Zum Tod des Historikers Ernst Nolte

Nachruf Ernst Nolte war die fleischgewordene Kontroverse und der wohl umstrittenste Historiker der Bundesrepublik. Ein kritisches Adieu

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Ernst Nolte ist im Alter von 93 Jahren in Berlin gestorben
Ernst Nolte ist im Alter von 93 Jahren in Berlin gestorben

Bild: imago/Leemage

Wollte man sein akademisches Leben mit einem Bild beschreiben, bliebe wohl nur das der Achterbahnfahrt. Im Jahre 1963 stürmte der immer ernst dreinblickende und völlig unbekannte Gymnasiallehrer Ernst Nolte mit seiner bahnbrechenden Untersuchung "Der Faschismus in seiner Epoche" quasi über Nacht den Olymp der akademischen Geschichtswissenschaft in Deutschland. Etwas mehr als zwei Jahrzehnte später schoss sich der vielumjumbelte Star im Zuge des "Historikerstreits" selbst ins Aus. Jetzt ist Ernst Nolte im Alter von 93 Jahren in Berlin gestorben.

Der Philosoph, der nicht Historiker sein wollte

Geboren am 11. Januar 1923 im nordrhein-westfälischen Witten blieben dem Sohn eines katholischen Schuldirektors aufgrund einer Fehlbildung an der linken Hand die Schrecken der Front erspart. Als kriegsuntauglich ausgemustert nahm er als 18-jähriger ein Studium der Germanistik, Altphilologie und Philosophie auf, welches er im Jahr 1945 abschloss. Obgleich er sich in den darauffolgenden Jahren als Lehrer verdingte, blieb er der Wissenschaft treu und promovierte im Jahre 1952 mit einer philosophischen Arbeit zu "Selbstentfremdung und Dialektik im deutschen Idealismus und bei Marx".

Den Stallgeruch des Philosophen sollte Nolte niemals loswerden. Auch nicht, als er im Jahre 1963 auf Vorschlag des ebenso berühmten wie umstrittenen Theodor Schieder mit seiner bereits damals vorliegenden und hochgelobten Schrift zum Faschismus habilitiert und wenig später als ordentlicher Professor für Neuere Geschichte an die Universität Marburg berufen wurde.

Wahrscheinlich störte das den katholischen Westfalen auch gar nicht. Er selbst sah sich zeit seines Lebens – und darauf legte er großen Wert – nicht als Historiker, sondern als "Geschichtsdenker". Vielleicht lagen auch und gerade in dieser Selbstwahrnehmung die Wurzeln verborgen, die ihn später zu äußerst spekulativen und teils empörenden Urteilen über die deutsche Geschichte kommen ließen.

Das alles war im Jahre 1964 jedoch noch ferne Zukunftsmusik. Mit seiner vergleichenden Studie zum Faschismus italienischer Prägung, dem deutschen Nationalsozialismus und der Action francaise hatte der Philosoph die deutsche Geschichtswissenschaft auf den Kopf gestellt und die nationalstaatliche Beschränktheit, an der das Fach seit Jahrzehnten herumlaborierte, quasi von Außen aufgebrochen.

Nachdem er 1973 ans Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin gewechselt war, wurde es jedoch zusehends ruhiger um den hemdsärmeligen Gelehrten. Hatte er sich in Marburg noch kurz vorher mit aller Vehemenz und öffentlich gut vernehmbar gegen die Habilitation des Marxisten Reinhard Kühnl gewehrt und schon von der Umwandlung der Universität in eine "marxistisch-leninistische Parteihochschule" fabuliert, zog er sich in der geteilten Stadt zunächst in stille Gelehrtenarbeit zurück.

"Historikerstreit" und zunehmende Isolierung

Umso lauter war der Aufschrei, als sich Nolte im Jahre 1986 mit einem Paukenschlag wieder in der Öffentlichkeit zurückmeldete und den sogenannten "Historikerstreit" auslöste. In seinem heute berühmt-berüchtigten FAZ-Artikel "Vergangenheit, die nicht vergehen will" stellte Nolte Fragen, die seinen Kritikern, unter ihnen große Namen wie Jürgen Habermas und Hans-Ulrich Wehler, berechtigterweise als Relativierung nationalsozialistischer Verbrechen erscheinen mussten:

War nicht der "Archipel

GULag" ursprünglicher als "Ausch-

witz"? War nicht der "Klassenmord"

der Bolschewiki das logische und fakti-

sche Prius des "Rassenmords" der Nationalsozialisten?

Obgleich bis heute über die Ergebnisse einer der wohl größten Kontroversen der deutschen Geschichtswissenschaft gestritten wird, hatte Nolte sich mit derartigen Positionen, die er in späteren Büchern sogar noch zuspitzte, nachhaltig diskreditiert. Vielen galt er fortan als "persona non grata". Doch Zurückrudern war Noltes Sache nicht. Ganz im Gegenteil. Einladungen, die vor allem auch nach seiner Emeritierung im Jahre 1991, nun immer häufiger von rechtskonservativen und "neurechten" Burschenschaften und Zeitungen kamen, nahm der Historiker und Philosoph immer bereitwilliger an. Im Jahr 2011 verlieh ihm die "Junge Freiheit" den sogenannten "Gerhard-Löwenthal-Preis für Publizistik".

All dies zeugt von der Ambivalenz, die wohl auf ewig mit dem Namen Ernst Nolte verbunden bleiben wird. Wie mit ihr von der Nachwelt umgegangen werden soll, was sich aus ihr für zukünftige Generationen von Wissenschaftler_innen lernen lässt – die Antworten auf diese Fragen wird Nolte schuldig bleiben.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Johannes Häfner

Historiker, Büroleiter Bodo Ramelow in der Thüringer Staatskanzlei

Johannes Häfner

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