Die andere Arbeiterklasse

USA Die Fight for 15$-Bewegung zeigt, dass die amerikanischen Arbeiterinnen und Arbeiter mehr sind als die verzweifelte Wahlklientel Donald Trumps

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Die andere Arbeiterklasse

Bild: Yuri Cortez/AFP/Getty Images

Donald Trump: Held der Arbeiter? Respektable Zeitungen wie The New York Times und The Washington Post hadern mit Untersuchungen, die zeigen, dass besonders die weißen Arbeiter zum leicht verführbaren Stammklientel des Rechtspopulisten gehören. Sie sind es, so das mediale Narrativ, die Trump zum brandgefährlichen Präsidentschaftskandidaten machen. Was dabei gerne ignoriert wird, ist die Tatsache, dass die amerikanische Arbeiterklasse auch eine andere Seite hat, eine Seite, die mit dem medial beschriebenen Defätismus nicht viel gemeinsam hat. Die Fight for 15-Bewegung beispielsweise zeigt eindrucksvoll, dass es durchaus noch eine sehr schlagkräftige Arbeiterbewegung in den Vereinigten Staaten gibt.

Working-class nation

Amerika hat sich in den letzten 30 Jahren wirtschaftlich stark verändert. Traditionelle Industriejobs werden spätestens seit der Präsidentschaft Ronald Reagans in den 80er Jahren immer spärlicher. Gleichzeitig boomt das Dienstleistungsgeschäft wie nie zuvor: Jobs in Call Centern, Cafés, Privathäusern, Supermärkten und Fast Food Restaurants sind die zukünftigen, prekären Stellen der amerikanischen Arbeiterklasse – eine gewollte Transformation, welche der traditionellen Arbeiterbewegung trotz Auflehnung weitgehend das politische Genick gebrochen hat.

„Menschen zu dienen“ löste seit Reagan nach und nach das bis dahin geltende Arbeiterprinzip der „Dinge herzustellen“ ab, so schreibt die Autorin Tamara Draut in ihrem sehr lesenswerten Buch Sleeping Giant. Somit sind Nannies, LKW-Fahrer, Köche, Pflegepersonal und Jobs in Unternehmen wie Wal-Mart, McDonalds und Subway die wahren Wachstumssegmente des amerikanischen Arbeitsmarkts und nicht etwa die Jobs in der sogenannten Wissensökonomie, wie es Politeliten gerne verkünden. „Wir sind eine working-class nation und wir sind es in der Realität immer gewesen“, schreibt Draut folgerichtig.

Diese working-class nation war nie homogen, weiß und männlich – jetzt noch weniger als vor 30 Jahren, unterstreicht Draut. Der Stereotyp des kämpferischen Fabrikarbeiters hat nichts mehr mit der momentanen Realität des weiblich geprägten und ethnisch diversen Arbeitermilieus zu tun: Ein Drittel aller Arbeiterinnen und Arbeiter sind mittlerweile schwarz, hispanisch oder asiatisch. Tendenz: steigend. Ebenfalls steigend ist die Zahl der Empfängerinnen und Empfänger von Foodstamps – Lebensmittelbons zur Ergänzung des schäbigen Gehalts. Doch die amerikanischen Arbeiterinnen und Arbeiter wehren sich.

McStreik

Mit großem Erfolg bestreikten 2012 zunächst hunderte und später tausende Fast-Food Arbeiterinnen und Arbeiter in New York ihre klanghaften Arbeitgeber – McDonald's, Burger King, Wendy's, Kentucky Fried Chicken und Pizza Hut. Sie forderten mehr Lohn, bessere Arbeitsbedingungen und das Recht, sich ohne Angst gewerkschaftlich organisieren zu dürfen. Seitdem hat sich Fight for 15$ zu einer nationalen Bewegung entwickelt. Das Ergebnis: Circa 8 Millionen Arbeiterinnen und Arbeiter konnten ihr Gehalt durch den kontinuierlichen Widerstand um 70 Prozent anheben.

In weniger als vier Jahren schaffte es die Bewegung, sich branchenübergreifend zu etablieren – auch Kassierer, Verkäuferinnen, Kindererzieher, Pflege- und Putzkräfte sowie Flughafen-Mitarbeiterinnen sprangen erfolgreich auf den 15$-Zug auf. Über Nordamerika breitete sich die zunächst als völlig absurd betrachtete Idee des existenzsichernden Mindestlohns aus: Seattle, San Francisco und New York führten per Gesetzt eine Verdopplung des Mindestgehalts ein. Zum Vergleich: Der in Deutschland durchgesetzte Mindestlohn liegt bei 8,50 Euro/Stunde.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Johnny H. Van Hove

Historiker, Brüsseler und Berliner. Autor des Buchs "Congoism: Congo Discourses in the United States from 1800 to the Present."

Johnny H. Van Hove

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden