Wenn Hass der neue Nachbar ist

Flucht In der aktuellen Debatte zur "Flüchtlingskrise" lernen wir sehr viel über menschenfeindliches und stereotypes Denken – und über die eigene Nachbarschaft

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Einmal im Jahr findet auch der sonst vielleicht hektische Städter die Zeit, sich in seinen provinziellen Geburtsort zu begeben um mit seiner Familie das Weihnachtsfest zu verbringen. Unter Umständen nutzt er gar die Zeit alte Freunde, Bekannte und Nachbarn zu besuchen, die er im restlichen Jahr kaum zu Gesicht bekommt. Man trinkt, redet, spaßt. Dieses Jahr ist es anders. Topthema, zumindest in einem beschaulichen Landkreis Südthüringens, sind geflüchtete Menschen, welche hier Unterschlupf gefunden haben. Und einige Personen, die man glaubte zu kennen, zeigen ein Gesicht, von dem man nie für möglich gehalten hätte, dass es existiert.

"Wenn das wenigstens Deutsche wären!"

Schon einige Tage vor Weihnachten beginnt der Fressmarathon. Man ist bei Verwandten zum Kaffeekränzchen eingeladen. Beim obligatorischen "Und was treibst du die nächsten Tage so?" antwortet man, beinahe in einem Nebensatz: "...und den Geflüchteten bei uns vielleicht mal Kekse backen." Aus dem schön gedeckten Kaffeetisch wird binnen Sekunden dasjenige, wofür man in Erfurt und Dresden in den letzten Monaten eine Demonstrationsanmeldung brauchte.

"Dann gehen die hier ja nie wieder weg!" ist dabei erst das Singal zum Losschlagen. Aus dem sonst ruhigen, besonnen Mann, der mir gegenüber sitzt, den ich als jemanden kannte, der fest im christlichen Glauben, Nächstenliebe, zumal an Weihnachten wünschte, wird ein Mensch, von dem ich in den letzten Monaten, häufig halb augenzwinkernd, als "Wutbürger" geredet hatte.

Seine Frau stimmt mit ein. Man hätte ja nichts gegen Menschen, aber was ginge uns denn bitte "der Moslem" aus Syrien an? Die Zustände in den westdeutschen Städten seien hinlänglich bekannt und das wünsche man sich hier, einem 300-Seelen-Ort am Rande des Thüringer Waldes, nicht. Es hätte hier einmal in der Nähe einen gegeben, der Moslem gewesen sei. Der habe, wie eine Nachbarin erst gestern zu berichten wusste, seine Frau geschlagen. Daran sehe man ja überdeutlich wohin das führe mit den "Orientalen". Den Deutschen, die nach dem Weltkrieg geflüchtet seien, den habe man gerne geholfen aber: "Das waren wenigstens Deutsche! Zu denen haben wir wenigstens ne echte Verbindung!"

Der Kuchen bleibt einem im Halse stecken. Kühler als sonst verabschiedet man sich, steigt ins Auto und hofft bald wieder aufzuwachen.

4000 Euro Sozialhilfe und der dicke BMW

Noch ordentlich lädiert von diesem Schock möchte man Facebook einen Tag später schon fast dafür danken, dass es hilft herauszufinden was die Nachbarn, eigentlich immer entspannte Menschen mit schicken Autos und dem Hang zu nicht ganz billigen Urlaubsreisen, im vergangenen Jahr so gedacht haben. Zwischen doch recht nervigen Links zu noch nervigeren Online-Games finden sich so "Perlen" wie ein geteilter Beitrag über "türkische Asylanten", die sich jeden Monat ihre 4000 Euro "Ausländerzuschlag" mit dem fetten BMW vom Amt abholen. Man liest es und stellt sich Fragen. Und nein, nicht etwa solche nach der Berechtigung solcher vollkommen unsinnigen Behauptungen, die mittels zweier Klicks im Netz schnell als solche entlarvt werden könnten. Viel eher: Woher kommt diese Melange aus Hass, Wut und der Angst vor sozialer Deklassierung? Und warum ist es immer der vermeintlich "Fremde", auf den sich diese Gefühle projizieren?

Antwortversuche oder "Was tun?"

Antworten zu finden fällt schwer. Schwer auch deswegen weil man es hier mit Menschen zu tun hat, die man kennt oder zumindest zu kennen glaubte. Auf Demonstrationen gegen Pegida, NPD und Co. "Halt die Fresse!" oder "Rassisten!" zu brüllen fiel mir bisweilen, man mag davon halten was man will, nicht schwer. Zu unbekannt, zu anonym erschienen mir diese Menschen. Doch was, wenn plötzlich Nachbarn oder Verwandte dieselben Plattitüden reproduzieren? Ich für meinen Teil habe mich für die Debatte entschieden und in den letzten Tagen Gespräche mit diesen Menschen geführt. Unter anderem auch mit ehemaligen Schulfreunden und -freundinnen, die plötzlich ihre "Liebe zu Deutschland" und ihre Gegnerschaft zur "drohenden Islamisierung" entdeckt zu haben schienen.

Eines sprang mir dabei ins Auge. Auf die Frage, ob sie denn jemals eine Muslima oder einen Moslem kennengelernt hätten, verneinten die meisten - und hatten auch keine Ambitionen daran etwas zu ändern. Gut informiert über diverse größere und etwas kleinere überregionale Tageszeitungen glaubten sie alles über "islamische Terroristen", "den Islam" und all das "mittelalterliche Schariarecht" zu wissen.

Mit einem solchen ideologischen Rüstzeug bepackt ist es weiß Gott kein Wunder, dass Ressentiment nicht nur aber vor allem auch dort entsteht, wo Lebens- und Glaubensentwürfe, die dem "Eigenen" zu widersprechen scheinen, bislang kaum erfahrbar waren. Dieses Defizit abzubauen wäre zu einem Teil auch die Aufgabe der örtlichen Behörden und Entscheidungsgremien. Doch da herrscht, zumal in den kleineren Ortschaften, die Geflüchtete aufgenommen haben, wenig Interesse. Es hilft nicht, wenn im Gemeinderat ab und an wohlwollend darüber gesprochen wird, aber man die örtliche Bevölkerung dann doch lieber damit nicht belästigen möchte, dass es ab jetzt auch in ihrem Zuhause Menschen gibt, die nicht seit Generationen auf die selben Dorffeste strömen wie sie.

Menschen miteinander in Kontakt zu bringen um Vorurteile abzubauen scheint mir jedenfalls nach meinem Weihnachtsurlaub nach wie vor eine der dringlichsten Aufgaben auf dem Weg hin zu einem friedlichen Miteinander zu sein.

Und mit einem "Die Welt endet nicht am Ortsausgangsschild deines Dorfes!" verabschiede ich mich wieder Richtung Stadt. Mit einer Menge Nachdenkenswertem im Gepäck.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Johannes Häfner

Historiker, Büroleiter Bodo Ramelow in der Thüringer Staatskanzlei

Johannes Häfner

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