Es ist seit über 10 Jahren dasselbe Spiel. Je näher Bundestagswahlen rücken, umso stärker wird über ein Bündnis zwischen Grünen, SPD und Linken spekuliert. Besonders lautstark treten dabei die Kritiker_innen dieser Machtoption auf.
Die Schimäre der "Wagenknecht-Linken"
Den Startschuss für die Torpedierung von Rot-Rot-Grün gab in dieser Woche Hamburgs zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank von den Grünen. Im obligatorischen Sommerinterview mit dem Hamburg Journal sprach sie sich mit einiger Vehemenz gegen ein Bündnis von Grünen und SPD mit den Linken aus und favorisierte für die Bundestagswahl eine stabile Zweierkonstellation. Wo die außerhalb einer Neuauflage der Großen Koalition derzeit liegen soll, verriet die Hamburger Grüne leider nicht. Schwarz-Grün scheint, glaubt man aktuellen Meinungsumfragen, bislang jedenfalls schwierig – ebenso wie Rot-Rot-Grün.
Hauptargument gegen letzteres Bündnis sah Fegebank in der "Wagenknecht-Linken", die mit "populistischen linken Parolen am rechten Rand" fische. Damit befand sie sich auf einer Linie mit SPD-Vize Ralf Stegner, der bereits im Juni Sahra Wagenknecht als eines der Haupthindernisse auf dem Weg zu möglichen Koalitionen mit der Linken bezeichnete.
Doch wieviel ist wirklich dran an der Angst vor Wagenknecht?
Ohne Zweifel – einige der Einlassungen der Fraktionsvorsitzenden der Linken im Bundestag, insbesondere bzgl. des Themas Geflüchtetenpolitik, konnten als Anbiederung an den rechten Rand (miss-?)verstanden werden.
Doch in diesen Situationen zeigte sich wiederholt, dass Wagenknecht eben doch nur eine Strömung innerhalb der Partei die Linke vertritt, die jedoch bei genauerem Hinsehen keinesfalls für die Partei als Ganzes stehen kann.
Nach ihren umstrittenen Äußerungen ergoss sich jedes Mal eine Welle der Empörung aus der eigenen Partei über die promovierte Volkswirtin. Gar ein Rücktritt wurde vom außenpolitischen Sprecher der Linksfraktion im Bundestag Jan van Aken ins Gespräch gebracht. Die beiden Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger rügten Wagenknecht zumindest implizit. Und siehe da: Die so deutlich Angezählte ruderte immer, mal mehr, mal weniger deutlich, zurück.
Nicht weniger beliebt bei allen Kritiker_innen einer rot-rot-grünen Regierungsoption sind Verweise auf Wagenknechts "Expertisen" zur Außenpolitik. Der ehemalige Wehrbeauftragte des Bundestages, der SPD-Politiker Reinhold Robbe, gab erst kürzlich in der "Welt" zu Protokoll, ihre Äußerungen zu Bundeswehr, Nato usw. seien mit den Positionen der SPD unvereinbar. So weit, so gut. Doch auch hier gilt: Die Linke ist nicht nur oder auch nur überwiegend identisch mit den Positionierungen einer einzigen Abgeordneten inklusive einiger ihrer Mitstreiter_innen. Dass es im Falle möglicher Verhandlungen um Rot-Rot-Grün sicherlich auch ergebnisoffene und konstruktive Gespräche über die künftige deutsche Außenpolitik (Auslandseinsätze, Waffenhandel etc.) mit den Linken geben kann, signalisieren regelmäßig Parteigranden wie Gregor Gysi und Dietmar Bartsch.
Vom heißen Kochen und kalten Essen
Die aktuelle Debatte um die Regierungsfähigkeit der Linkspartei und ihre Fokussierung auf die Person Sahra Wagenknecht zeigt insbesondere eines: Die Hemmungen auf Seiten von SPD und Grünen zur wirklich zielorientierten Sondierung einer möglichen rot-rot-grünen Regierungsoption scheinen um ein Vielfaches größer zu sein, als umgekehrt die Bereitschaft der Linken zu ergebnisoffenen Gesprächen. Doch das vielfach neu aufgewärmte Argument "Wagenknecht" kann bei genauerer Betrachtung kaum stechen.
Sicherlich sind einige Initiativen aus der "Wagenknecht-Fraktion" wie diejenige nach der Auflösung der Nato Maximalforderungen und erscheinen bisweilen kaum realisierbar. Jedem politischen Menschen müsste jedoch klar sein, dass Wahlkämpfe eben in der Regel mit derartigen Maximalforderungen geführt werden, die allerdings, wenn es ans Eingemachte geht, durchaus auch zu Verhandlungsmasse werden. Hier gilt wie in vielen anderen Zusammenhängen auch: "Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird." Man kann zumindest leise optimistisch sein, dass das bis 2017 auch noch einige aus den Reihen von Grünen und SPD verinnerlichen werden.
Kommentare 6
Mit Vernunft sollten alle ihre Sprache überprüfen. Alle Parteien wissen, dass sie ihr Parteiprogramm in einer demokratie niemals 1:1 umsetzen können.
Mit Vernunft würden sie daher zuerst klären, was gemeinsam möglich sein kann und angestrebt werden soll. Stattdessen zerbomben sie schon im Vorfeld mit ihrem ewigen Konkurrenzdenken ihre Chancen.
"Dass es im Falle möglicher Verhandlungen um Rot-Rot-Grün sicherlich auch ergebnisoffene und konstruktive Gespräche [...] geben kann [...]"
Das Angebot kennen wir zu Genüge. Die Linke muss nur genauso werden wie die SPD, dann darf sie auch SPD-Politik machen. Klasse.
Bemerken sie den Haken? Wir wollen nicht so sein wie ihr. Sonst wären wir gleich der SPD beigetreten.
Das sind reine Scheindebatten. Wärend ein Gabriel tatsächlich in ziemlicher Regelmässigkeit am rechten Rand fischt, sind solche Behauptungen bei Wagenknecht einfach nur Verleumdung. Die Aussenpolitischen Differenzen werden völlig aufgebauscht. Wo sollen da unüberbrückbare Hindernisse liegen? Es gibt keine.
Der Grund, warum es 2017 kein rot-rot-grün geben wird liegt ganz wesentlich in der Sozialpolitik. SPD und Grüne sind weit davon entfernt auch nur zu begreifen, was sie mit der Agenda 2010 angerichtet haben. Damit es ein Bündnis mit der Linken geben kann, müssten SPD und Grüne aber willens sein, eine komplett entgegengerichtete Politik zu betreiben. Solange beide Parteien immer noch von Funktionären bestimmt werden, die meinen, die Agenda 2010 sei ein Erfolg für Deutschland gewesen, entweder, weil sie zu dämlich sind die Folgen in ihrem Umfang zu begreifen, oder weil sie ihnen Schnurz sind, kann es kein Bündnis geben.
Das weiss man auch in der SPD. Deswegen ist es wichtig, andere Reibungspunkte zu konstruieren oder aufzubauschen. Ginde man ehrlich an die Sache heran, wie sie das Fordern, müsste die SPD aufhören, vor Wahlen links zu blinken, sondern ehrlich bekennen, dass eine soziale Politit mit ihr nicht machbar ist. Das wäre freilich das Ende einer SPD wie wir sie kennen.
Zuletzt: Es ist @Häfner auch Unsinn so zu tun als stünde Wagenknecht irgendwie allein in der Partei und würde von der Mehrheit zurückgepfiffen. Der Erfolg von Aktionen wie "wir für Wagenknecht" zeigen die realen Verhältnisse. Vermutlich würde eine Petition mit "#HaltdieFresseLederer" in wenigen Stunden mehr Unterstützer erhalten als die medial so ausgeschlachteten paar Hansel, die bei "Sahra es reicht" unterzeichnet haben.
Gregor Gysi hat doch selbst gesagt, daß die Linke die SPD "re-sozialdemokratisieren" wolle.
Nachtrag: Man ißt doch auch keinen Apfel nur wegen der Farbe.
Ganz sicher ist die Personalie Wagenknecht nur vorgeschoben. Meines Erachtens zeigen die Äußerungen einiger Betonfraktion-Parteigänger bei grün und hellrot zwei Dinge:
a) den Unwillen in breiten Kreisen der Grünen- und SPD-Funktionsträgerschicht, eine auch nur minimal sozial eingefärbte Regierungsprogrammatik mitzutragen beziehungsweise sich auf eine solche festzulegen.
b) die Tatsache, dass man parteiintern längst mit anderen Optionen spielt für die Zeit nach dem September 2017.
Welche das sind, kann sich nach Lage der Dinge jede(r) selbst ausrechnen. Rot-Rot-Grün jedenfalls wirds mit Sicherheit nicht sein. Flach fällt mit der sich neuerlich abzeichnenden Vollquarantäne der einzig wirklich sozialdemokratischen Partei auch die Hoffnung, dass der sich immer weiter anstauende soziale Problemdruck in diesem Jahrzehnt noch angegangen wird. Im Gegenteil: Trotz Brexit sowie bereits jetzt hochgradig strapaziertem Sozialklima scheinen ALLE maßgeblichen Parteien auf weiteren, verschärften Klassenkampf von oben zu setzen – zusätzlich angeheizt diesmal durch eine neue rechtspopulistische Kraft mit ihren falschen Polarisierungen.
Wie lange der neoliberal-austeristische deutsche Krug noch zum Brunnen gehen kann, ohne dass es richtig knallt, ist zwar schwer zu prognostizieren. Wenn es jedoch knallt, wird die soziale Ignoranz der vorgeblichen Leistungsträger-Eliten und der ihnen nach dem Mund redenden Mandatsträger ein wesentlicher Mit-Grund dafür sein.