Wohlstand und Bequemlichkeit als Eckpfeiler einer bräsigen Selbstgefälligkeit - in Gefahr?

Einschränkung? - Nein, danke! Nach mehreren Jahrzehnten Konsum-Steigerungs-Wettläufen ist der Konsument längst so konditioniert, dass er seine Situation für normal hält. Jede Einschränkung erlebt er sofort als Eingriff in seine Freiheit - als wenn Freiheit eine Ware wär

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Der Blick in den Spiegel.

Frau Bequemlichkeit räkelt sich bräsig in der Hängematte.

Nach 77 Jahren ohne Krieg in Mitteleuropa erscheinen düstere Wolken am Horoskop-Himmel: Euer Wohlstand wird wie Butter an der Sonne schmelzen, weil der böse Putler einen Krieg vom Zaun brach und einfach weiter macht. Eure Sicherheit wird wie Schnee an der Sonne wegtauen, wenn ihr nicht ordentlich aufrüstet. Aber dalli, dalli.

Wie bitte? Ich denke ja gar nicht daran, mich auch nur beim Toilettenpapier einzuschränken. Und in Sachen Mobilität steht ja jetzt wohl nach der Pandemie Reisen ganz groß auf der Agenda. Ist doch so was von klar.

Es gibt für Rüstungsproduktion genügend Infra-Struktur, um die endlich mal wieder so richtig heiß laufen zu lassen. Kurbelt vielleicht sogar die Wirtschaft wieder an und lässt uns an einer Rezession vorbeischrammen. Erhöhte Steuereinnahmen werden die Folge sein. Damit kann dann der Aufschwung finanziert werden. Wahrscheinlich müssen wir diesem Putler sogar noch danken.

Sollen die Politiker sich mal was beeilen mit dem Ausbau regenerativer Energie-Versorgung.

Ich hab längst eine neue Karre bestellt – mit Batterie, versteht sich.

Also, was soll das Theater?

Sonst wäre aber ganz schön schlechte Laune angesagt. Wir Europäer sollen den Gürtel enger schnallen! Wie bitte? Das möchte ich aber erst mal selber entscheiden. Klar?

Mein Tag ist wohl getaktet und mit Gesichtscreme und after-lunch-nap genau verortet in meinem täglichen Wohlfühlambiente.

Bequemlichkeit? Nee, das ist der hart erarbeitete neue life-style.

Wohlergehen? Was soll das denn sein? Ach so, wandern, biken, Bücher lesen. Die cloud cloud sein lassen. Sollen die bots sich doch mit sich selbst unterhalten.

Mit mir jedenfalls ist da gar nicht zu rechnen. Sich erinnern? Woran denn?

Memento mori des achten und des neunten Mai‘s vor 77 Jahren!

Natürlich können Menschen auch ohne Komfort feste Feiern, heiraten, wandern. Natürlich kann man Klamotten auch länger tragen, natürlich muss die Bude nicht geheizt sein, um gut drauf zu sein. Aber das war eben vor 77 Jahren.

Erst wird man voll auf Egoismus und Individualismus getrimmt, dass sich die Balken biegen – vom Fitness-Center zum Beispiel – und nun soll auf einmal das „WIR“ wieder en vogue sein.

Nicht mit mir!

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Geschrieben von

Johannes Seiler

Alles Erinnern ist Erfinden und alles Erfinden Erinnern

Johannes Seiler

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