Ich werde noch verrückt

Popmusik Unser Autor Johannes von Weizsäcker hat unter dem Namen Erfolg ein Album veröffentlicht. Seither fragt er sich, was es er damit eigentlich sagen will
Ausgabe 13/2015
So sieht Erfolg aus
So sieht Erfolg aus

Foto: Max Zerrahn

Dieser Tage erscheint ein Popmusikalbum von mir, es ist ziemlich gut geworden, aber ich verstehe überhaupt nicht, was es bedeuten soll. Unter dem Namen Erfolg singe und spreche ich Stücke mit deutschen Texten; dabei hilft mir ein Chor, der sich mit einem gewissen Recht Der Beste Damenchor Aller Zeiten nennt.

Eigentlich wollte ich allein in Kneipenhinterzimmern zu komischen, eingespielten Geräuschen Texte vortragen, die sich durch eine gewisse Willkürlichkeit auszeichnen. Stattdessen habe ich jetzt einen Kleinchor zu organisieren und muss mit ihm Hymnen singen, die klingen, als wären sie für Selbsthilfegruppen komponiert. Ich bin bei einem einigermaßen namhaften Independent-Plattenlabel gelandet, es gibt ein bisschen Presse und Radio, wir gehen auf Tour, verdienen aber natürlich trotzdem überhaupt kein Geld damit. Das alles ist mir eigentlich viel zu stressig, aber da es nun mal so weit gekommen ist, muss ich da durch, gebietet meine protestantisch-bürgerliche Erziehung.

Meine Vermutung ist, dass alles seinen Lauf nahm, weil ich der Versuchung erlag, mir den Namen Erfolg zu geben. Die Platte beginnt ja mit einem Lied, das ebenfalls Erfolg heißt. Darin sage ich, dass ich jetzt, da ich mich Erfolg nenne, automatisch immer Erfolg habe. Na schön. Trotzdem verstehe ich das Stück nicht. Einerseits habe ich das Gefühl, ich will damit den Menschen irgendwie Mut machen und Trost spenden, andererseits verbreite ich totale Hoffnungslosigkeit, da ich nur schreckliche, alltägliche Situationen aufliste, in denen ich jetzt sagen kann, dass ich Erfolg habe. Ja, was denn nun? Dabei fällt mir auf, dass es eine unangenehme Erfahrung ist, sich selbst beim Rufen der Worte „Mit dem Gesicht in der Kotze“ zuzuhören. Der Refrain des Lieds ist ein ganz schauderhafter Mitgrölchorus, aber es macht Riesenspaß, ihn zu grölen. Davor gibt es einen kurzen, John-Barry-haften Streicherakkordaufbau, den auf meinem Cello einzuspielen einen Tag gedauert hat. Ist das Ironie? Aber warum hatte ich dann schon einmal Tränen in den Augen, als ich mir das Lied anhörte?

Und noch etwas: Die Platte ist überbevölkert mit Männern, fast die Hälfte der Titel endet auf „-mann“: Mausmann, Brillenmann, Fachmann, Klaviermann. Na gut, sie sind alle fiktive Charaktere, die auf ihre Weise Erfolgsmodelle und letztendlich Modelle des Scheiterns darstellen; der eine, Mausmann, gewinnt einen Kochwettbewerb und fällt dann dem Vergessen anheim, der andere, Brillenmann, wird geklont, sodass er an sämtlichen kulturellen Hotspots gleichzeitig seine hippe Hornbrillenhaftigkeit repräsentieren kann, und so weiter. Aber wieso keine Frauen? Scheitern die nie? Sind sie immer nur Der Beste Damenchor Aller Zeiten? Bin ich ein verkappter, jammernder Macho, der mit dem Verlust seiner einst eingeschriebenen Machovorrechte nicht klarkommt?

Fragen, die mir kompetente Musikjournalisten sicher bald schon beantworten werden, denn dazu sind sie ja da? Aber halt: Ich bin ja selbst Musikjournalist, unter anderem schreibe ich für diese Publikation. Vertrackt, so viele Ebenen. Ich fürchte, ich werde noch verrückt. Oder, wie Der Beste Damenchor Aller Zeiten über lang gestreckten Orgelakkorden in dem wirklich sehr schönen und mich immer sehr traurig stimmenden Abschlussstück Negativität singt: „Ich halt es nicht mehr aus.“

PS: Das Cover gefällt mir sehr gut. Es ist nicht von mir, sondern von einer Künstlerin namens Stephanie Piehl.

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Erfolg Erfolg Staatsakt 2015

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