Es begann mit einem Geisterspiel. Im September 1987 empfing Real Madrid den SSC Neapel in der ersten Runde des Europapokals der Landesmeister. Fans waren wegen Ausschreitungen im Vorjahr keine zugelassen. Und zu Hause in einer seiner Villen saß vor einem seiner Fernseher Silvio Berlusconi und wollte es einfach nicht begreifen. Dass zwei der größten Marken des Fußballs bereits in der ersten Knockout-Runde gegeneinander antreten mussten, wirkte wie ein Sakrileg für einen Unternehmer wie ihn, der neben dem AC Mailand auch die Privatsender-Anstalt Mediaset führte. Neapel mit seinem Superstar Diego Maradona gegen die „Königlichen“ von Real, das hielt Berlusconi als Auftaktpartie schlicht für „ökonomischen Unsinn“. Eine gro
#223;e Fußballmarke würde sicher ausscheiden und wäre für den Rest der Saison europaweit unsichtbar. Marken aber mussten gesehen werden, um größer zu werden. Und auch ein Wettbewerb, ein Event, war nur so groß wie dessen Headliner. Was, wenn demnächst Berlusconis AC Milan von solchem Lospech betroffen wäre? Etwas musste passieren.Statt an den verknöcherten Fußballverband UEFA wandte sich Berlusconi direkt an die Profis des globalen Marketings. Die Werbeagentur Saatchi & Saatchi entwickelte für ihn das Konzept einer „Europäischen Fernsehliga“, das den Fußball als das sah, was er werden sollte: ein international gedachtes Vermarktungsprodukt mit enormem Umsatz- und Wachstumspotenzial. Von Berlusconi lanciert, trieb die fixe Idee Super League die UEFA fortan vor sich her. 1991 führte der Verband eine erste Gruppenphase für zunächst acht Mannschaften ein, ein Jahr später wurde daraus ein neuer Wettbewerb mit zentraler Fernsehvermarktung und einheitlichem Markenkern: Logo, Hymne, neuer Name: Geboren war die UEFA Champions League. Bis heute die größte Cashcow im Fußball.Die Super League jedoch, dieses große Fantasma Berlusconis, wurde am Ende nie umgesetzt. Oder etwa doch? Ein genauer Blick lohnt. Das ursprüngliche Konzept der „Fernsehliga“ sah 18 teilnehmende Clubs vor, darunter – das ist wichtig – je zwei bis drei aus den größten Ligen England, Italien, Spanien und Deutschland und dazu je einen aus nur einer Handvoll weiterer Länder. Eine strenge Konzentration auf die großen Marken also. Nicht zufällig erinnert das sehr an die heutige Champions League, die lange schon eine Liga der großen Fußballmarken ist – mit klarer Bevorteilung der größten Märkte.Deren Topclubs sind in der Runde der letzten 16 mittlerweile praktisch unter sich. Die Vorrunde im Herbst dagegen ist zum reinen Aufwärmprogramm verkommen. Sie gaukelt, ebenso wie die vorgeschaltete „Qualifikationsphase“ im Spätsommer, in der sich die Kleinen bei minimalem Gewinn und maximalem Aufwand gegenseitig kannibalisieren müssen, einen Wettbewerb nur noch vor, dessen letzte verbliebene Durchlässigkeit spätestens mit der großen Champions-League-Reform Ende 1998 endgültig abgeschafft wurde.Auch damals war die Abspaltung einer separaten Super League, eines „closed shop“ mit 32 Teams, das entscheidende Druckmittel. Auch damals war Berlusconi ein treibender Faktor. Und auch damals bekamen die großen Marken und Ligen am Ende, was sie wollten: mehr Teilnehmer, mehr garantierte Spiele, mehr Planungssicherheit, mehr Umsatz und globales Wachstum. Mit anderen Worten: eine klassische Umverteilung von unten nach oben.Diese Reform, hastig beschlossen im Dezember 1998, war die endgültige Abwendung vom Gedanken der Chancengleichheit. Von wegen Liga der Meister: Bis zu vier Clubs aus den größten Ligen nehmen seitdem teil, was die Elitenbildung extrem beschleunigt hat. 1987 schied Neapel noch nach zwei Spielen gegen Real Madrid aus. Im Jahr 2013 fiel der italienische Meister schon ungleich sanfter: Trotz nur eines Siegs aus sechs Spielen in der Gruppe mit Real Madrid durfte Juventus Turin als Dritter in der Europa League weitermachen und am Ende stolze 14 internationale Spiele vermarkten. So geht Wohlstandssicherung auf Kosten des Wettbewerbsprinzips.Den Preis zahlen die Meister aus den kleinen Ligen. Sie werden bedeutungslos. Früher hatte Luxemburg das gleiche Startrecht wie Spanien. Jedes Land stellte einen Teilnehmer, den Meister. Im Jahr der großen Reform 1998/99 konnte so auch noch HJK Helsinki aus Finnland an der Gruppenphase teilnehmen. Seitdem hat das kein finnischer Club mehr geschafft. Der aktuelle Modus ist im Wortsinn exklusiv. All das sollte im Blick haben, wer an die Beurteilung des jüngsten Super-League-Vorstoßes geht. Besonders die feste Setzliste für auserwählte Großclubs sorgte für vorhersehbare Empörung. Dabei ist deren Qualifikation für die real existierende Super League (sprich: Champions League) schon lange kaum mehr als Formsache.Auch über die geplante Aufnahme des sportlich eher irrelevanten FC Arsenal sollte sich niemand wundern. Ein Blick auf eines der globalen Markenrankings genügt. Hier rangiert der Londoner Club verlässlich in den Top Ten – dank 19 Teilnahmen am Marken-Schaufenster Champions League seit 1998. Das sind die Werte, die zählen.Wer befeuert die Logik? WirLogische Konsequenz aus alldem ist das diesjährige Halbfinale mit zwei von ultrareichen Golfstaaten finanzierten nationalen Dauermeistern, dem 1,5 Milliarden Euro teuren Spielzeug eines russischen Oligarchen und dem mit 900 Millionen Euro verschuldeten ewigen Glitzerclub Real Madrid. Allesamt mit einem taxierten Markenwert zwischen 1 und 1,5 Milliarden Dollar.Und zu alldem gehört nicht zuletzt die unangenehme Wahrheit, dass wir selbst als globale Fußballkonsumenten, als Sky-Ticket-Käufer, DAZN-Abonnenten, Online-Merchandise-Shopper oder Instagram-Abonnenten von Ronaldo oder Messi die Verdrängungslogik der elitären Fußballmarken munter mitbefeuern.Und so leben wir 2021 in einem Fußballkosmos, wie ihn sich Silvio Berlusconi schon Ende der 1980er ausmalen ließ. Und dessen Nukleus eine faktische Super League im Tarnmantel einer Champions League bildet, in der kaum noch echte Champions willkommen sind. So geht Fußball heute.Placeholder authorbio-1