Wollte man sein akademisches Leben mit einem Bild beschreiben, bliebe wohl nur das der Achterbahnfahrt. Im Jahre 1963 stürmte der immer ernst dreinblickende und völlig unbekannte Gymnasiallehrer Ernst Nolte mit seiner bahnbrechenden Untersuchung "Der Faschismus in seiner Epoche" quasi über Nacht den Olymp der akademischen Geschichtswissenschaft in Deutschland. Etwas mehr als zwei Jahrzehnte später schoss sich der vielumjumbelte Star im Zuge des "Historikerstreits" selbst ins Aus. Jetzt ist Ernst Nolte im Alter von 93 Jahren in Berlin gestorben.
Der Philosoph, der nicht Historiker sein wollte
Geboren am 11. Januar 1923 im nordrhein-westfälischen Witten blieben dem Sohn eines katholischen Schuldirektors aufgrund einer Fehlbildung an der linken Hand die Schrecken der Front erspart. Als kriegsuntauglich ausgemustert nahm er als 18-jähriger ein Studium der Germanistik, Altphilologie und Philosophie auf, welches er im Jahr 1945 abschloss. Obgleich er sich in den darauffolgenden Jahren als Lehrer verdingte, blieb er der Wissenschaft treu und promovierte im Jahre 1952 mit einer philosophischen Arbeit zu "Selbstentfremdung und Dialektik im deutschen Idealismus und bei Marx".
Den Stallgeruch des Philosophen sollte Nolte niemals loswerden. Auch nicht, als er im Jahre 1963 auf Vorschlag des ebenso berühmten wie umstrittenen Theodor Schieder mit seiner bereits damals vorliegenden und hochgelobten Schrift zum Faschismus habilitiert und wenig später als ordentlicher Professor für Neuere Geschichte an die Universität Marburg berufen wurde.
Wahrscheinlich störte das den katholischen Westfalen auch gar nicht. Er selbst sah sich zeit seines Lebens – und darauf legte er großen Wert – nicht als Historiker, sondern als "Geschichtsdenker". Vielleicht lagen auch und gerade in dieser Selbstwahrnehmung die Wurzeln verborgen, die ihn später zu äußerst spekulativen und teils empörenden Urteilen über die deutsche Geschichte kommen ließen.
Das alles war im Jahre 1964 jedoch noch ferne Zukunftsmusik. Mit seiner vergleichenden Studie zum Faschismus italienischer Prägung, dem deutschen Nationalsozialismus und der Action francaise hatte der Philosoph die deutsche Geschichtswissenschaft auf den Kopf gestellt und die nationalstaatliche Beschränktheit, an der das Fach seit Jahrzehnten herumlaborierte, quasi von Außen aufgebrochen.
Nachdem er 1973 ans Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin gewechselt war, wurde es jedoch zusehends ruhiger um den hemdsärmeligen Gelehrten. Hatte er sich in Marburg noch kurz vorher mit aller Vehemenz und öffentlich gut vernehmbar gegen die Habilitation des Marxisten Reinhard Kühnl gewehrt und schon von der Umwandlung der Universität in eine "marxistisch-leninistische Parteihochschule" fabuliert, zog er sich in der geteilten Stadt zunächst in stille Gelehrtenarbeit zurück.
"Historikerstreit" und zunehmende Isolierung
Umso lauter war der Aufschrei, als sich Nolte im Jahre 1986 mit einem Paukenschlag wieder in der Öffentlichkeit zurückmeldete und den sogenannten "Historikerstreit" auslöste. In seinem heute berühmt-berüchtigten FAZ-Artikel "Vergangenheit, die nicht vergehen will" stellte Nolte Fragen, die seinen Kritikern, unter ihnen große Namen wie Jürgen Habermas und Hans-Ulrich Wehler, berechtigterweise als Relativierung nationalsozialistischer Verbrechen erscheinen mussten:
War nicht der "Archipel
GULag" ursprünglicher als "Ausch-
witz"? War nicht der "Klassenmord"
der Bolschewiki das logische und fakti-
sche Prius des "Rassenmords" der Nationalsozialisten?
Obgleich bis heute über die Ergebnisse einer der wohl größten Kontroversen der deutschen Geschichtswissenschaft gestritten wird, hatte Nolte sich mit derartigen Positionen, die er in späteren Büchern sogar noch zuspitzte, nachhaltig diskreditiert. Vielen galt er fortan als "persona non grata". Doch Zurückrudern war Noltes Sache nicht. Ganz im Gegenteil. Einladungen, die vor allem auch nach seiner Emeritierung im Jahre 1991, nun immer häufiger von rechtskonservativen und "neurechten" Burschenschaften und Zeitungen kamen, nahm der Historiker und Philosoph immer bereitwilliger an. Im Jahr 2011 verlieh ihm die "Junge Freiheit" den sogenannten "Gerhard-Löwenthal-Preis für Publizistik".
All dies zeugt von der Ambivalenz, die wohl auf ewig mit dem Namen Ernst Nolte verbunden bleiben wird. Wie mit ihr von der Nachwelt umgegangen werden soll, was sich aus ihr für zukünftige Generationen von Wissenschaftler_innen lernen lässt – die Antworten auf diese Fragen wird Nolte schuldig bleiben.
Kommentare 5
Danke für den Beitrag.
Mir fiel bei der Nachricht vom Tode Noltes auf, wie weit weg die Historikerkontroverse mittlerweile zu sein scheint. Nolte war wohl in den letzten Jahren sehr verbittert. Er war einfach "out of time". Wenn ich ein Fernsehinterview richtig erinnere, fühlte er sich zudem bewusst falsch interpretiert. Die Rec hten warten nur auf diese "ausgestoßenen" Vorzeigewissenschaftler.
Wir sollten nicht Noltes Verdienste vergessen. Seine ideologieeschichlichliche Herleitung der Faschismen (inklusive des Nationalsozialismus) ist immer noch lesenswert. Und sein Sammelband "Theorien über den Faschismus" (Neue Wissenschaftl. Bibliothek, die "gelbe Reihe") ist eine Fundgrube, z.B. wenn es um aktuelle Formen des Faschismus geht.
Wie geht es mit der Geschichtswissenschaft weiter, ohne diese Alten mit Ecken und Kanten wie Hobsbawm, Mommsen, Wehler und eben auch Nolte?
"Er war einfach "out of time". Wenn ich ein Fernsehinterview richtig erinnere, fühlte er sich zudem bewusst falsch interpretiert. Die Rec hten warten nur auf diese "ausgestoßenen" Vorzeigewissenschaftler."
Zuletzt war er ja auch sehr alt, lieber wwalkie. Obwohl er in Deutschland zur "persona non grata" wurde, freute es ihn um somehr, dass er in Italien die Seminare fühlte. Da war Nolte, als er noch reiste, ein Star. Inzwischen wird er , neben dem wiederbelebten Otto Strasser, von den Rechten künstlich beatmet.
Guter Nachruf im Spiegel und/oder Lorenz Jäger zum 90. von Ernst Nolte.
@ Lieber Johannes Häfner, Danke für den Beitrag!
"All dies zeugt von der Ambivalenz, die wohl auf ewig mit dem Namen Ernst Nolte verbunden bleiben wird"
Na ich hoffe nicht, dass die Rechten soviel Macht bekommen, dass Nolte Ewigkeitsstatus erwirkt. Mal abgesehen davon, dass er so bedeutend dann auch nicht war. ;)
LG am
"All dies zeugt von der Ambivalenz, die wohl auf ewig mit dem Namen Ernst Nolte verbunden bleiben wird" - Na gut, der Mann hatte seine Verdienste („Der Faschismus in seiner Epoche“). Aber seine Haltung im Historikerstreit ambivalent zu nennen, geht über den Grad an Nachsicht, der einem Toten gebührt, doch weit hinaus. Nolte gab jenen „Ideologieplanern“, von denen Habermas 1986 sprach, die Stichworte:
Die Ideologieplaner wollen über eine Wiederbelebung des Nationalbewußtseins Konsens beschaffen, gleichzeitig müssen sie aber die nationalstaatlichen Feindbilder aus dem Bereich der Nato verbannen. Für diese Manipulation bietet Noltes Theorie einen großen Vorzug. Er schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe: Die Nazi-Verbrechen verlieren ihre Singularität dadurch, daß sie als Antwort auf (heute fortdauernde) bolschewistische Vernichtungsdrohungen mindestens verständlich gemacht werden. Auschwitz schrumpft auf das Format einer technischen Innovation und erklärt sich aus der „asiatischen“ Bedrohung durch einen Feind, der immer noch vor unseren Toren steht.
Wie geht es mit der Geschichtswissenschaft weiter, ohne diese Alten mit Ecken und Kanten wie Hobsbawm, Mommsen, Wehler und eben auch Nolte?
Stromlinienförmig, glaub' ich, und politisch sehr korrekt. Das ist ja immer das Wichtigste.
Die relevanten Aufarbeitungen der Nazi-Zeit sind nicht vor 100 Jahren ab heute und wahrscheinlich nicht von Deutschen zu erwarten. Die Ruhe zum Verstehen und zur angemessenen Wichtung kommt erst, wenn nichts mehr unter den Nägeln brennt, und das ist noch längst nicht der Fall.
Wahrscheinlich wird das Verdikt viel schlimmer ausfallen, als es sich heute darstellt, weil zukünftige Historiker das gesamte Spinnennetz der Kräfte, die damals konkurrierten und kooperierten, im Zusammenhang sehen und die Kräfte in Bezug zueinander setzen werden. Das wird Deutschland nicht wesentlich entlasten, aber es wird zeigen, dass Deutschland nur ein Spieler unter mehreren war, ein Umstand, der, heute ins Spiel gebracht, allzueinfach als Relativierung abgeschmettert werden kann, obwohl er einfach nur Sachlage ist. Vielleicht ahnte Nolte etwas in dieser Art. Wahrscheinlich war er aber nur verblendet.