Der schwierige Jubilar

Reformation Die evangelische Kirche bereitet sich auf das 500-jährige Reformationsjubiläum vor - ein kritischer Umgang mit Hauptprotagonist Martin Luther wäre wünschenswert

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Man kann nicht den "guten" vom "bösen" Luther trennen
Man kann nicht den "guten" vom "bösen" Luther trennen

Bild: Hulton Archive/Getty Images

Martin Luther ist das, was nicht wenige einen deutschen Mythos nennen würden. Seine Reformation veränderte wie kaum ein anderes Ereignis den Lauf der (europäischen) Geschichte. Wenn sich im Jahr 2017 zum 500. Mal sein Thesenanschlag an der Schlosskirche zu Wittenberg jährt, wollen viele evangelische Christen dieses Jubiläum standesgemäß begehen. Dabei sollten sie allerdings nicht besinnungslos den Helden Luther feiern, sondern sich seiner fatalen Rezeption, vor allem in der NS-Zeit, gewärtig werden.

Der Judenhass des Martin Luther

Dass der Mönch Luther vor allem in der Spätphase seines Wirkens von einer rasenden Judenfeindschaft getrieben wurde, wird heute kaum mehr jemand bestreiten. Zu eindeutig belegen seine Schriften wie "Von den Juden und ihren Lügen", wie tief sich die damals gängigen antijüdischen Klischees in das Denken des Doktors der Theologie eingebrannt hatten. Juden seien Wucherer und Ausbeuter der braven christlichen Menschen, eine Plage, der man nur mit Feuer und Schwert beikommen könne.

Mit derartigen Ausfällen bewegte sich der Bibelübersetzer zwar nicht außerhalb der Bahnen des damals gängigen Judenhasses. Wohlfeil wird das Argument, auch Luther sei nur ein "Kind seiner Zeit" gewesen, allerdings dort, wo man mit dieser Behauptung ein ehernes Gedenken im 21. Jahrhundert rechtfertigen möchte und die unbequemen, recht eigentlich abstoßenden Teile seines Werkes mittels Historisierung auszuklammern strebt. So meinte beispielsweise der Lutherforscher und Theologieprofessor Heinz Schilling erst kürzlich in einem Interview angesprochen auf Luthers Judenhass:

"Das ist nichts Besonderes in dieser Zeit. Das kann man ihm auch nicht vorwerfen, sondern das muss man genauso beschreiben. Insbesondere seine starken Ausfälle gegen die Juden. Seine Haltung historisch zu erklären, heißt natürlich nicht, sie in irgendeiner Weise akzeptabel zu machen. Gerade an diesem Punkt ist auf die grundlegende Andersartigkeit seiner und unserer heutigen Welt zu beharren."

Dem Wissenschaftler hätte an dieser Stelle klar sein müssen, dass er damit zwar auf einem geschichtswissenschaftlichen Fachkongress nicht falsch gelegen hätte. Wenn er seine Aussage allerdings auf ein erinnerungspolitisches, öffentliches Großereignis, wie es das Reformationsjubiläum ohne Zweifel werden wird, bezieht, hat er sich gehörig im Ton vergriffen. Denn hier geht es nicht um eine fachwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem historischen Akteur Luther, sondern um die Etablierung eines ganz spezifischen Großnarratives, das den Wittenberger Theologen vorrangig für seine Verdienste um die Etablierung des evangelischen Glaubens geehrt wissen möchte.

Doch gerade weil vieles von dem, was Martin Luther dachte, schrieb und predigte, zeigt, von welch grundlegender "Andersartigkeit" seine Zeit war, darf er nicht heroisiert werden. Im Gegenteil: es gilt herauszustellen, dass ein Großteil seiner Ideen dem normativen Kompass des 21. Jahrhunderts widerspricht und die Figur des ehemaligen Augustinermönches nicht dazu taugt, heute noch als Vorbild zu gelten.

Luther im Nationalsozialismus

Warum die Marginalisierung des luther'schen Antijudaismus keineswegs gerechtfertigt ist und nicht von seinem theologischen Werk getrennt werden kann, zeigt die Inanspruchnahme seiner Theologie durch andere "Kinder ihrer Zeit", nämlich durch die Nationalsozialisten.

Als am 06. Mai 1939 auf der Eisenacher Wartburg, Luthers ehemaliger Wirkungsstätte, eine Gruppe nationalsozialistischer Pfarrer und Theologieprofessoren die Eröffnung des sog. "Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben" feierte, glaubten sie nicht ganz zu Unrecht, sich auf ihren großen Religionsstifter Luther berufen zu können. Ihr Ziel, die Bibel von allen jüdischen Einflüssen zu säubern, was in letzter Konsequenz zur Ausscheidung des gesamten Alten sowie größeren Teilen des Neuen Testaments führte, sahen Theologen wie Walter Grundmann als "Vollendung der Reformation" an.

Wieder andere Bibelwissenschaftler, der berühmteste unter ihnen wohl der Lutherexperte Heinrich Bornkamm, bescheinigten der Theologie ihres Vorbildes

"heute in dem Kampf gegen Börsen- und Zinsknechtschaft eine wunderbare Gegenwärtigkeit."

Und als schließlich im November 1938 die Synagogen in Deutschland brannten und auch dem letzten halbwegs vernünftig denkenden Menschen in Deutschland klar geworden sein musste, wohin die Politik des NS-Staates steuerte, notierte der Bischof der "Thüringer evangelischen Kirchen", Martin Sasse:

"Am 10. November 1938, an Luthers Geburtstag, brennen in Deutschland die Synagogen. [...] In dieser Stunde muss die Stimme des Mannes gehört werden, der als der Deutsche Prophet im 16. Jahrhundert aus Unkenntnis einst als Freund der Juden begann, der getrieben von seinem Gewissen, getrieben von den Erfahrungen und der Wirklichkeit, der größte Antisemit seiner Zeit geworden ist, der Warner seines Volkes wider die Juden.“

Alle diese Männer waren sich sicher, ihren Reformator verstanden zu haben. Und fernab jeder Debatte um die Provenienz der luther'schen Judenfeindschaft, glaubten sie, in seinem Namen handeln zu dürfen.

Gerade weil besonders Luthers antijüdische Schriften in beklemmender Offenheit den Juden gegenüber physische Gewalt nicht nur duldeten, sondern gar guthießen, konnten sie ohne große Schwierigkeiten vom Nationalsozialismus inkorporiert und als Legitimationsargument für ihre Politik der Ausgrenzung, Verfolgung und letztlich Vernichtung herangezogen werden.

Allein deswegen können wir nicht den "guten" vom "bösen" Luther trennen, sondern müssen ihn in seiner Gesamtheit sehen und begreifen lernen. Eine Heroisierung jedenfalls scheint mehr als unangebracht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Johannes Häfner

Historiker, Büroleiter Bodo Ramelow in der Thüringer Staatskanzlei

Johannes Häfner

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