Hashtags und Berberitzen: Lob der persischen Küche

Kolumne Der Koch Wo Wehmut herrscht und der Teller spricht: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit – in einem iranischen Exilrestaurant
Ausgabe 17/2023
Fernab der Heimat: Farben, Aromen, Konsistenzen
Fernab der Heimat: Farben, Aromen, Konsistenzen

Foto: Sajjad Hussain/AFP/Getty Images

Eine kulinarische Heimat ist eine vielschichtige Sache. Sie kann ein Ort sein, an dem uns Speisen und Getränke ein Gefühl von zuhause vermitteln – ein Lieblingsrestaurant etwa oder die Küche der Großeltern. Für Menschen aber, die ihren Wohn- und Aufenthaltsort nicht freiwillig, sondern auf Grund von Krieg und Gewalt, Armut und Perspektivlosigkeit verlassen müssen, ist die kulinarische Heimat viel mehr als das: Sie ist die Summe von sensorischen und sozialen Erfahrungen des bisherigen Lebens, zu dem im Exil kein oder nur noch erschwerter Zugang besteht.

In der vergangenen Woche aß ich in einem persischen Restaurant zu Mittag. Eine Handvoll dieser Lokale sucht die Gemeinschaft und befindet sich nah beieinander, mitten in der Stadt. Während draußen große Aufkleber mit den Hashtags #women #life #freedom auf die aktuelle Situation in Iran verweisen, herrscht drinnen eine eher verklärende Sicht auf die Vergangenheit vor der sogenannten Islamischen Revolution, nebst sepiagefärbten Stadtansichten und einem großen Porträtfoto von Mohammad Reza Pahlavi, dem letzten Schah.

Im Restaurant war ich hörbar der einzige Gast, der kein Farsi konnte, ansonsten saßen hier – nach Sprache und Gewandtheit im Umgang mit persischen Gepflogenheiten zu urteilen – mehrheitlich iranischstämmige ältere Damen und Herren, vor sich das Tagesgericht Zereschk Polo.

Die persische (Exil-)Küche ist nun ein anschauliches Beispiel für die Bedeutung der kulinarischen Heimat. Wie in Marcel Prousts Roman Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, in dem vor dem inneren Auge des Protagonisten die Blumen im Garten, die Seerosen im Fluss, die Häuser, die Kirche und schließlich die gesamte Umgebung aus einer Tasse Tee emporsteigen, geht es auch bei Huhn mit Safranreis und Berberitzen nicht nur um den Geschmack, sondern eben auch um die Vergegenwärtigung der eigenen Vergangenheit auf dem Teller.

Erinnerung und Fladenbrot

Denn wie bei Proust ist auch in Iran der eingezäunte Garten die Kernzelle der vom Menschen geformten Landschaft. Im Mitteliranischen wird sie Pardez genannt, ein Ort des Überflusses, der als „Paradies“ auch in unserer Alltagssprache zu finden ist. Dieser Topos spiegelt sich nicht nur in der persischen Poesie, den Miniaturen oder der Teppichkunst, sondern auch im Essen, in den Zutaten, in Farben, Aromen und Konsistenzen. Etwa in den langen Reiskörnern, die so leicht sind, dass man sie fast wegpusten kann, in den erdigen Aromen von Safran und getrockneten schwarzen Limetten, den herben Akzenten von Walnuss und Granatapfel oder den floralen Noten des Rosenwassers. Vor allem aber in den frischen Kräutern – glatter Petersilie und Minze, aber auch Dill, Koriander und Bockshornklee – die es vor, zum und im Essen gibt.

Ein Sangak genanntes Fladenbrot war früher einmal das Grundnahrungsmittel persischer Soldaten fernab der Heimat. Noch heute wird es traditionell auf einem Bett aus Flusskieseln gebacken, das ihm eine eigenwillig zerklüftete Oberfläche verleiht. Jeder der Soldaten soll damals eine Handvoll Steine in der Tasche gehabt haben, die unterwegs zusammengelegt, zum Grund des mobilen Backofens wurden.

Für die Gäste beim Mittagessen schien mir das Paradies verloren. Ihr Alter ließ darauf schließen, dass sie den Iran vermutlich in den ersten Jahrzehnten nach der Revolution von 1979 verlassen haben mussten. Die Berberitzen auf dem Reis waren vielleicht der Kieselstein in ihrer Tasche und beim Mittagessen lag der imaginäre Garten daher nicht irgendwo zwischen Kaspischen Meer und Persischem Golf, sondern kurzfristig mitten in der Kölner Neustadt-Süd.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden