Beschwörung geschönter Vergangenheit

Außenpolitik Die Reden des Außenministers dieser Tage

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Beschwörung geschönter Vergangenheit.

Deutsche Außenminister scheinen eine ganz besondere Species zu sein: In der Regel halten sie sich sehr lange in ihrem Amt, reisen unentwegt um die Welt und halten leicht verdauliche Reden zur Redlichkeit der Deutschen auf der Weltbühne, so wie sie ja schon immer ein wenig zu spät auftraten. Wer kann solch einem netten Kerl denn auch einen Platz an der Sonne verwehren? Selbstverständlich lässt er dem großen Bruder den Vortritt, bietet ihm sein Handtuch, seinen Schirm samt Matte an, immer betulich, immer vorauseilend selbstlos Hilfe anbietend.

Was für ein kitschiges Narrativ!

Da waren die letzten vier Jahre schon eine harte Prüfung für den treuen Freund. Aber jetzt ist es ja überstanden. Jetzt wird alles wieder gut. Die anthropomorphe Bebilderung internationaler Politik verhüllt dabei gnädig die knall harten wirtschaftlichen Interessen der großen Player hüben wie drüben. Der Dieselskandal (schon vergessen?) ist da nur ein kleines Beispiel für die Unverfrorenheit, wie man Konkurrenten am langen Arm versucht auszuhungern. Tja, das ging dann wohl mal nach hinten los.

Aber wir wollen ja nach vorne schauen:

So wird dieser Tage der deutsche Außenminister – sie wissen schon, wen ich meine: medial ist er tapfer und selbstredend integer unablässig unterwegs - nicht müde zu beteuern, dass Deutschland, oh Pardon, Europa – sprich EU – selbstverständlich bereit ist, in die wieder erwachte freundschaftliche Adressenaustauschbörse mehr Geld fließen zu lassen, dem Bündnis mehr Bedeutung zuzugestehen und ein fair-play der Sonderklasse einzuläuten!

Wenn hinter den Kulissen – wirecard schon vergessen? - böse Buben solch ehrlichem Bestreben in die Parade fahren, dann hilft das dennoch beim Beschönigen alter Fehler des alten Freundes:

Schon vergessen: der Korea-Krieg, der Vietnam-Krieg, der Irak-Krieg, der Afghanistan-Krieg, das Syrien- und Jemen-Desaster? Wie schön soll denn dieses von Unkenntnis und kultureller Arroganz gekennzeichnetes Schlachten noch geredet werden?

Tja – für solche Ausflüge in längst vergangene Gewaltexzesse bleibt im Moment leider keine Zeit, denn „wir“ müssen nach vorne schauen, an einer „besseren Zukunft“ mitarbeiten. Also gleich mal schnell die BW in Afghanistan für ein weiteres Jahr verpflichten. Das sind wir dem alten Mann in Washington einfach schuldig – was hat der nicht alles ertragen müssen unter seinem Vorgänger! Also bitte, unser deutscher Außenminister tut wirklich gut daran, nicht nur Worte zu schwingen, sondern Taten folgen zu lassen, damit wir wieder richtig gute Freunde werden, wir knallharten Konkurrenten auf dem Weltmarkt, wo doch tatsächlich gerade jemand dabei ist, „uns“ scheinbar links zu überholen mit üblen, üblen Methoden. „Wir“ sind die Redlichen von der Tankstelle, wir wollen nur helfen. Oder?

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Geschrieben von

Johannes Seiler

Alles Erinnern ist Erfinden und alles Erfinden Erinnern

Johannes Seiler

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