Oscar Milde

Kunst-Blumen Die grafische Sammlung des Pariser Centre Pompidou stellt den US-Künstler Jim Hodges vor, der am gleichen Tag wie Oscar Wilde geboren ist. Treffen mit einem Dandy

Reich an dramatisch-würzigen Aromen, angereichert mit floralen Noten von Rosen, Ylang-Ylang, Patschuli, Moschus und Vanille – so wird das Lieblingsparfum von Jim Hodges beworben, das legendäre "Malmaison" der Londoner Parfumerie Floris. Von einer förmlichen Höflichkeit, doch auf den ersten Blick weit weniger mondän: der Künstler selbst. Er trägt Jeans zu Tunschuhen, und lässt sich tief in einen weißen Ledersessel sinken. "Als ich nach New York zog", erzählt er, "saß ich oft in Coffeeshops herum, jung und arm . Vier Jahre lang zeichnete ich Blüten." Für Hodges waren sie ein erstes Symbol, eines, das ihm nach seinem Umzug ins Brooklyn der frühen achtziger Jahre helfen sollte, die Normen und Heilsversprechen seiner Schulzeit in Spokane, Washington, abzustreifen und sein eigenes Wertesystem darüberzulegen: "Wie verhalte ich selbst mich zu Hässlichkeit, Scham und Attraktion?" Der Künstler hat am gleichen Tag Geburtstag wie Oscar Wilde, und mit Wilde teilt Hodges neben seinem Parfum auch den katholischen Glauben und die sexuelle Orientierung. "Love" hat er Jahre nach jenen Morgenstunden in den tristen Coffebars auf ein Papier geschrieben, jeden Buchstaben aus spinnenfein gezeichneten Kettengliedern zusammengesetzt. Gemeint ist besonders die männliche Liebe, die (allein?) die "ganze Bandbreite" beinhalte: Liebe in ihrer "süßesten, liebsten Form", doch auch die "harsche, brutale Stärke".

Mehr "Platz für Himmel"

Die Übersicht gewinnen, Dinge anordnen, in eine Reihenfolge oder Formgebung bringen: Die Kunst von Jim Hodges – 60 Werke zeigt nun die erste europäische Einzelausstellung in der grafischen Sammlung des Centre Georges Pompidou – ist nicht streng komponiert, aber sorgsam gearbeitet, sie erschlägt den Betrachter nicht, aber drängt sich ihm doch ins Bewusstsein. Akribisch schneidet Hodges Baumblätter aus großfomatigen Fotografien, um an den Leerstellen mehr "Platz für Himmel" zu schaffen. Oder er pinnt seine gemalten Blumen, die innerhalb von vier Jahren zu einem stolzen Strauss von etwa 50 Papierservietten angewachsen sind, an eine Wand. Spiegelscherben trägt er auf Leinwand auf, rund um ein unsichtbares Zentrum geordnet, in immer gleichen Abständen.
Ob in seinem Atelier oder im Gespräch an einem Herbstmorgen in Paris: Wie in einem barocken Gedicht übermalt Jim Hodges sorgfältig Bild mit Bild, legt Eindruck über Eindruck. Er sei in einer Zeit aufgewachsen, da es als Wert galt, zunächst einmal die "eigene Stimme in der Welt widerhallen" zu hören, sagt er, und "Kunst halte ich immer für die Einladung, sich selbst zu erfahren, den eigenen Körper, die eigene Lebensweise."


Die Suche nach Schönheit und nach ihrem immanenten Schrecken zieht sich durch seine Arbeiten, die leblosen, gezeichneten Blüten, die zerworfenen Spiegel. Zunächst häuft Jim Hodges Materialien, Eindrücke an und gibt schließlich beiden Seiten einen Sinn: Der momentanen Wahrheit von Schönheit und dem falschen Versprechen ihrer Unvergänglichkeit. Dem Streben nach perfekter Ästhetik und dem Bewusstsein ihrer Unmöglichkeit: "Ja, ich fühle mich zu Schönheit hingezogen, aber auch zu ihrer Dekonstruktion, als Teil eines Mysteriums. Das, was Sie Zerstörung nennen, ist für mich die Hinwendung zu etwas. Ich lege mir vielmehr einen Zugang. Wenn ich einen Spiegel zerschlage, sehe ich das eher als ein Öffnen: als den Versuch flexibler zu werden, den Gedankenfluss zu ändern."
Mehr als zwanzig Jahre sind seit jenen Vormittagen in New Yorker Coffeshops vergangen. In Paris sitzt man heute einem Künstler gegenüber, dessen Antworten wirken wie seine Collagen und Zeichnungen: Ausgefeilt, manieriert, vielleicht sogar detailverliebt – aber auch von einer berührenden Sorgfalt.

Bis 18. Januar 2010, der Katalog kostet 24, 50 Euro

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