Giovanna Gilges ist so etwas wie „die Frau für alles“ – für Prostituierte. Seit einigen Wochen führt Gilges in Bochum Gesundheitsberatungen für Sexarbeitende durch. Jeden Tag muss sie Fragen beantworten wie: Wo kann man sich auf sexuell übertragbare Krankheiten testen lassen? Welche Gynäkologinnen gibt es im Umkreis? Wie ist das mit den Kosten für Gesundheitschecks, wenn jemand keine Krankenversicherung hat?
Mit Sexarbeit kennt sich Gilges aus. Seit Jahren forscht die Kulturpädagogin und Genderwissenschaftlerin zur Sexarbeit, als sogenannte Speakerin kann man die Fachfrau für Podien und Diskussionsveranstaltungen „buchen“. In der Bochumer Beratung hat sie die Sexarbeitenden und ihre Bedürfnisse im Blick. Dabei nimmt sie sich so viel Zeit, wie ihre Gesprächspartnerinnen und -partner brauchen. Auch wenn das mitunter länger dauert, als es beide Seiten dachten.
Für das, was Gilges macht, gibt es keine Aufgabenbeschreibung, um an dieser Stelle einen Begriff aus der Welt der Bürokratie zu verwenden. Auch kaum „Vorbilder“. Denn die Stelle, die Gilges jetzt einnimmt, wurde im Zuge der Verabschiedung des sogenannten Prostituiertenschutzgesetzes geschaffen. Im Herbst 2016 wurde das heftig umstrittene Bundesgesetz beschlossen, im Sommer 2017 trat es in Kraft. Doch erst zu Beginn dieses Jahres entfaltet es infolge von Übergangsfristen und Einzelregelungen seine volle Wirkungsmacht.
Das Gesetz zielt vordergründig darauf, Zwangsprostitution und Gewalt gegen Prostituierte aufzudecken, Sexarbeitende besser zu schützen und Steuerhinterziehung zu vermeiden. So müssen sich Prostituierte jetzt in der Kommune, in der sie arbeiten, anmelden. Sexarbeitende sprechen vom „Hurenpass“: eine Art Ausweis mit Passbild, den sie immer dabeihaben müssen. Darüber hinaus sind sie verpflichtet, sich mindestens einmal im Jahr gesundheitlich beraten zu lassen. Ohne Beratung keine Anmeldung.
Und wer ist jetzt zuständig?
Und, wo liegt da das Problem? In anderen Branchen müssen sich Dienstleistende schließlich auch anmelden, einen Betriebsausweis bei sich tragen, Gesundheitschecks sind vielfach Pflicht. Beim Prostituiertenschutzgesetz ist die Lage anders: Der Bund hat die Umsetzung dieses Bundesgesetzes den Ländern übertragen, die wiederum haben ihre Kommunen verpflichtet, das Gesetz umzusetzen. Die Folge: Niemand weiß so richtig, was zu tun ist. Und: Wer soll das alles bezahlen? Die zusätzlichen Stellen, die Beratungen, den bürokratischen Aufwand? Wer ist zuständig: Bürgerämter, Gesundheitsämter, Polizei?
Am Ende macht es jede Kommune anders. „Wir haben einen Flickenteppich“, sagt Ruth Delius vom Gesundheits-, Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamt in Bielefeld: „Ähnlich wie bei der Bildungspolitik.“
Sexarbeit in Zahlen
Prostituierte: Schätzungen, darunter vom Statistischen Bundesamt und der Prostituiertenorganisation Hydra, gehen von 400.000 bis zu einer Million Frauen und Männer im Sexgewerbe aus.
Freier: Bis zu einer Million Männer täglich sollen die Dienste von Prostituierten in Anspruch nehmen.
Umsatz: 14,6 Milliarden Euro jährlich verdienen laut Statistischem Bundesamt Prostituierte insgesamt.
Preise: Eine Nummer im Bordell kostet durchschnittlich 50 Euro, auf dem Straßenstrich 25 Euro. Hostessen sind deutlich teuer: etwa 100 Euro.
Nordrhein-Westfalen, wo Bielefeld liegt, war recht fix bei der Umsetzung des Gesetzes – im Gegensatz zu anderen Ländern und Kommunen. Das Land hat eine Ausführungsverordnung erlassen, das heißt, die Kommunen haben schnell klare Handungsanweiungen bekommen, wie sie das Gesetz umsetzen können. Andere Bundesländer, beispielsweise Baden-Württemberg, erließen ein Ausführungsgesetz: um zu klären, wie das Gesetz umgesetzt werden soll, wurde ein weiteres Gesetz erlassen. Das ist umständlich und dauert länger.
Sebastian Altemüller vom Sozialministerium in Baden-Württemberg sagt: „Ein Gesetz zu erarbeiten, ist ein komplexer Vorgang, der Zeit braucht.“ Deshalb habe das Sozialministerium dafür gesorgt, dass beispielsweise „in Stuttgart übergangsweise eine Beratungsstelle für Prostituierte aus dem Boden gestampft“ wurde, sagt Altemüller. Ab November 2017 schließlich waren die Kommunen arbeitsfähig: genügend Personal, Gesundheitsberatung in den Gesundheitsämtern, Anmeldebescheinigungen gibt es bei den Landratsämtern.
Prostitution ist seit 2001 legal. Wie viele Sexarbeitende es gibt, ist allerdings unklar. Schätzungen schwanken bundesweit zwischen 400.000 und einer Million, vorrangig Frauen. So wurde die Zahl der Sexarbeitenden in Bochum laut Astrid Gabb vom Prostituiertenverein Madonna auf eine „fünfstellige Zahl“ geschätzt. Am Ende sollen sich über 3.000 Frauen angemeldet haben.
Christoph Lang vom Berliner Gesundheitssenat berichtet von rund 1.250 Prostituierten, die sich in Berlin nach dem neuen Gesetz angemeldet haben. Umgang und Handhabung sollen in der Hauptstadt besonders „unübersichtlich“ sein. Das erzürnt vor allem jene, die täglich mit den Folgen zu tun haben. Zum Beispiel Joanna Lesniak von der Beratungsstelle Hydra. Das Chaos sei „nicht einfach eine Katastrophe, sondern eine Respektlosigkeit“, klagt sie. Die meisten wussten nicht, wo sie sich überhaupt anmelden sollten, andere versuchten es bei den Ordnungsämtern in den jeweiligen Bezirken. Viele wurden weggeschickt, mit Begründungen wie: nicht zuständig, wir wissen auch nicht, wo man sich anmelden kann. Mittlerweile können sich Betroffene aus ganz Berlin im Bezirk Tempelhof-Schöneberg anmelden. Nur: Räume und Personal für die Gesundheitsberatung fehlen weitgehend, achtzehn Stellen, so hieß es, müssten noch besetzt werden. Das einzig Positive in Berlin: keine Gebühren. In Bayern kosten Anmeldung und Beratung je 35 €.
Und was, wenn die Prostituierten nur schlecht Deutsch sprechen? In Mecklenburg-Vorpommern hat man eine Idee: Handzettel in elf verschiedenen Sprachen, darunter in Englisch, Spanisch, Ungarisch, Rumänisch, Thai, Ukrainisch. In Beratungen können notfalls Videodolmetscher zugeschaltet werden, sagt Anja Neutzling vom Landesgesundheitsamt in Mecklenburg-Vorpommern. Dort nehmen Gewerbe- und Ordnungsämter die Registrierungen vor, die Gesundheitsämter führen die Gesundheitsberatung durch.
Der Gang zu den Behörden sei für die meisten Sexarbeitenden schwierig, sagt Astrid Gabb vom Bochumer Verein Madonna: „Besonders für Migrantinnen.“ Sie hätten vielfach negative Erfahrungen mit Behörden gemacht. Das erlebt auch Giovanna Gilges: „Ich nehme eine sehr starke Verunsicherung und Verwirrung bei den Sexarbeitenden in meiner Beratung wahr.“ Ihre „Sprechstunden“ finden im Gesundheitsamt statt.
Die Behörden erfassen die Daten der Prostituierten, diese fürchten ein Zwangsouting. Im Sexgewerbe arbeiten viele Frauen aus EU-Ländern, in denen – anders als in Deutschland – Prostitution unter Strafe steht, beispielsweise in Rumänien. Simone Heneka von Pink, einer Beratungsstelle für Prostituierte in Freiburg, kennt die Ängste: „Kommt da auf einmal Post zur Familie nach Rumänien? Darf ich dann nicht mehr einreisen?“
Mit ein wenig Fingerspitzengefühl der Behörden sei das zu vermeiden, sagt Giovanna Gilges: Das Ordnungsamt müsse dem Finanzamt mitteilen, wer sich angemeldet hat. Dafür reiche dem Ordnungsamt eine Zustelladresse. „Das muss nicht die Wohnadresse sein“, sagt Gilges. Darüber aber werden die Betroffenen möglicherweise nicht informiert – und dann geht so ein Brief tatsächlich an die Wohnadresse oder – im Falle von Arbeitsmigrantinnen – an den Heimatort zu den Eltern.
Zudem fürchten Prostituierte Datenmissbrauch. Möglicherweise nicht unbegründet. Charlie Hansen vom Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen sagt: „In Bayern scheint es, als würden die Daten automatisch an die Polizei weitergereicht.“ Dann tauchen sie möglicherweise in Datenbanken auf, auf die ausländische Beamte zugreifen können.“ Gerade läuft dazu eine Anfrage an die Landesdatenschutzbeauftragten.
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