Spiel

Kultur Weshalb keine Macht die Dresdner Waldschlösschenbrücke aufhalten konnte

Der Wille des Volkes, die Schönheit der Stadt, die Pflichten des Völkerrechts - bei der Dresdner Waldschlösschenbrücke scheinen die allerhöchsten Güter auf dem Spiel zu stehen. Der zusehends isolierte, aber unvermindert machtbewusste Verteidiger des kuriosen Verkehrsprojekts, Ministerpräsident Georg Milbradt, gibt dabei den Vollstrecker des Volkswillens, seine Gegner übernehmen den Rest. Sie sprechen vom Wert der Natur, der Harmonie der Panoramen, von Identität, Würde und Weltöffentlichkeit. Und nicht nur Ideelles haben sie im Programm. Sie durchstöbern Planungsgeschichte und Architektur des Projekts, um noch das kleinste Detail als stümperhaft und monströs zu entlarven, sie nerven die Regierung mit Eingaben und verfolgen, um Zeit zu gewinnen, die bewährte Bürgerinitiativen-Nadelstichpolitik: Fast zwei Dutzend Klagen haben die Brückengegner in petto. Die erste Attacke endete am 14. November, als das Sächsische Oberverwaltungsgericht einen Baustopp aufhob, der wegen einiger sehr kleiner aber seltener Fledermäuse angeordnet worden war, die nahe der Baustelle siedeln. Jetzt ist Baubeginn.

Die Kleinen Hufeisennasen haben ihre Pflicht erfüllt und den großen Machern eine Denkpause verschafft. Bewegt hat sich nichts. Die Frage stellt sich: Was geht im Kopf eines Machers vor?

Einer wie Milbradt weicht nicht zurück. Keines der Gutachten, die Notwendigkeit und Funktionalität der Brücke in Frage stellen, beeindruckte ihn, keine Visualisierung, die die Verschandelung illustriert, ließ ihn auch nur zögern. Er ignorierte alle Alternativentwürfe, der Nachweis, dass eine Neuplanung nur geringen Zeitverlust bedeute, war ihm egal, ebenso das Angebot der Bundesregierung, bei Mehrkosten einzuspringen. Die Drohung der UNESCO, das Weltkulturerbe abzuerkennen, wischte er als "Erpressung" vom Tisch, die Bitten der um Deutschlands Ruf besorgten Kulturpolitiker ließen ihn kalt. Nicht einmal neue Umfragen machten ihn stutzig, wonach die Mehrheit der Dresdner den Brückenbau nun ablehnt. Mit dem Bürgerentscheid von 2005 seien alle Messen gesungen. Wozu diskutieren? Ihr habt doch unterschrieben. Die Kaltschnäuzigkeit eines Verkäufers, der das Kleingedruckte im Kaufvertrag unterschlagen hat.

Denn weder wussten die Unterzeichner, dass die Brücke Dresden den Welterbestatus kostet, noch stand eine weitere Brückenvariante, geschweige denn ein Tunnel zur Wahl. Und die Perspektiven der Entwürfe, die seinerzeit im Umlauf waren, stellten sich später als irreführend heraus. Zwar konnte man schon erkennen, wie mühsam sich das Ungetüm durchs Tal wuchtet, wie die zwei groben Bögen über den Flusslauf stolpern, gestemmt von haushohen, angestrengt schnittigen Widerlagern. Über die schiere Größe des Bauwerks aber logen die Bilder, und wie massiv es sich ins Panorama schieben wird, wurde den meisten erst jetzt wirklich klar. Selbst der Vorsitzende der Wettbewerbsjury, Architekt Volkwin Marg, hat sich inzwischen von dem Entwurf distanziert und seine Prämierung als reine "Kompromissentscheidung" bezeichnet. Nur ein Tunnel sei ästhetisch akzeptabel. Andere fordern, die vergleichsweise eleganten Alternativentwürfe der letzten Jahren endlich zu prüfen. Milbradt blickt nur geradeaus.

Vielleicht verschweigt ein Verkäufer das Kleingedruckte, weil der Chef ihm nur Provisionen zahlt. Vielleicht wählt ein Juror den schlechten Entwurf, weil er einem Kollegen etwas schuldig ist. Was aber treibt Milbrandt? Der Autolobby ist die Form einer Brücke egal, nur breit muss sie sein. Auch die Bauwirtschaft hat kein Interesse an hässlichen Bauten, wenn sie nur teuer sind. Setzen wir voraus, dass Milbradt auf eigene Rechnung handelt - was ist der politische Gewinn, das Ziel seines Kampfes? Glaubt er, seiner Hauptstadt einen architektonischen Stempel aufdrücken zu müssen, wie jeder gute Sachsenkönig?

Nein, Milbradt braucht weder Hintermänner noch Vorbilder. Er hat genug an seinen Feinden. UNESCO, Bundespolitik, Stadtrat, Kulturelite, Architektenschaft, Umweltschützer, Stadtliebhaber, alle sind gegen das Projekt, und alle Argumente sind auf ihrer Seite. Selbst die Zeit spielt gegen den Ministerpräsidenten: Der Bürgerentscheid, den er als letzten Trumpf noch in der Hand hält, ist nur noch drei Monate rechtlich bindend. Bis dahin muss Milbradt Tatsachen schaffen. Warum? Weil er das Spiel sonst verloren hätte. Ganz kleine Dinge treiben manchmal die großen Macher um.

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