Wenn mein Vergewaltiger mich heiraten darf

Nahost In Marokko, Tunesien und zuletzt Jordanien wurde das Gesetz abgeschafft, das Vergewaltigern ermöglichte, ihre Opfer zu heiraten und so straffrei davonzukommen
Ausgabe 32/2017

Marokko im März 2012, Amina Filali stirbt im Krankenhaus. Das 16-jährige Mädchen hatte Rattengift geschluckt, nachdem sie gezwungen worden war, ihren Vergewaltiger zu heiraten, ganz legal. Damals löste der Fall weitreichende Empörung aus, in Marokko und international.

2014 wurde das Gesetz abgeschafft, das Vergewaltigern ermöglichte, ihre Opfer zu heiraten und so straffrei davonzukommen. Vor zwei Wochen entledigte sich Tunesien eines ähnlichen Gesetzes, zuletzt folgte Jordanien. Dort ermöglichte der Artikel 308 Vergewaltigern die Straffreiheit, wenn sie ihre Opfer heirateten und die Familie des Opfers dem zustimmte. Die Ehe musste dann mindestens drei Jahre dauern. Zwischen 2010 und 2013 wurden 159 solcher „Ehen“ geschlossen.

Der Abschaffung des Artikels gingen kontroverse Diskussionen voraus. Jene, die ihn beibehalten oder nur etwas abändern wollten, beschrieben ihn als Reaktion auf das Stigma, Sex außerhalb der Ehe gehabt zu haben. Der Artikel 308 solle sowohl die Frauen selbst wie auch die Ehre der Familie schützen. Ob der Sex konsensuell war oder nicht, spielte in diesen Überlegungen nicht die zentrale Rolle.

Der Konflikt erzählt viel über das Frauenbild und die Position der Frau in den arabischen Gesellschaften. Geht es um die Jungfräulichkeit von Frauen, für die die Familie verantwortlich ist? Die Institution der Ehe ermöglicht es in diesem Fall, die Scham einer Vergewaltigung abzuwenden, indem das öffentliche Bild gewahrt wird. Oder geht es um die Selbstbestimmung von Frauen, kurz: um Menschenrechte?

Für alle, die denken, die Antwort liege auf der Hand: Der Artikel 308 ist nicht einfach ein islamisches Gesetz, auch wenn seine Abschaffung längst überfällig war. In ihm spiegeln sich verschiedene Rechtstraditionen. Dabei spielt auch das koloniale Erbe eine große Rolle. Der jordanische Gesetzesartikel stammt aus dem osmanischen Recht, dort wurde er wiederum aus dem französischen Recht übernommen. Es ist noch nicht lange her, dass es auch in Europa noch solche Gesetze gab. In Frankreich wurde ein ähnlicher Artikel laut Human Rights Watch erst 1994 abgeschafft.

Menschenrechte haben kein Geschlecht, schrieb die Berliner Schriftstellerin Hedwig Dohm 1876 in einem Text, in dem sie das Frauenwahlrecht forderte. Voraussetzung für Selbstbestimmung, das wusste sie, ist Partizipation. Was im Gesetz als Vergewaltigung gelten soll, was nicht, ist weiter ein Politikum. Das zeigte auch die Reform des Sexualstrafrechts in Deutschland im vergangenen Jahr.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden