Der Auftritt des Kurt Graulich

Selektoren-Affäre Diesen Donnerstag versuchte der NSA-Untersuchungsausschuss, Einblick in die Arbeit der "unabhängigen Vertrauensperson" zu erhalten

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Mit schwarzem Anzug und Fahrradtasche: Kurt Graulich
Mit schwarzem Anzug und Fahrradtasche: Kurt Graulich

Bild: Christian Ditsch/Imago

Der Mann, der um kurz nach 1 Uhr endlich den Europasaal im Paul Löbe Haus betritt, geht zielstrebig auf seinen Platz in der Mitte des Raums, bleibt scheinbar verunsichert stehen, um suchend in die Runde der Abgeordneten zu schauen. Zwischen dem ehemaligen Richter im Zeugenstand und den Mitgliedern des Bundestages hat sich eine Wand aus Kameraleuten und Fotografen geschoben. Sie versuchen, jede Regung einzufangen, um ein verwertbares Bild zu bekommen. Ihnen bleiben nur wenige Minuten, während der Mann mit dem ergrauten Haar und dem feinen schwarzen Anzug seine Fahrradtasche auf den Stuhl stellt und beginnt, sie auszupacken.

Es ist der Auftritt von Kurt Graulich, eingesetzt als unabhängige Vertrauensperson von der Bundesregierung, um die Liste der NSA Selektoren in deutschen Abhörsystemen zu untersuchen. Er symbolisiert auch jene Lösung, gegen die sich die Opposition im Untersuchungsausschuss heftig gewehrt hatte. Beinahe hätten sich die Abgeordneten der Grünen und Linken sogar geweigert, an der heutigen Befragung des Sachverständigen teilzunehmen. Sie befinden sich dabei auf einem schmalen Grat, da sie sich einerseits den Erkenntnissen aus der Untersuchung nicht verschließen wollen, andererseits aber die Einsetzung einer “unabhängigen Vertrauensperson” ablehnen und in Karlsruhe gegen das Verfahren klagen.

Die unabhängige Vertrauensperson

Graulich, selbst ehemaliger Richter am Bundesverwaltungsgericht, ist nun die Person, die durch die von der Regierung konstruierten Lösung mehr Rechte bekommen hat als die Abgeordneten des Untersuchungsausschusses. Er durfte die hochgeheimen Selektorenlisten, die die NSA an den BND geliefert hat, einsehen und untersuchen. Ein einmaliger verfassungswidriger Vorgang und eine Beschneidung der Kontrollfunktion des Ausschusses, beklagt die Opposition.

Mehrfach jedoch betonen die Abgeordneten, in der fast 10 Stunden dauernden Befragung, dass sich ihre Vorbehalte nicht gegen Graulich persönlich richten. Er selbst zeigt Verständnis für ihren Missmut und die Klage auf Einsehung der Selektoren.

“Mein Herz schlägt auf der Seite der Opposition, die Selektoren sehen zu wollen”

Dennoch werden der sachverständige Jurist und die Mitglieder von Linken und Grünen im Laufe des Tages nicht mehr richtig warm miteinander – und sich mindestens einmal mit gegenseitigen Beleidigungen konfrontieren.

Dabei versucht Graulich gleich zu Beginn der Sitzung, eine vertrauensschaffende Geste zu fabrizieren. Nachdem er seinen Helm auf dem Tisch abgelegt und seine Akten aus der Fahrradtasche gezogen hat, schreitet er noch immer suchend nach vorne, um den in private Gespräche vertieften Bundestagsmitgliedern einzeln die Hand zu reichen. Vielleicht ist es aber auch nur eine Geste der Verlegenheit, auf der Suche nach einzelnen, nicht die anderen Politiker-innen zu vergrämen. Den Vorsitzenden CDU-Politker Sensburg steuert er zielsicher an, bevor er merkt, dass er die SPD-Abgeordneten übergangen hat. Einen Akt der höchsten Achtung spart sich Graulich für einen anderen auf - den Geheimhalter Philipp Wolff begrüßt der praktizierende Zen-Buddhist mit leicht gefalteten Händen und einer kleinen achtungsvollen Verbeugung.

Kritik an Graulichs Arbeitsweise

Nicht diese Geste gegenüber dem Geheimdienstler aus dem Bundeskanzleramt, aber die zu große Nähe zum BND, die sie anschaulich macht, wird Kurt Graulich am Ende des Tages zum Verhängnis werden. Dabei startet er mit einem klaren Selbstverständnis von dem er auch nicht abweicht

"Mich beeindruckt weder schlechte Presse, noch der BND, noch Fragen des Parlaments"

Er ist überzeugt von seiner Arbeit und seinen Methoden, Kritik tangiert ihn nicht.

Dabei gibt es viel Grund zur Kritik an dem Bericht, der schon eine Woche vor dem Termin an diesem Donnerstag veröffentlicht wurde. Das meint den einen Teil: 263 Seiten, die für die Öffentlichkeit aus einem eigentlich über 400 Seiten langen Machwerk gesiebt wurden. Selbst die Abgeordneten im Ausschuss dürfen diese aber nicht sehen. Sie erhalten eine weniger gekürzte Version mit ca. 300 Seiten, die sie aber auch nur in einem speziell abgesicherten Raum einsehen dürfen. Die Süddeutsche Zeitung aber hatte die Gelegenheit, ein BND-Gutachten aus dem Jahr 2013 mit einigen Stellen des öffentlichen Berichtes zu vergleichen. Dabei zeigte sich, dass einige Passagen komplett übernommen worden sind. Was Passagen aus einem BND Gutachten in einem Bericht machen, der zur parlamentarischen Kontrolle eben dieses Geheimdienstes gedacht ist, muss sich Graulich fragen lassen. Konstantin von Notz formuliert das Problem ganz allgemein

"Mir fehlt die Trennschärfe zwischen Ihrem Sachverständnis, Ihrer Meinung und der BND-Meinung"

Die Dokumente sind nach Ansicht der Opposition als Behördenbericht geeignet, aber nicht als Mittel eines parlamentarischen Kontrollausschussen.

Herzliches Lachen über die Vorwürfe

Interessant ist, wie Graulich auf die Vorwürfe reagiert. Er schafft es sie abzuwehren, ohne sie zu dementieren, zuzugeben oder darauf einzugehen. Über den Plagiatsvorwurf kann er nur herzlich lachen. Dass man ihm als "Studenten der 68er Jahre" vorwirft, aus einem geheimen Bericht abzuschreiben? "Das mir das mal passieren würde". Er verrät nur, dass besagte Passagen seiner Rechtsauffassung entsprechen. Also gibt er nun zu, dort abgeschrieben zu haben? Der ehemalige Richter und Staatsanwalt geht darauf nicht ein, lenkt geschickt ab und erklärt stattdessen, er habe noch an diesem Morgen im Halbschlaf einen Fehler in der Rechtsauffassung gefunden, der aber bisher niemandem aufgefallen sei.

Das klingt arrogant und überheblich, so ist er aber nicht. Kurt Graulich ist nicht vom Schlag eines polternden Roman Pofallas. Er ist charismatisch, hat eine angenehmen Sprache und die prägnante Stimme eines deutschen Robert de Niro. Der vor 66 Jahren in Offenbach geborene Jurist ist Autor und Herausgeber mehrerer Bücher, aus denen er fast die Hälfte aller Quellenbezüge in seinem Bericht bezieht. Andere Werke rezitiert er als Antwort auf Fragen der Abgeordneten – da wird auch mal gerne mit Passagen aus Faust gekontert oder seine Arbeit mit der von Joseph Beuys verglichen. Unterhaltsam ist das, der Wahrheitsfindung dient es nicht. Das, so scheint es, ist für Graulich aber auch nie der Ansporn seiner Arbeit gewesen.

Die Befragung schreitet voran und zunehmend verdichten sich die Vorwürfe hinsichtlich seiner Arbeit als unabhängige Vertrauensperson. Die Opposition verwendet diese Bezeichnung im Hohn – inzwischen ist klar, dass Graulich seine gesamte Arbeit im engsten BND-Umfeld verrichtet hat, 99% seiner Mitarbeiter-innen waren vom BND, das letzte Prozent aus dem Bundeskanzleramt, also jenen beiden Behörden, deren Versagen der Ausschuss eigentlich aufklären soll. Sie haben maßgeblich an dem Bericht mitgeschrieben. Graulich aber sieht darin kein Problem, er würde auch nie etwas verschweigen, weil es ihm unangenehm ist oder ein schlechtes Licht auf ihn werfen könnte. Er würde sich nie um eine Antwort drücken oder so lange Formulierungen überlegen, bis sie lediglich nicht komplett gelogen sind. So etwas gäbe es in seinem Kosmos nicht. Er scheint rein und ehrlich. Als er nicht weiß, ob er eine Aussage geben darf, fragt er direkt den Geheimdienstwächter Wolff

"Darf ich das kennen?"

In diesem Kosmos also ist Graulich unabhängig. Er ist überzeugt, er würde sich niemals indoktrinieren lassen, so wie es Martina Renner ihm vorwirft. Seine Welt ist bestimmt von knallharten juristischen Prämissen, die keinen Raum für moralische Abschweifungen lassen. Andere Regierungen ausspionieren? Natürlich, kein Problem. Da ergibt es auch Sinn, dass die hochbrisanten NSA-Selektoren nicht einsehbar sein dürfen, da das Urheberrecht dagegen sprechen würde. Was für die Zuhörer-innen auf der Tribühne absurd klingen mag, ist im Kosmos des Juristen Graulich völlig selbstverständlich.

Keine investigative Arbeit

Das zeigt aber auch seine natürliche Beschränktheit. Irgendwann blockt er alle Kritik der Opposition einfach ab: "Das war nicht mein Untersuchungsgegenstand". Er hat sich geradlinig nur um das bemüht, was konkret in seinem Vertrag steht. In diesem steht augenscheinlich nicht, dass er die Protokolle der Ausschuss-Sitzungen hätte lesen sollen, um den Kontext zu verstehen, um an den richtigen Stellen nachzufragen, aufmerksam zu sein und nicht einfach die Positionen des BND zu übernehmen. 'Das hat mir ja keiner gesagt', wird zu einer unausgesprochenen Entschuldigung. Allerdings, Graulich entschuldigt sich nicht, er macht Vorwürfe. Die Opposition hätte ihm diesen Auftrag ja geben können, erklären Wolff und er unisono. Hätten Sie ihn auffordern sollen, selbständig zu handeln und kritisch zu werten? Investigativ war seine Arbeit jedenfalls nicht.

Als die Befragung schon fast zuende ist, wird deutlich, Graulich hat einen elementaren Aspekt seiner Aufgabe grundsätzlich falsch bewertet. Über Verwendung der Selektoren schreibt er

"Die untersuchungsgegenständlichen Selektoren sind zur Benutzung vorgesehen gewesen oder zeitweise benutzt worden für Fernmeldeverkehre, die über Satelliten geleitet wurden. Dabei handelte es sich im Untersuchungszeitraum von 2004 bis 2015 um eine Telekommunikationstechnik für begrenzte Anwendungsfälle."

In der Befragung stellte sich heraus, dass Graulich bis zu diesem Zeitpunkt davon ausgegangen war, die untersuchten Selektoren wären nur für die Satellitenüberwachung eingesetzt worden. Also ein Bereich, der nur für sehr spezielle Personenkreise in Frage kommt. Diese Annahme wurde ihm offenischtlich von den BND-Mitarbeiter-innen suggeriert, ist aber grundlegend falsch. Das JSA-Programm, aus dem die Selektoren stammen, ist explizit für den Datenabgriff per Kabel gedacht. Damit betrifft es die ganz normale Internet- und Telefon-Kommunikation zwischen deutschen Bürger-innen.

Spätestens jetzt ist zu erahnen, welche Farce der Bericht ist, wieviel Zeit und Geld verschwendet wurde und was es den Ausschuss an Legitimation kostet. Zu diesem Zeitpunkt haben SPD und CDU aber keine Fragen mehr. Sie haben ihre Abschlussstatements für die Medien bereits in einer Pause, zwei Stunden vor Ende der Sitzung abgegeben. Die Opposition schlägt sich noch verbal mit einem Sachverständigen, dessen Weltperspektive den eigenen kleinen Kosmos nicht verlässt. Die Anhörung war die Bestätigung für Linke und Grüne, dass eine künstlich eingesetzte Vertrauensperson nicht die Arbeit des Ausschusses ersetzen kann. Schon die Grundannahme, aus den Listen der 30.000 abgelehnten Selektoren einen verwertbaren Schluss ziehen zu können, ist abwegig, denn mehrere Millionen Selektoren waren aktiv geschaltet und haben Milliardenfach Daten gesammelt und weiter gegeben.

Aber das war für den Sachverständigen nicht Untersuchungsgegenstand. Während der Ausschuss noch bis 24 Uhr weitere Zeugen hören wird, ist der Tag für Kurt Graulich nach über 7 Stunden Befragung beendet. Er wird den Saal in seinem schwarzen Anzug mit roter Krawatte und einer Fahrradtasche unter dem Arm verlassen.

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