Zum Tod des Historikers Hans Mommsen

Nachruf Er galt als einer der bedeutendsten deutschen Historiker des 20. Jahrhunderts. Nun ist Hans Mommsen an seinem 85. Geburtstag verstorben

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Hans Mommsen
Hans Mommsen

Bild: Imago/Gezett

Für Legionen von Studierenden waren seine Schriften zur Geschichte des Nationalsozialismus Pflichtlektüre. Viele Fachkollegen und Fachkolleginnen sahen in ihm einen der brillantesten Vertreter der deutschen Zeitgeschichtsschreibung. Heute ist Hans Mommsen auf den Tag genau 85 Jahre nach seiner Geburt verstorben.

Unbequeme Klarheit

Mommsen, der nicht selten als schwieriger, aber im wissenschaftlichen Wettstreit der Argumente immer fairer Kontrahent gesehen wurde, war seine Profession sicherlich ein stückweit in die Wiege gelegt, entstammte er doch einer der bedeutendsten deutschen Historikerfamilien. Theodor Mommsen, den ersten deutschen Literaturnobelpreisträger und weltweit bekannten Althistoriker, konnte er seinen Urgroßvater nennen.

Nachdem er sich seine ersten akademischen Meriten in Tübingen als Schüler des heute hochumstrittenen Hans Rothfels verdient hatte und 1959 mit einer Arbeit zur Nationalitätenfrage im Habsburgerreich promoviert wurde, folgte eine steile Karriere. Noch vor seinem 40. Geburtstag auf den Lehrstuhl für Neuere Geschichte an der Universität Bochum berufen, mischte sich der juvenile Ordinarius schnell in die ganz großen Streitfragen der jungen Bundesrepublik ein.

In der Kontroverse um die Rolle Hitlers während der NS-Zeit brachte Mommsen mehr als nur ein liebgewonnenes Lügengebäude der deutschen Nachkriegsgesellschaft ihre eigene Vergangenheit betreffend zum Einsturz. Zunächst machte er sich an die Dekonstruktion des Bildes eines allmächtigen Diktators, der mit beinahe magischen Fähigkeiten ausgestattet, ganz allein sämtliche Verbrechen begangen und dazu noch das gesamte deutsche Volk in Geiselhaft gehalten hätte. Mommsen hielt dem seine polykratische Deutung des NS-Herrschaftssystems entgegen. Er konnte zeigen, dass nicht zentrale Steuerung, sondern ein chaotisches Gegeneinander unterschiedlicher Machtgruppen innerhalb des Staatsapparates eine verhängnisvolle Entwicklung voran- und letztlich ihrem Höhepunkt, dem millionenfachen Mord an den Juden Europas, entgegentrieb.

Mit diesen Forschungen stellte der Historiker auch die Frage nach der Verantwortung des Einzelnen im NS-Staat und lenkte erstmals die Blicke weg von den Granden a la Himmler, Goebbels und Co. hin zur mittleren und niederen Beamtenebene der Müllers, Meyers und Schulzes, die durch ihr "Zuarbeiten" das verbrecherische System erst am Laufen hielten. Damit führte er freilich diverse Entschuldungsmythen der "Vätergeneration" ad absurdum.

Ungerechtfertigte Apologetik war dem temperamentvollen Mommsen sowieso immer und überall ein Dorn im Auge. So verstand es sich beinahe von selbst, dass er auch im Historikerstreit der 1980er-Jahre klar Position gegen den Berliner Professor Ernst Nolte und dessen These von der mittelbaren Schuld des Bolschewismus am nationalsozialistischen Völkermord bezog.

Ein streitbarer Geist

Nach seiner Emeritierung im Jahre 1996 wurde es, wen wunderte es, nicht ruhiger um den vielbeschäftigten Geisteswissenschaftler. Immer wieder meldete er sich zu Wort und bereicherte mit seinen Einschätzungen zu den aktuellsten geschichtswissenschaftlichen Problemen und Studien so manche Debatte. Dabei blieb er freilich immer unbequem, ab und an polemisch, vor allem aber streitbar.

Wenn er beispielsweise den Autoren der großangelegten Studie "Das Amt und die Vergangenheit" zur Rolle des Auswärtigen Amtes in der NS-Zeit den Vorschlag unterbreitete, sie hätten lieber noch einmal ein historisches Proseminar besuchen sollen, so war das Mommsen wie er leibte und lebte. Man mochte derartige Äußerungen mit einigem Recht als überzogen ansehen, Gewicht hatten sie dennoch und an ihnen konnte und sollte man sich reiben. So war es dem Adlatus der deutschen Zeitgeschichtsschreibung wohl auch am liebsten.

Mit Hans Mommsen verliert die deutsche und internationale Geschichtswissenschaft einen ihrer ohne Zweifel streibarsten aber gleichzeitig klügsten Köpfe.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Johannes Häfner

Historiker, Büroleiter Bodo Ramelow in der Thüringer Staatskanzlei

Johannes Häfner

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