Wie aus Tätern Opfer werden

Histotainment Das ZDF-Geschichtsfernsehen beherrscht seit Jahrzehnten das Genre der deutschsprachigen Zeitgeschichtsdokumentation - mit fatalen Folgen für die Erinnerungskultur

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Guido Knopp präsentiert 2009 sein Buch "Die Sternstunden der Deutschen"
Guido Knopp präsentiert 2009 sein Buch "Die Sternstunden der Deutschen"

Foto: Data73/imago

Guido hat's geschafft! Die Zeiten, in denen Herr Prof. Dr. Knopp seine Zuschauer*innen mit einem andächtigen, beinahe sakralen: "Bleiben Sie uns treu!" Woche für Woche aus seiner ganz eigenen öffentlich-rechtlichen Geschichtsstunde "ZDF History" entlassen hat, sind seit Anfang 2013 vorbei. Doch in seiner über 30-jährigen Karriere beim ZDF hat Deutschlands bekanntester TV-Historiker ein höchst brisantes Erbe hinterlassen und Millionen Fernsehkonsument*innen ein Bild der deutschen Geschichte vermittelt, das, um es gelinde zu sagen, in den 1950er-Jahren stecken geblieben ist.

"Hitlers Helfer"

Vielleicht trägt der Autor dieses Artikels die sprichwörtlichen Eulen nach Athen, wenn er darauf hinweist, dass Knopps Leib- und Magenthema von jeher die jüngste deutsche Geschichte, namentlich Nationalsozialismus und Shoa, darstellte. Der mediale Durchbruch gelang Knopp Mitte der 1990er mit einer Sendereihe, die sich auf diesen Teil der Historie konzentrierte und bis heute in nicht wenigen deutschen Klassenzimmern nach wie vor zum Standardrepertoire des Geschichtsunterrichts zählt: "Hitlers Helfer".

In zahlreichen, 45-minütigen Dokumentarfilmen präsentierte das Journalist*innenteam um den Mainzer-Starhistoriker die ihrer Meinung nach zentralen Akteure im NS-Herrschaftssystem. Joseph Goebbels durfte da ebenso wenig fehlen wie der (Blut-)Richter Roland Freisler oder Hermann Göring als Hitlers Stellvertreter. Dumm nur, dass die knopp'sche Redaktion einen besonders wichtigen Komplizen bewusst aussparte – weite Teile der deutschen Bevölkerung.

In ihrer Machart beschränkte sich die Fernsehserie darauf, die Verbrechen und Schandtaten einiger hochrangiger Nationalsozialisten um Hitler zu rekonstruieren. Schnell entstand der Eindruck, eine wildgewordene machthungrige Clique habe das "deutsche Volk" gewissermaßen über Nacht okkupiert. Kein Wort von der Übereinstimmung eines Großteils der deutschen Bevölkerung mit der völkischen und antisemitischen Agitation und Politik der NSDAP, nicht einmal ein Hinweis auf die polykratische Herrschaftsstruktur eines Staates, dessen Vernichtungspläne überhaupt nur deshalb umsetzbar wurden, weil viele Beamt*innen bereitwillig ihrem "Führer" zuarbeiteten und so erheblich zur teuflischen Perfektionierung der NS-Mordmaschinerie beitrugen. Hinter den Biographien einiger hochrangiger Parteigänger Hitlers verschwand all das ohne auch nur eine kritische Frage bezüglich dieser Schuld zu stellen.

Doch die knopp'sche Geschichts-Erledigung hielt da nicht an. In späteren Staffeln von "Hitlers Helfer", in denen Wehrmacht-Generale und Feldmarschälle wie Alfred Jodl oder Wilhelm Keitel die Hauptrollen spielen durften, wurde sogar deren mehr als offenkundige Mitschuld an Massenverbrechen zumindest fahrlässig verharmlost. Zum Nürnberger Todesurteil gegen Jodl heißt es da beispielsweise:

"Es trifft einen Mann, der die Augen verschloss vor den Verbrechen und vor der Frage nach der eigenen Moral."

Vorenthalten wurde den Zuschauer*innen freilich, dass jener angeblich vom Schicksal so schwer verführte Mann nicht nur durch seine Unterschrift den sogenannten "Kommissarbefehl" mit auf den Weg brachte, also die systematische und völkerrechtswidrige Ermordung von Führungskadern der Roten Armee bzw. KPdSU im deutschen Russland-Feldzug. Sondern dass er auch an der Deportation und Vernichtung der europäischen Juden maßgeblich beteiligt war. Hannes Heer hat diese Form des knopp'schen Geschichtsrevisionismus einmal wunderbar auf den Punkt gebracht:

"Besonders zu bedauern sind diejenigen, die sich nicht selbst >verstricken< sondern >verstrickt werden<. So ergeht es der ganzen Wehrmacht und vor allem ihrer Generalität[...]. [...] Alle waren sie von Grund auf >unpolitisch< und sind nur Hitlers >dunkler Faszination< mehr oder weniger >verfallen<."

Im Grunde reduzierte Knopp mit einer derartigen Präsentation der Vergangenheit sämtliches Verbrecherische auf die Person Hitlers und pflegte überdies den Mythos einer "sauberen Wehrmacht".

Sowjetische Bestien und deutsche Opfer?

Die beinahe schon liebevolle Pflege des deutschen Opfermythos, insbesondere der Wehrmacht, zieht sich wie ein roter Faden durch das Oevre des TV-Stars Knopp.

Aus Anlass des 60. Jahrestages zum Ende der Schlacht um Stalingrad beispielsweise scheute das ZDF keine Kosten und Mühen und beauftragte den liebsten Geschichtslehrer der Deutschen und sein Team mit der Anfertigung einer monumentalen dreiteiligen Doku zum Thema.

An drei Abenden flimmerte dann ein Schauspiel über die Matschscheiben, bei dem sich allen halbwegs ernsthaften Historiker*innen die Nackenhaare aufstellen mussten.

In insgesamt über zwei Stunden wurde das Bild einer deutschen 6. Armee gezeichnet, die nichts mehr gewesen sei, als eine Gruppe betrogener, junger und idealistischer Männer, von Hitler zum Werkzeug degradiert und ohne jede Ahnung, warum sie überhaupt in der Sowjetunion kämpfen und bluten müsse. Zahlreiche Zeitzeugen, in der Regel deutsche Landser, legten häufig tränenreich Zeugnis ab von den unsäglichen Zuständen im Kessel, ihrem Heimweh und ihrer Ablehnung der nationalsozialistischen Weltanschauung.

Als absolutes Gegenbild hatte man die überlebenden Angehörigen der sowjetischen Streitkräfte auserkoren, die in zusammengeschnittenen Interviewfetzen erklären durften mit welch großer Freude sie deutsche Soldaten massakriert und ausgeraubt hätten. Die implizite Botschaft scheint dabei mehr als klar und reproduziert, wenn man so weit gehen möchte, gar Stereotype der goebbel'schen Propaganda von den "bestialischen Horden aus dem Osten".

Während vermeintliche und tatsächliche Verbrechen der Roten Armee stark überbetont wurden, sparte man die Massenmorde der Sechsten Armee vor der Stalingrader Schlacht konsequent aus und vermittelte das Bild einer "sauberen" Truppe, die sich jeder Barbarei enthalten hätte.

In der Nacht sind alle Katzen grau

Und dann kommt er doch – der Rekurs auf die Vernichtung der europäischen Juden. Wer nun allerdings glaubt, das von Knopp entworfene, romantisierende Bild eines anständigen Landers bekäme Risse, der täuscht sich gewaltig.

Wenn überhaupt werden Wehrmachtsangehörige zu Augenzeugen. Genozidale Verbrechen begehen andere – SS, Einsatzgruppen oder ukrainische Hilfspolizisten.

Im Jahr 2003 zu solch einem Befund zu gelangen, lässt sich nur noch mit der im Kern apologetischen Stoßrichtung des knopp'schen Geschichtsfernsehens erklären. Bereits seit 1997 und der kontrovers diskutierten Wehrmachtsaustellung des Hamburger Insituts für Sozialforschung hatte sich in der akademisch verfassten Geschichtswissenschaft die Ansicht durchgesetzt, dass auch die Wehrmacht selbstständig und systematisch massenweise Juden und als Partisanen deklarierte Zivilisten ermordet hatte. Diese bewusste Auslassung spricht Bände über die Intention der ZDF-Fernsehreihe und gab Geschichtsrevisionist*innen jeglicher Coleur bereitwillig Entschuldungs-Argumente an die Hand.

Wem ob der Kürze dieses Artikels die hier angeführten Belege nicht stichhaltig genug erscheinen, dem empfiehlt der Autor einen Blick in das bereits 1992 vom ZDF veröffentlichte Buch "Der verdammte Krieg. Entscheidung Stalingrad". Hier gibt Knopp bereits eindrücklich Auskunft über das, was 11 Jahre später in seiner Stalingrad-Reihe realisiert werden sollte.

Auf die Frage des Shoa-Überlebenden Eli Wiesel, warum dem Tod der deutschen Soldaten in Stalingrad hierzulande eine derartige Bedeutung zuteilwerde, wo doch zur selben Zeit im deutschen Machtbereich Millionen und Abermillionen unschuldiger Menschen vergast, erschossen und zu Tode geschunden wurden, antwortete Knopp entlarvend:

"[...]weil ihr sinnloses Sterben sich vor den Augen der Welt abspielte – im Gegensatz zum Rassenmord in Auschwitz."

Damit ist die Idee des knopp'schen Histotainments klar auf den Punkt gebracht: Toter ist Toter, Ursache und Wirkung spielen keine Rolle mehr, Täter und Opfer mutieren zu beliebig austauschbaren Statisten im Geschichtstheater des ZDF.

Wer ein solches Geschichtsbild über Jahre und Jahrzehnte im öffentlich-rechtlichen Fernsehen doziert, der muss sich vielleicht auch nicht mehr wundern, wenn die plumpe Deutschtümelei und der vielbeschworene "Stolz aufs Vaterland" eines Björn Höcke überall in Deutschland auf fruchtbaren Boden fallen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Johannes Häfner

Historiker, Büroleiter Bodo Ramelow in der Thüringer Staatskanzlei

Johannes Häfner

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