Der Besuch in Wiesbaden-Naurod gleicht einer Zeitreise in die 70er Jahre, in ein bundesdeutsches Vorortwohnzimmer. Die Gardinen lassen kaum Licht auf die dunkelbraunen Schrankwände und wuchtigen Sofagarnituren fallen, der dicke Teppich schluckt alle Geräusche, im Hintergrund läuft leise ein Fernseher, draußen werden die Bierbänke aufgestellt. Ich komme als einer der Ersten in Heinz Schenks Bungalow an, viele hundert Menschen werden heute noch folgen, auf der Suche nach der eigenen Kindheit, der alten BRD oder einfach nur, um einen Bembel abzustauben, einen hessischen Apfelweinkrug.
Alles kommt unter den Hammer, der 2014 verstorbene, kinderlose Moderator wollte es so. Nachwuchskünstler sollen durch eine Schenk-Stiftung gefördert werden, 80.000 Euro werden es am Ende des Tages sein, die ins Stiftungsvermögen fließen. 80.000 Euro für ein ganzes Nachkriegsleben. Ein wohlhabendes Leben mit Pool und Sauna, kleinem Aufnahmestudio und diversen Sammlungen: Briefmarken, Fotoapparate, Schallplatten, Filme. Man irrt durch dieses Haus, dieses Leben, das so vertraut erscheint und doch so weit weg und fremd. Wer vor 1980 geboren ist, kam an Schenk nicht vorbei, er war so omnipräsent wie Helmut Kohl, verkörperte die gleiche Mischung aus Provinzialität und gespieltem Mann von Welt, hinter dessen biederer Fassade man Abgründe vermutete. Zwischen 1965 und 1972 war Heinz Schenk samstagnachmittags gar der Moderator des öffentlich-rechtlich ausgetragenen Generationenkonflikts. In diesen Jahren mussten sich der Beat-Club und seine Sendung Zum Blauen Bock den Sendeplatz vor der Sportschau in der ARD teilen.
Gebabbel, sagte Schenk
Hier spaltete sich die Gesellschaft der Bundesrepublik: auf der einen Seite der jugendkulturelle Aufbruch, die Suche nach alternativen kulturellen Traditionen, der Blick in Richtung Neue Welt, der Bruch mit der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft; auf der anderen Seite der Rückzug ins Provinzielle, die seichte Unterhaltung, der Stammtisch, das Geschwätz. Das Gebabbel, wie Heinz Schenk, der Moderator und Kopf des Blauen Bock bis zur letzten Sendung am 19. Dezember 1987, es in seinem eigentümlichen, fürs große Fernsehpublikum aufbereiteten hessischen Dialekt genannt hätte.
Während der Beat-Club 1972 eingestellt wurde, weil die zunehmend experimentelleren musikalischen Darbietungen sich nicht mehr in Einschaltquoten auszahlten, prallten vom Blauen Bock und seinem Moderator Schenk sämtliche neuen Strömungen ab: Rock ’n’ Roll und Beat, Kraut und Punk, Disco und New Wave. Die durch hessische Kleinstädte wandernde „Ebbelwoistube“ erreichte mit ihrer Mischung aus öffentlichem Betrinken, Gebabbel und den Stars der Volksmusikszene zu ihren Hochzeiten 20 Millionen Zuschauer, und Schenk wurde zu einem der populärsten Gesichter des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Kein Wunder also, dass er zum Inbegriff des biederen Spießbürgers wurde, der immer wieder als Feindbild der Linken herhalten musste.
Selbst nach dem Ende des Blauen Bock wirkte dieses Image nach. Anfang der 90er bekam eine Auseinandersetzung innerhalb der Berliner radikalen Linken über Gegenwart und Zukunft der Autonomen, an deren Ende die Gründung der Gruppe Für eine linke Strömung (FelS) stand, den Namen „Heinz-Schenk-Debatte“. Beteiligte Autoren hatten sich dieses Pseudonym zugelegt, um die Rückständigkeit der deutschen Linken zu kritisieren. „Unser David Bowie heißt Heinz Schenk“, sangen dagegen 1984 die Rodgau Monotones im Song Die Hesse komme in einer Mischung aus Selbstironie und Stolz. Und während der deutsche Mundartrock ebenso wie der Blaue Bock Ende der 80er entsorgt worden ist, bleibt die Zeile bis heute ein Rätsel. War das musikalische Genie gemeint – immerhin textete Heinz Schenk fast alle seine Songs selbst? Oder etwa die Wandelbarkeit des Künstlers? Man denke an die diversen regionalen Verkleidungen zu Beginn einer jeden Zum-Blauen-Bock-Ausgabe, die Trachten oder Uniformen von Burschenschaften. Oder meinten die Rodgau Monotones das Kontroverse und Provozierende des Entertainers, wovon erboste Hörzu-Leserbriefe zeugen: „So viel hätte Schenk wissen müssen, dass ein Couleurband immer unter dem Frack getragen wurde und nie darüber.“
Was Bowie und Schenk teilten, war das Spiel mit der eigenen Identität. Schenk spielte die Rolle des Oberkellners Heinz Schenk – und irgendwann auch einmal an der Seite Hape Kerkelings selbstironisch den Moderator Heinz Wäscher –, Bowie spielte die Kunstfigur David Bowie. Während Bowie jedoch in seinen Rollen die Hörer forderte, bot Schenk kontinuierlich das gleiche Programm. Er bot die Oberfläche der deutschen Nachkriegszeit, den Soundtrack zur bundesdeutschen Provinzialität und den unterhaltenden Gastgeber, der das Wort nur ungern anderen überließ, der aber jenseits dieses Settings, der Kneipe, dem Festzelt, der Ebbelwoistube kaum etwas von sich preisgab.
Und auch die Wohnung in Wiesbaden-Naurod schweigt, die dunklen Teppiche schlucken den Menschen Schenk hinter dem Kellner aus dem Blauen Bock, die erhofften Abgründe liegen gut verstaut hinter den Holzvertäfelungen und Weinregalen. Dabei gäbe es viel zu erzählen: Der 1924 in Mainz geborene Schenk machte zunächst in einem Wiesbadener Kaufhaus eine Ausbildung in der Teppichabteilung, wollte jedoch gleichzeitig eine Schauspielschule besuchen. Weil seine Mutter laut nationalsozialistischer Rechtsprechung als „Halbjüdin“ diskriminiert war, konnte Schenk nur mithilfe eines gefälschten Ausweises die notwendigen Papiere der Reichstheaterkammer bekommen. Trotz intensiver Recherche ist zu diesem Thema nichts herauszufinden, außer dass die Mutter zeitweise inhaftiert gewesen sein muss. Schenk schwieg über diesen Familienhintergrund, und auch im Haus voller Schenk-Experten und -Memorabilien weiß niemand etwas dazu zu sagen.
Stattdessen verläuft sich die immer größere Menschenmenge in den unzähligen Räumen des dreigeschossigen Hauses und versucht, sich einen Überblick über das Inventar zu verschaffen, das der Entertainer und seine Frau in 40 Jahren angesammelt haben. Die Teppiche und Möbel, gusseisernen Treppengeländer und billigen Ölschinken an den Wänden wirken wie die Fotos der Wohnzimmer der eigenen Großeltern in den 70ern, überall hängt Nippes und stehen die berühmten Bembel, und neben dem Hobbykeller ist gar der unvermeidliche Miniatur-Blaue-Bock: eine Weinstube mit Fotos von Schlagerstars an den Wänden und, wie überall im Haus, von Heinz Schenk. Heinz Schenk als Büttenredner, als Oberkellner, als Talkshowgast. Und nicht nur die Möbel erinnern an die eigenen Großeltern, auch die Manie, nichts wegschmeißen zu können: mehrere Generationen Fernseher, Plattenspieler, Tonbandgeräte und Videorekorder finden sich über diverse Räume verteilt, Aufnahmegeräte, Nachkriegstelefone und anderes Elektrokleingerät. Startgebot: ein Euro.
Sammler ohne System
Auch die umfangreiche Plattensammlung will nichts preisgeben, außer vielleicht: Hier war ein Mensch komplett mit sich identisch. Schlager, Klassik, Volkstümliches, ein paar deutsche Liedermacher. 3.000 Alben Flohmarktsramsch, noch nicht mal eine Beatles- oder Elvis-Platte, lieblos und unsortiert in die Regale gestopft. Wir befinden uns im Aufnahmeraum, den nur Schenk betreten durfte. Hobbykeller träfe es besser: Aufnahmegeräte, vor allem aber Schallplatten und DVDs, Hunderte, die sich als roter Faden durchs ganze Haus ziehen. Willkürlich zusammengekaufte Filme, von Edgar Reitz’ Heimat über Twin Peaks bis zu Kubricks Gesamtwerk – alle noch eingeschweißt –, daneben Heimat- und Kinderfilme, Sopranos und Star Trek, Chabrol und Harry Potter, Adriano Celentano und Charlie Chaplin, und selbstverständlich sämtliche Folgen Zum Blauen Bock auf Video. Ein Sammler ohne System.
Das Haus wird abgerissen, das Inventar ist am Ende des Tages verramscht und mit ihm einer der Überreste der alten Bundesrepublik, des Provinziellen und Gestrigen, ohne dass jemand unter die Teppiche geschaut hätte. Auf der Heimorgel liegen noch die Noten zu Schenks Lied Das ist zwar sehr traurig (doch leider wahr). Womöglich ein letzter Anflug von Selbstironie des Entertainers aus der Provinz. Vielleicht auch ein Scherz des Auktionators. Das Traurige ist: Letztendlich ist es egal.
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