Aus dem Regen in die Traufe: Wie die Europäer in die eigene Wohlstandsfalle gerieten.

Knechtschaft gestern und heute Ein Zitat von Hannah Arendt aus dem Jahr 1943 bekommt auf unangenehme Weise eine brisante Aktualität: Europa in Knechtschaft vor amerikansichen Geld und Fabriken - damals eine Vision, heute ein eiskalter Wind - ausgelöst durch einen Krieg.

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Ein visionäres Statement der Simone Weil aus dem Jahre 1943

Vor knapp achtzig Jahren fasste Simone Weil die Situation in Europa folgendermaßen zusammen:

„Europa bleibt im Zentrum des Dramas...Wenn wir nur durch Amerikas Gelder und Fabriken befreit werden, fallen wir auf die eine oder andere Weise in eine Form der Knechtschaft zurück, die der heutigen gleicht.“ (Simone Weil 1943)

Ähnelte nicht tatsächlich nach 1945 die Befreiung Deutschlands von Diktatur und Terror durch die Amerikaner einem New Deal, in dem die Europäer ihre Seele verkauften, um einen sogenannten Neuanfang angeboten zu bekommen?

Und schien es nicht so, dass Jahr für Jahr dieser „DEAL“ sich als d e r Joker herausstellte: wachsender Wohlstand, wachsender Konsum, wachsende Mobilität, wachsende Einkommen, wachsende Konten, wachsende Börsenkurse...und die politische Gestaltung abgegeben an eine Parteiendemokratie, deren Verfassung natürlich auch maßgeblich von den Siegermächten mitgestaltet worden war.

So konnten die Bürger mit ihren blitzenden Statussymbolen stolz durch die Gegend düsen, überließen die Politik – nun ja, alle vier Jahre mal das Bestehende abnicken, war ja zumutbar – den „Profis“ und assistierten brav den USA bei ihrer Containment-Policy.

Dass sie dabei immer mehr historisch gewachsenes Selbstbewusstsein als Europäer an den großen Bruder abgaben, dem es nur um Absatzmärkte und Einflusszonen ging, war auch kein Problem, da man ja gelernt hatte, den Mund zu halten – vor 1945 wegen der Geheimen Staatspolizei, nach 1945 wegen der Persilscheine und der Re-education – und das Private so ins Zentrum rückte. Gelder und Fabriken expandierten, wir kopierten fleißig auch international das Spiel der Amerikaner und wurden so Weltmeister im Exportieren von Waren – an wen auch immer - Hauptsache man konnte zuhause die Kredite der Banken weiter bedienen. Wenn autoritäre Regime pünktlich zahlten, redete man sich hierzulande die Weste weiter weiß. Und natürlich wird niemand solch einen Habitus als eine Form von Knechtschaft bezeichnen, klar! Denn jeder hatte ja die Freiheit, aus sich und seinem Geld das zu machen, was er wollte. Geradezu paradiesische Verhältnisse.

Und jetzt ein neues Drama: Die liebgewonnenen Muster scheinen plötzlich in Gefahr geraten zu sein. Krieg vor der NATO-Haustüre! So werden über Nacht aus Tauben lauter sportliche Falken, die jetzt ganz schön steil gehen. Was aber sind die grundlegenden Werte? So lange blieb jedem Euro-Freak erspart, über die Frage nachdenken zu müssen: Woher kommen wir Europäer eigentlich, wer sind wir aber inzwischen geworden und wohin wollen wir denn überhaupt? Und wer sind diese WIRS eigentlich? Knechte?

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Geschrieben von

Johannes Seiler

Alles Erinnern ist Erfinden und alles Erfinden Erinnern

Johannes Seiler

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