Der rechte Weg mit den Rechten

Rechtspopulismus In den meisten europäischen Ländern sitzen mittlerweile rechte Parteien in den Parlamenten. Welche Gegenstrategien lassen sich durch den Blick über die Grenzen ableiten?

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Anstelle einer andauernden Empörungswelle, sollten rechtspopulistische Provokationen zum Anlass genommen werden, sich differenziert für Vielfalt, Pluralität, Gemeinsamkeit stark zu machen
Anstelle einer andauernden Empörungswelle, sollten rechtspopulistische Provokationen zum Anlass genommen werden, sich differenziert für Vielfalt, Pluralität, Gemeinsamkeit stark zu machen

Foto: Steffi Loos/AFP/Getty Images

Wer sich die AfD durch eine europäische Erfahrungsperspektive anschaut, dem fällt Eines auf: Wie stark sie ihren Pendants aus anderen Ländern ähnelt. Lediglich zwei Geschwindigkeitsaspekte machen die AfD wirklich bemerkenswert. Sie ist, erstens, wesentlich schneller als die anderen Parteien aus dem Ausland zu einer bedeutsamen Kraft im politischen Mainstream geworden – sie brauchte dafür lediglich einige Jahre anstatt eines Jahrzehnts, wie es in Frankreich oder Belgien der Fall war. Außerdem hat die AfD sich deutlich schneller rhetorisch radikalisiert. Die Geschwindigkeit, mit der die AfD diskursiv „entgleist“, nationalsozialistische Töne in ihre Provokationen einbaut und die Grenzen der sozio-politischen Sagbarkeiten nach rechts verlegt, macht sie erkennbar in der rechtspopulistischen europäischen Landschaft. Aber ansonsten ist die AfD doch hauptsächlich „business as usual.“ Das macht Gegenstrategien plan- und machbar, denn viele anderen Länder standen bereits da, wo Deutschland heute steht: am Anfang einer langen und erfolgreichen rechten Mobilisierung.

Selbstreflexion entlang rechter Denkmuster

Als die rechtsextreme flämische Partei „Vlaams Blok“ (dt. Flämischer Block) bei den Belgischen Parlamentswahlen 1991 die Zahl ihrer Sitze von zwei auf zwölf versechsfachte, war die gesellschaftliche Verwirrung groß. In der Presse und der Politik kursierte über Monate die Frage, was das „Signal“ der Wählerschaft an „die Eliten“ nach dem ersten „schwarzen Sonntag“, wie dieser erste vieler rechtspopulistischer Wahlsiege von der Presse bezeichnet wurde, denn nun genau gewesen sei?

Die meisten Länder, die eine erfolgreiche rechtspopulistische Mobilisierung erleben, gehen durch ähnliche, monatelange Reflexionsphasen. Obwohl Rechtspopulismus grundsätzlich von den entsprechenden politischen und medialen Akteuren als unseriös, undurchdacht, mitunter verachtenswert dargestellt wird, werden die ihm zugrunde liegenden Thesen trotzdem diskutiert – „Ist da etwas Wahres dran?“ ist eine Frage, die im Subtext mitschwingt.

Dabei wird die Diskussion nicht selten anhand des einschlägigen Vokabulars oder deren Leitmotiven geführt – zunächst in Anführungsstrichen, nach und nach ohne. In Belgien beispielsweise wurde die fehlende „Volksnähe“ als Hauptursache für die „Kluft zwischen der Politik und den ‚Menschen‘“ debattiert und für den rasanten Aufstieg rechtspopulistischer Parteien identifiziert. Dieser Argumentation liegt eine latente Bestätigung der Grundthese in vielen Ländern zugrunde, dass es eine grundsätzliche Kluft zwischen dem „Volk“ und den „Eliten“ gibt, die nur durch eine neue Kraft überbrückt werden kann. „Wir sagen, was sie denken“ und „Flämischer Block: die Stimme des Volkes“ waren wirksame Slogans der flämischen Rechtspopulisten, die genau diese Überzeugung erfolgreich vermitteln. Ein Nebeneffekt dieser Überzeugung ist, dass das völkische Bauchgefühl wichtiger wird als das Wissen von Expertinnen und Experten, die grundsätzlich als „Elite“ abgewertet werden. Populismus mit Fakten zu begegnen, ist als Gegenstrategie nur beschränkt wirkungsvoll, da Expertise als Wissensquelle für Wählerinnen und Wähler an sich skeptisch betrachtet wird. Diese Skepsis wird durch rechtspopulistische Kommunikationsstrategien aktiv bestätigt und auf die Spitze getrieben, wie das emblematisch in den Vereinigten Staaten mit dem Begriff „fake news“ erfolgte.

Isolation und Konformität

Obwohl sämtliche belgische Parteien die Kommunikationsstrategien rechtspopulistischer Parteien weitgehend – sei es auch in unterschiedlicher Intensität – übernahmen, verweigerten sie dennoch immer die formale Zusammenarbeit. Die „traditionellen“ Parteien, wie die Rechtspopulisten die anderen Parteien bezeichneten, einigten sich somit auf ein gemeinsames Vorgehen: Abgrenzung und Isolation über ein „cordon sanitaire“. Trotz der schleichenden Übernahme einiger Positionen sowie des Politikstils des „postfaktischen“ Bauchgefühls, konnten die Wählerinnen und Wähler kaum abgeworben werden.

Auch wenn der Vlaams Blok aufgrund seines Mangels an personeller und inhaltlicher Weiterentwicklung seit 2004, als er wegen Rassismus verboten wurde und sich gleich danach als Vlaams Belang (dt. Flämisches Interesse) mit großem Wahlerfolg neu gründete, in den Wahlergebnissen weitgehend dezimiert wurde, hat das nicht zur Diskreditierung des Rechtspopulismus an sich geführt. Das lässt sich quer durch Europa beobachten. Zwar verschwinden die jeweiligen individuellen Akteure manchmal temporär aus den Parlamenten und Gremien. Ihre radikalen Positionen, ihr Stil und ihre Rhetorik werden letztendlich aber Teil des normalen Politikbetriebs, da sie von den anderen Parteien übernommen werden. Den ideologisch nachfolgenden Parteien ist dadurch bereits der Weg geebnet, selbst wenn die Positionen bezüglich Migration weniger radikal formuliert werden. Das war auch in Belgien mit der – oberflächlich betrachtetet – etwas moderateren Nieuwe Vlaamse Alliantie (dt. Neue Flämische Allianz), die seit drei Jahren die größte Regierungspartei Belgiens darstellt, der Fall.

Strategisches Einbinden

Genauso wenig, wie die harte Abgrenzung in Belgien die Rechten geschwächt hat, konnte auch die Einbindung, zum Beispiel in Norwegen und Dänemark, ihren Wahlerfolg verhindern oder entscheidend mindern. In Dänemark gelang der Dansk Folkeparti (dt. Dänischen Volkspartei) gleich bei ihrer ersten Wahl der Sprung ins Parlament. Bei den Wahlen 2015 wurden sie zweitstärkste Kraft und parlamentarische Stütze einer Minderheitsregierung. Genauso wenig wie durch Belgiens „cordon sanitaire“ wurde die Dänische Volkspartei durch die Parlamentsarbeit wirksam eingedämmt. Stattdessen hat sich in Dänemark, wie in Belgien, das übrige Parteienspektrum deutlich nach rechts verschoben. Rechte Töne kommen in Dänemark längst nicht mehr nur von den klassischen Rechtspopulisten. In Norwegen wiederum sitzen die Rechten nicht nur seit Jahrzehnten im Parlament, sie zogen 2013 formal in die Regierung ein, bekamen entscheidende Ressorts wie das Finanzministerium. Die neue Macht bescherte der Fremskrittspartiet (dt. Fortschrittspartei) kurzzeitig schlechtere Umfragewerte, dann aber konnte sie den hohen Flüchtlingszuzug 2015 für sich nutzen, indem ihre Integrationsministerin Sylvi Listhaug auf allen Kanälen Präsenz zeigte.

In Norwegen waren die Medien für das Einbinden rechtspopulistischer Strömungen in hohem Maße mitverantwortlich, genauso wie es in vielen anderen europäischen Ländern der Fall war. Sie berichteten nämlich kontinuierlich über die Provokationen oder Gesetzesvorstöße der Rechtspopulisten und deuteten die damit selbst produzierte Medienpräsenz als Zeichen gesellschaftspolitischer Bedeutung. Das wiederum führte dazu, dass sich die Medienlandschaft noch stärker auf diese Parteien und ihre politische Agenda fokussierten. Rechtspopulismus ist eindeutig gut für das Mediengeschäft.

Gegenstrategien: Einige Vorschläge

Welche Empfehlungen lassen sich aus den oben skizzierten Bemühungen unterschiedlicher Länder ableiten?

  • Zunächst sollten politische, mediale und zivilgesellschaftliche Akteure es vermeiden, rechtspopulistische Rhetorik, Erklärungsmuster und argumentative Unseriositäten zum Ausgangspunkt ihrer Selbstreflexion zu machen.
  • Parteipolitische Akteure sollten sich nicht von kurzfristigen Vorteilen leiten lassen, indem sie nach rechts rücken. Damit lässt sich die Wählerschaft langfristig kaum zurück gewinnen, im Gegenteil: Parteien machen sich damit eher (noch) unglaubwürdiger.
  • Sozio-politische Akteure sollten sich außerdem über die eigentlichen Effekte bzw. Ziele rechtspopulistischer Parteien im Klaren sein – die langsame Erosion der pluralistischen, faktischen Normalität liberaler Demokratien.
  • Quantität und Qualität der öffentlichen Reaktionen müssen genau überlegt sein. Empörte Reflexe spielen meist nur denen in die Hände, die genau darauf setzen, um sich selbst immer wieder zum Thema zu machen. Anstelle einer andauernden Empörungswelle, sollten rechtspopulistische Provokationen zum Anlass genommen werden, sich differenziert für Vielfalt, Pluralität, Gemeinsamkeit stark zu machen.
  • Schließlich sollte eine intellektuell ernstzunehmende Durchleuchtung der möglichen wirtschaftlichen, psychologischen oder sozialen Beweggründe der rechtspopulistischen Wählerschaft (z.B. anhand von wissenschaftlichen, interdisziplinären Untersuchungen) vorangetrieben und etabliert werden.
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Johnny H. Van Hove

Historiker, Brüsseler und Berliner. Autor des Buchs "Congoism: Congo Discourses in the United States from 1800 to the Present."

Johnny H. Van Hove

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