der 23jährige ist seit vorigem Jahr Fraktionsvorsitzender der Linken und jüngstes Mitglied in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Charlottenburg-Wilmersdorf. Seine Partei erreichte dort 7,9 Prozent, das brachte ihr vier Mandate. Schenker ist mit dem Bezirk im Berliner Westen bestens vertraut. Schon als Kind – ab der sechsten Klasse – engagierte sich er sich dort im Berliner Kinder- und Jugendparlament. Danach trat er der Linken bei. Es war ein Rollenwechsel: eben noch der Opa unter den Teenagern, jetzt der Jüngste. Der Kurs steht auf Konfrontation. Mitte Mai stellte Schenker mit seiner Fraktion den Antrag, sexistische Werbung in Charlottenburg-Wilmersdorf zu verbieten. Im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg wurde ein ähnlicher Antrag von Grünen, Piraten, Linkspartei und SPD vor zwei Jahren diskutiert. Nun ist sexistische Werbung auf den bezirkseigenen Flächen, also Außenwerbeflächen in Bezirkshand, nicht mehr erlaubt. Bezirkseigene Flächen gibt es in Charlottenburg-Wilmersdorf nicht, doch der Bezirk soll sich für ein Verbot auf Landesebene einsetzen und prüfen, inwieweit das Verbot für Privatflächen gelten kann.

Was Schenker zieht, ist das, was Rosa Luxemburg „revolutionäre Realpolitik“ nannte. Für Schenker bedeutet das: „Am Hier und Jetzt etwas verändern und gleichzeitig das große Ganze in Frage stellen. Anders wirtschaften, anders leben, anders denken.“ Schenker mag den Wiedererkennungswert, den seine Haare ihm bescheren. „Außerdem habe ich einen kleinen Kopf“, sagt er, „das kann ich so kaschieren.“ Die Bescheidenheit ist dem Jungpolitiker nicht abhandengekommen, das Punkertum möglicherweise schon. Mittlerweile wird er nicht mehr ständig angesprochen wie früher, als er noch mit buntem Haar herumlief. Momentan schreibt er seine Bachelorarbeit in Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität, wo er auch studentischer Mitarbeiter ist. Ob er sich einsam fühlt als Jüngster in der BVV? „Ach, es geht.“ Seine Zeit als Fraktionsvorsitzender fing so an: Er verweigerte dem 82-jährigen Alterspräsidenten Hans Asbeck von der AfD den Handschlag. An Bezirkspolitik gefällt Schenker, dass „Politiken von anderen Ebenen hier schnell wirksam werden“.

„Kommt das Verbot für sexy Werbung am Kudamm?“, schrieb die BZ als Reaktion auf den Antrag. „Nackt ist nicht gleich sexistisch. Auch sexy nicht“, erläutert Schenker. „Sexismus ist eine Abwertung, eine Diskriminierung. Das Verbot hat nichts mit prüde zu tun. Aber es gibt Werbung, die fast suggeriert, dass man die Frau kaufen kann.“ Die Linksfraktion schreibt in ihrem Antrag für das Verbot: „Frauen dienen in Werbekampagnen besonders häufig als Objekte, um Autos oder Waschmaschinen zu verkaufen. In kapitalistischen Gesellschaften werden Rollenklischees und Geschlechtsstereotype vermarktet und dienen der Steigerung von Profiten. Geschlechterklischees und heteronormative Darstellungen beleidigen und werten die dargestellten Gruppen ab.“ In zehn Punkten wird dargestellt, was alles aus Sicht der Linksfraktion als sexistische Werbung gilt. Die BZ zitiert verkürzt und empört: „Frauen als ‚das schöne Geschlecht‘ zu bezeichnen sei zu viel. Eine Frau, die ‚kaum oder sehr körperbetont bekleidet und ohne Anlass lächelnd inszeniert wird, während der Mann vollständig und bequem bekleidet ist‘, sei diskriminierend!“

Marxistischer Feminismus

Schenker geht es beim Verbotsantrag darum, einen Anlass für kontroverse Debatten zu schaffen und das Bewusstsein für ein Feminismus-Verständnis zu schärfen, das über die bürgerliche Idee von Gleichberechtigung hinausgeht. Er spricht von einem marxistischen Feminismus, der das Zusammenspiel von Kapitalismus und Sexismus ins Visier nimmt. Beim Verbot sexistischer Werbung werden auch Fragen nach Eigentumsverhältnissen und ökonomischen Interessen aufgeworfen. „Wem gehören die Flächen, auf denen sexistische Werbung hängt? Und steht nicht Menschenwürde vor Eigentum? Ich will nicht sagen, wir haben jetzt schon die Lösung, sondern eine Debatte darüber führen.“ Rechten Parteien ginge es vor allem darum, gute Bedingungen für den Markt zu schaffen. Schenker geht es hingegen um einen transformatorischen Ansatz. Bürgerratsstrukturen aufbauen, Basisdemokratie, das, findet Schenker, sind gute Ideen.

Als es vor zweieinhalb Jahren um das Verbot in Friedrichshain-Kreuzberg ging, titelte der Tagesspiegel: „Wie bei den Taliban!“ Eine Politik der Verbote schürt die Angst vor Bevormundung. Freiheit kann sehr unterschiedlich verstanden werden. Und immer noch gilt: Sex sells! Die Diskussionen über Verbote sexistischer Werbung werden konfrontativ geführt. Genau das liebt Schenker. „Das war eine wahnsinnig aufregende Debatte. Die ganzen rechten Parteien, CDU, FDP und AfD, haben getobt.“ Er redet schnell. Schenker möchte Widersprüche sichtbar machen, sie ausreizen und gegen Widerstände gehen.

Die Linke nennt er ein Erfolgsprojekt. Gibt es da auch eine Angst, von der Realpolitik aufgefressen zu werden? „Ja, auf jeden Fall, aber da muss man Schwerpunkte setzen.“ Vielleicht sollen ihn die Haare an das Festhalten an der Revolution erinnern, die er mit der Realpolitik verbinden will. Schenker betont, dass er nicht als linker Chaot wahrgenommen werden will, das ist er nicht. Bestimmt ist es eine Herausforderung, ernst genommen zu werden mit 23 und abstehenden Haaren. Wie möchte er denn wahrgenommen werden? „Es geht um Inhalte, die sind wichtig. Personen sind austauschbarer als Positionen.“ Auch in seiner Bescheidenheit wirkt er professionell.

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