Der Begriff hat gute Chancen, eine ähnliche Karriere zu durchlaufen, wie das Schwammwort »nachhaltige Entwicklung«. Von der UN-Commission on Global Governance diskutiert und einer breiteren Öffentlichkeit 1995 in Form eines Reports zugänglich gemacht, wird er mittlerweile wissenschaftlich als ein Konzept betrachtet, das die »Menschheitsprobleme« in einer globalisierten Welt lösen und einen Ausweg aus der politischen Steuerungskrise weisen soll.
Die Autoren der von der Heinrich-Böll-Stiftung und WEED (Weltwirtschaft, Ökologie Entwicklung e.V.) herausgegebenen Studie zu »Global Governance« hegen starke Zweifel, ob es sich bei diesem Konzept, wie von den Protagonisten Franz Nuscheler und Dirk Messner (Institut für Entwicklung und Frieden) angenommen, um eine »Alternative zur neoliberalen Globalisierung« handelt. Dabei wollen sie den »Global Governance«-Diskurs keinesfalls abwerten, wenn sie anmerken: »Er schärft den Blick dafür, dass emanzipative Veränderungen nicht von allein aus den Globalisierungskrisen erwachsen, sondern nur durch Kritik und gesellschaftlich bewusstes Handeln«. - Umstritten ist freilich, was unter Kritik zu verstehen ist. Ist Kritik - so fragen die Autoren - denn überhaupt möglich, wenn Macht- und Herrschaftsstrukturen in Wirtschaft, Gesellschaft und im internationalen System keine systematische Beachtung finden, die Geschlechterfrage nicht aufgenommen wird? Wenn Demokratisierung vorrangig daran gemessen wird, was sie an technokratischer, effizienzorientierter Modernisierung des internationalen Systems zu leisten vermag? Rauscht die Hoffnung auf Problemlösung durch transnationale Netzwerke von Regierungen, Wirtschaft und »Zivilgesellschaft« nicht an den Strategien und der realen Durchsetzungsmacht dominanter Akteure vorbei? Und welches sind überhaupt die »Menschheitsprobleme«, die zu lösen sind?
Entscheidend für die Glaubwürdigkeit der Studie ist zweifelsfrei, dass ihre vielfältige Kritik keineswegs abstrakt bleibt. So wird nicht nur der bisherige Diskurs über »Global Governance« nachgezeichnet. Auch sein Entstehungskontext selbst - also die Restrukturierung kapitalistischer Gesellschaften im Zuge neoliberaler Globalisierung - wird analysiert. Schließlich finden bereits bestehende, »vermachtete« Strukturen internationaler politischer Regulierung Beachtung, die im »Global Governance«-Diskurs bestenfalls als hemmendes Randphänomen zur Kenntnis genommen werden.
Moniert werden muss allerdings, dass zuweilen konkrete Wertungen nicht nur zu knapp, sondern gegenläufig ausfallen. In den verschiedenen Abschnitten, für die jeweils einzelne Autoren verantwortlich sind, lassen sich recht unterschiedliche politische Beurteilungen wie auch wissenschaftliche Orientierungen bemerken. So wirkt die Studie insgesamt etwas überkomplex und gedrängt.
Was die Autoren freilich eint, ist ihre wohlbegründete Skepsis gegenüber der Praxis, gesellschaftliche Widersprüche durch verkürzte, politisch-motivierte Wissenschafts- und Diskursproduktion einfach wegzudefinieren. Insofern erscheint ihnen ein nicht etatistisch verkürzter Politikbegriff ebenso notwendig wie ein Verständnis von Demokratie, das gesellschaftliche Gegenmacht nicht ausschließt.
Andererseits will die Studie nicht per se einen Konsens für politische Urteile und Strategien stiften. Die Autoren vermeiden es, klare Handlungsanweisungen zu liefern. Es geht ihnen eher darum, Handlungsmöglichkeiten und vor allem -grenzen aufzuzeigen und sowohl bei politischen Aktivisten wie auch bei Wissenschaftlern zu Diskussion und Reflexion anzuregen. Alles in allem ein gelungener Versuch, die Zentren der Diskursproduktion herauszufordern. Eine Kritik sowohl an dominanten Politikformen als auch am vorherrschenden Wissenschaftsverständnis. Gerade wegen der politisch äußerst wirkungsmächtigen Internalisierung der Wettbewerbslogik und der fortschreitenden Selbst-Instrumentalisierung der Akademien dürfte dies kaum Zustimmung finden. Ein Anstoß für all jene, die sich nicht mit diskursiven Phrasen abspeisen lassen. Vorzugsweise die »Global Governance«-Protagonisten werden kaum umhin kommen, über polemische Reaktion hinaus Stellung zu beziehen. Nicht zuletzt weil hier eine Studie vorliegt, die hinsichtlich einzelner Sachfragen, der ausgeführten Kritik und deren Begründung wesentlich umfassender ist, als die mageren Publikationen, die bislang das »Global Governance-Konzept« untermauern sollen.
Ulrich Brand, Achim Brunnengräber, Lutz Schrader, Christian Stock, Peter Wahl (2000): Global Governance. Alternative zur neoliberalen Globalisierung? Münster. Westfälisches Dampfboot, 29,80 DM.
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