Ein Begriff soll mit viel Aufwand im medialen Raum plaziert werden. Worum dreht es sich bei der Generation Berlin? Sie hat sich selbst als Generation von "Youngstern" erfunden, denn in Wirklichkeit gibt es sie gar nicht, weil sich die "Nach-68er-Jahrgänge" politisch, kulturell oder gesellschaftlich jedenfalls nicht in Schlüsselerlebnissen gleichen, die mit diesem Schlagwort zu fassen wären.
Was die "Youngsters" eint, ist die "Gemeinschaft der Haltung". Einer der geistigen Väter (Jg. 1954), der Soziologe Heinz Bude, beschreibt Haltung als "keine Position außerhalb des Spiels von Macht, Wissen und Geld." "Vergangenheitspolitische Alarmreflexe" schadeten nur - weshalb etwa die Debatte über die Entschädigung der Zwangsarbeiter zur "Rechtfertigung notwendiger außen-, wirtschafts- oder sozialpolitischer Richtungsentscheidungen" "wenig" taugten.
Wirklich nicht? Könnte nicht etwa eine verantwortungsvolle Debatte geführt werden, könnte daraus nicht eine Politik resultieren, die sich mehr um die Benachteiligten und Schwachen kümmerte und sich an den benachteiligten und schwachen Ländern in Europa und der Welt orientierte?
Von den "Youngsters" wird die "Definition neuer Unterscheidungen und anderer Entscheidungsszenarien, die eine Berliner von der Bonner Republik absetzen können", gesucht. (Heinz Bude)
Wie sieht diese "Neu-Definition" konkret aus? Die "Generation Berlin" plagt die Sorge um die "reale Ressourcenknappheit", die Staatsverschuldung und das System der Rentenversicherung, das für sie nicht mehr in der "üblichen Weise wirksam werden" könne. Verständliche soziale Ängste mischen sich mit dem ausgemachten Feindbild, dass angeblich "Altlinke" die Deutungshoheit über den Begriff des Sozialen und der Solidarität besäßen, wo doch in Wirklichkeit Neoliberalismus und Deregulierung den Sozialstaat gefährden.
Für die "Generation Berlin" entpuppen sich "Globalisierung" und Standortdebatte nicht als Strategie der Finanz- und Wirtschaftsoligarchie, sondern als bloßer Kampf um die Verteilung der Ressourcen. Sozial ist für sie folglich nur noch das, was ihnen nützt. Sozial ist, wenn "die" Rentner weniger "bekommen", weil sie "unverdientermaßen" "zuviel" erhalten. Solange aber unklar ist, in wessen Taschen der Zuwachs des Sozialprodukts fließt, kann man Junge gegen Alte, Arbeiter gegen Rentner, Beitragszahler gegen Beamte, Habenichtse gegen Wohlhabende wunderbar ausspielen. Es ist die uralte angloamerikanische Doktrin, das Prinzip der Piraterie, mit dem Großbritannien Weltmacht wurde, und der Geist der Pioniere der amerikanischen frontiers, wo nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen war. "Nicht diejenigen, die das Realkapital mit ihrer Hände Arbeit geschaffen haben, sollen dessen Nutznießer sein, sondern die es finanzieren", schlussfolgerte der Sozialwissenschafler Ernst Ulrich Köpf in der Zeit.
Dazu brauchen "wir", meint Bude, den "unternehmerischen Einzelnen", der sich "nicht an vorgegebene Standards hält, sondern eigene Kombinationen ausprobiert und auf dem Markt anbietet". Passgenau wird eine neue "locker-leichte", anspruchslose Ideologie geschaffen, um der "neoliberalen Hegemonie" Akzeptanz zu verschaffen. Der Politologe Christoph Butterwegge sieht darin eine drohende Konsequenz: "Privatisierung läuft auf Entpolitisierung, diese auf Entdemokratisierung der Gesellschaft hinaus, weil nunmehr der Bourgeois jene Entscheidungen trifft, die eigentlich dem Citoyen, dem Gemeinwesen und seinem gewählten Repräsentanten vorbehalten bleiben sollten. Der neoliberale Minimalstaat wird zum Kriminalstaat", denn die Reduktion der Wohlfahrt zwingt ihn verstärkt zur Repression gegenüber den sogenannten Modernisierungsverlierern: den Opfern seiner rückwärtsgerichteten "Reformpolitik".
Die "Generation Berlin" will diesen Umbau der "Bonner Republik" ideologisch begleiten und weitertreiben. "Wir leben ... schon jenseits der politisch-ideologischen Strömungen und gesellschaftlich-historischen Zusammenhänge des 20. Jahrhunderts", meint Heinz Bude, einer jener zu "Liberalen" konvertierten "Linken" und geistigen Mentoren der modernen "Generation Berlin", die sich vor allem seit der Wende von 1989 für die wirklich Mächtigen im Staate entschieden haben, weil ihnen Macht und Führerschaft ihrer marxistisch-leninistischen Studentengruppe durch die Zeitläufte abhanden kam. Zwar fehle noch das Vorstellungsvermögen für die zugleich "posttotalitäre" und "postliberale" Situation, beklagt Bude, indem er mit der rhetorischen Wende vom "Ich" zum "Wir" demonstrativ seine Übereinstimmung mit den modernen Strategien des Kapitals auszudrückt: aber"wir" seien "nach 1989 zum ersten Weg einer kapitalistischen und individualistischen, aber auch universalistischen und rationalistischen Moderne zurückgekehrt."
Die "Generation Berlin" hat "sich selbst exponiert, um die Dinge in Fluß zu bringen"(Heinz Bude). "Moderne" Politik ist nicht "rechts" nicht "links", sie ist "Mitte", sagt er. Was "aufgeklärtes Interesse", "humanitäre" Intervention, "gerecht", "sozial" und "innovativ" ist, soll von jenen bestimmt werden, die sich über den machtgesicherten Wohlstand definieren. Keine Zweifel zu haben, nicht mehr tiefer, sondern anders - "mittig" eben - zu fragen, das kennzeichnet die angeblich "neue" "Berliner Generation". So erescheinen die Gegensätze zwischen Reichtum und Armut, zwischen Kapital und Arbeit, zwischen "Erster Welt" und "Dritter Welt" als Anachronismus, als Think-Tank der Eliten, die eine Alternative zum neoliberalen Weltkapitalismus verhindern wollen.
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