Eine Katze liebt eine Maus, bedingungslos und obsessiv, die Maus reagiert darauf mit handfester Ablehnung und pfeffert der Katze wieder und wieder Ziegelsteine an den Kopf. Das schwierige Verhältnis zwischen Krazy Kat und Ignatz Mouse wird ausbalanciert durch Officer Pupp, einen naiven Hund im Rang eines Polizeioffiziers. Das ist die simple, über 30 Jahre stets aufs neue variierte Ausgangssituation des Comicstrips Krazy Kat von George Herriman, der in den 1910er Jahren in US-Zeitungen ein Millionenpublikum erreichte, obwohl er als Sohn kreolischer Einwanderer als „Farbiger“ galt. Auch Picasso und Gertrude Stein zählten zu seinen Fans.
Der Comic ist auch formal und inhaltlich bis heute bemerkenswert. Herriman hat es geschafft, von 1913 bis 1944 Tag für Tag surrealen Humor und subtile Abgründigkeit in die US-amerikanischen Haushalte zu schmuggeln, verpackt in Comics, die unablässig die vertrauten Strukturen des Mediums aufbrachen. Krazy Kat trieb die Grundidee des Zeitungscomics auf die Spitze: Täglich beginnt die Story um die drei ungleichen Tiere bei null, darf die Katze erneut auf die Liebe der Maus hoffen, nur um am Ende enttäuscht zu werden. Es gibt keine Entwicklung, kein Fortkommen, keinen Ausweg. Und auch keinen Beginn der unglücklichen Liebesgeschichte, keinen Ursprung.
Und wieder keine Frau
Im Gegenteil, die Millionenauflagen im Zeitungsstripformat forderten vordergründig leichte Unterhaltung, also die Möglichkeit, als Leser jederzeit einsteigen zu können. Die Comics waren für den Tagesgebrauch produziert, die Fortsetzung folgte auf dem Fuße. Nur wenige Exemplare der gedruckten Zeitungen haben bis heute überdauert, die originalen Druckvorlagen sind noch seltener, denn mit einem hatten Zeichner und Zeitungsverleger nicht gerechnet: dass 100 Jahre später ein Kurator der Frankfurter Schirn jubeln würde: „Der Comic war Kunst geworden!“
Pioniere des Comic. Eine andere Avantgarde heißt eine derzeit laufende Ausstellung, die neben Herriman fünf weitere Zeichner präsentiert und zweierlei unter Beweis stellt. Zum einen müssen Comics im Museum mindestens mit dem Avantgarde-Begriff belegt werden und als Vorwegnahme des Surrealismus und anderer Kunstströmungen gedeutet werden. Zum anderen sind die Pioniere, die es für eine Musealisierung braucht, immer männlich. Neben Herriman sind Arbeiten von Frank King, Winsor McCay, Cliff Sterrett und Charles Forbell zu sehen, und von Lyonel Feininger, der heute vor allem als Bauhaus-Künstler und Maler bekannt ist.
Keine Nell Brinkley, keine Edwina Dumm, keine Ethel Hays oder Tarpé Mills – Frauen kommen in dieser Geschichtsschreibung wieder einmal nicht vor. Das spricht nicht gegen die präsentierten Zeichner, die alle sechs auf spannende Weise mit den Möglichkeiten des Zeitungscomics experimentiert haben. Aber es zeigt überdeutlich, was im Bemühen, den Comic als Kunst zu etablieren, auf der Strecke bleibt. Ausgewählten Zeichnern wird eine Aura des Künstlers verliehen, während die Mehrzahl weiterhin einen Ort jenseits der Kultur zugewiesen bekommt. Gleichzeitig wird den Zeitungen, die vergilben und sich zersetzen, heute eine gewisser Nimbus attestiert: „Mangel generiert Aura“, schreibt Kurator Alexander Braun, auf Walter Benjamin Bezug nehmend, im Katalog zur Ausstellung. Er spielt auch auf den monetären Wert an, den die auf billigem Papier gedruckten Originalzeitungen heute haben. Glücklicherweise sind die wenigen erhaltenen Exemplare wiederum in den Prozess ihrer technischen Reproduzierbarkeit eingetreten und die darin befindlichen Strips großteils in Form von Büchern zugänglich.
Die Arbeiten der sechs in der Schirn gezeigten Zeichner loten die Möglichkeiten des Erzählens im begrenzten Strip-Format aus, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts weniger eingeschränkt war als heute. Es füllte manchmal ganze Zeitungsseiten. Die Arbeiten Winsor McCays zum Beispiel, der mit der Reihe Little Nemo in Slumberland wohl bekannteste Comiczeichner der Frankfurter Ausstellung (neben Feininger), bekommt man selten in ihrer vollen Größe zu sehen.
In der Tat zeigen sich bei den Comiczeichnern Parallelen zu den Avantgarden der klassischen Moderne, zu Futurismus, Expressionismus oder Surrealismus. Es finden sich Experimente mit der Simultaneität von Sinneswahrnehmungen, mit den Eindrücken der Großstadt oder, inspiriert von Sigmund Freuds Traumdeutung, der Erforschung des Unbewussten. Diese Parallelen sind jedoch weniger konkrete Vorweg- oder Bezugnahmen auf die Kunstströmungen, wie die Ausstellung suggeriert, als vielmehr auf einen sensiblen Umgang der Zeichner mit den damaligen gesellschaftlichen Diskursen zurückzuführen. Alexander Braun hat eine faszinierende Auswahl an Comics zusammengetragen, die es gar nicht nötig haben, avantgardistisch, bahnbrechend oder eben Kunst sein zu wollen. Der Comic ist ein Medium, das die Scharade des Alltäglichen betreibt, um weiterhin subversives Wissen in Millionen Haushalte zu transportieren.
Info
Pioniere des Comic. Eine andere Avantgarde Kunsthalle Schirn Frankfurt, 23. Juni bis 18. September
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