Wider das "richtig" und "falsch"

Journalismus In Zeiten von "Fake-News" und "Lügenpresse"-Geschrei versuchen Medienschaffende die Trennung zwischen "Fakt" und "Meinung" zu reetablieren. Ein hoffnungsloses Unterfangen

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Frank- Walter Steinmeier sagt es und viele andere sagen es auch: Demokratie lebt zu einem Gutteil von dem Grundsatz, dass "auch der andere recht haben könnte." Für die Etablierung und Aufrechterhaltung einer Debattenkultur, die diesem Prinzip Rechnung trägt, braucht es eine freie Presse. Eine freie Presse, die den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit gibt, im Dschungel der Statements und Positionierungen eigene Standpunkte zu formulieren. In den letzten Jahren gerät jedoch die "vierte Macht" im Staate zunehmend in die Kritik. Besonders von ganz rechts wird immer wieder moniert, eine Trennung zwischen Fakten und Meinungen würde kaum mehr stattfinden. Gar von Journalist*innen als politischen Aktivist*innen ist die Rede. Die so Angegriffenen reagieren in der Regel schnell und und häufig selbstkritisch. Da wird viel gesprochen von der Pflicht zu umfassenden und "objektiven" Recherchen und davon, die Journalist*innen dürften sich nicht mit einer Sache - "auch nicht mit einer guten" - gemeinmachen.

Was ist "wahr"?

Damit laden sich Redakteure und Redakteurinnen freilich selbst eine Last auf, unter der sie nur zusammenbrechen können. Forderungen wie die nach "Objektivität" fußen nämlich auf einem Welt- und Wirklichkeitsverständnis, das von einer überzeitlichen und im Grunde allen Menschen zugänglichen Idee von "Wahrheit" ausgeht. Eben jene Annahme greift jedoch zu kurz. Das, was in einer spezifischen gesellschaftlichen Gruppe als "Wirklichkeit" oder "Wahrheit" akzeptiert wird, ist nichts anderes als das Ergebnis bestimmter kultureller Kämpfe um Deutungshoheit.

Journalist*innen schweben allerdings nicht wie ein Gott über diesen Ereignissen, sondern sind in solche Auseinandersetzungen - ob sie wollen oder nicht - immer eingebunden. Sie können sich nicht von ihrem Selbst lösen. Kein Mensch kann das.

Auch Medienschaffende haben politische Präferenzen, folgen bestimmten Sprachregelungen (bspw. in Fragen des Genderns), bewegen sich in spezifischen Freundeskreisen oder adaptieren unterschiedliche philosophische/ethische Grundprinizpien. All dies hat Auswirkungen darauf, wie sie schreiben und mit den Meldungen, die über ihren Ticker kommen, umgehen - also im Endeffekt, was sie als verbreitbare "Wahrheit" zu vertreten bereit sind.

Für eine Kultur des produktiven Zweifels

All dessen müssen sich Leserinnen und Leser bewusst sein. Und sie sind es - wenn auch häufig nur unterbewusst. Ein AfD-Mitglied wird wahrscheinlich (nicht notwendig) eher Medien konsumieren, von denen es sich eine Darstellung der politischen Lage in Deutschland und eine Interpretation der "Fakten" verspricht, die sich mit seinen weltanschaulichen Grundpositionen deckt. Nicht anders die Leserin des FREITAG oder der SZ.

Journalist*innen, die diese Problematik erkannt haben, können aus ihr produktive Schlüsse ableiten. Zum Beispiel den, das verantwortungsbewusster Journalismus eben nicht der ist, der auf Biegen und Brechen "die Wahrheit" in die Welt hinausrufen möchte, sondern derjenige, der seinen Leser*innen plausible Deutungsangebote der Gegenwart unterbreitet. Die Betonung liegt dabei auf "Angebote". Dort wo es angebracht ist, sollten Medienschaffende darauf hinweisen, dass auch ihre Position nur eine unter vielen anderen ist und kritisch gegengelesen werden muss. Sie entlassen den Lesenden nicht aus der Verantwortung weiterzudenken.

"Wirklichkeit" ist kontingent. Und ein Journalismus, der dieses für sich akzeptieren kann, hat sich damit mehr geholfen, als mit endlosen Debatten über "Fakt", "Fiktion" und "Meinung".

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Johannes Häfner

Historiker, Büroleiter Bodo Ramelow in der Thüringer Staatskanzlei

Johannes Häfner

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