Der Präsident hat nie von nichts gewusst

NSA/BND Ausschuss Wie der NSA Ausschuss sich mühsam an seine Antworten rankämpft. Und sie manchmal auch bekommt.

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Der Bundesnachrichtendienst muss sich inzwischen mehr Aufmerksamkeit gefallen lassen als ihm lieb ist.

Freitag Morgens 9 Uhr im Paul-Löbe-Haus (PLH) im Regierungsviertel. Draussen findet eine kleine Demo gegen die Vorratsdatenspeicherung statt, zu der trotz der recht frühen Stunde und des trockenen Themas einige Leute gekommen sind. Im Bundestag sollen heute Entscheidungen getroffen werden zu IT Sicherheit und eben dieser verflixten Vorrats­daten­speicherung. Im Europasaal des PLH tagt derweil, ausnahmsweise am Freitag, wieder der NSA Untersuchung­sausschuss, der zwar so genannt wird aber bisher vor allem die Zusammenarbeit mit dem deutschen BND in den Fokus nimmt. Es ist die Zeit der Prominenzen. Heute wird der ehemalige Präsidend des BND befragt, am gestrigen Donnerstag musste einer der aktuellen drei Vizepräsidenten des Nachrichtendienstes vor den Ausschuss treten und begann sodann seine Aussage mit einem seitenlangem, beinahe rührseligem Eingangsstatement. Die Arbeit des BND sei qualitativ ausgezeichnet und die Mitarbeiter über jeden Zweifel erhaben. Im Laufe der Befragung nahm das heroische Selbstbewusstsein des Zeugen allerdings ein paar Macken als er beispielsweise zugeben musste, dass er die Bedeutung der von den USA gelieferten Selektoren nicht erkannt habe. Selbst nach den Veröffentlichungen der ersten Snowdenpapiere stellte sich für ihn und seine Mitarbeiter nur die Frage, ob Backdoors, also technische Hintertüren im System zum heimlichen ausleiten von Daten vorhanden sein könnten. Die Abhörtechnik wurde nämlich von der NSA gesponsert während diese im Austausch Selektoren, also Suchbegriffe, einstellen durfte und die daraus resultierenden Meldungen erhielt.


Spionage durch die Vordertür


Dass die USA aber eben über diese Selektoren, also quasi durch die Vordertür kommen könnten, daran dachten Müller und seine Mitarbeiter offenbar nicht. So jedenfalls schildern er und auch der zweite Zeuge dieses Tages, sein Mitarbeiter Vorbeck, diese Zeit. Zumindest der letztere gibt in der Befragung offen zu, dass er heute einige der Vorkomnisse und Aktenvermerke anders einschätzen würde. Eine wichtige Frage ist nämlich außerdem, warum niemand ernsthaft reagierte als schon in früher Zeit des Programms Eikonal die Begriffe Eurokopter und EADS in den Meldungen des gemeinsamen Abhörprogramms von NSA und BND auftauchten. So wirklich will keiner der Zeugen zugeben, davon gewusst zu haben, und sie berufen sich darauf in der anschliessenden nicht öffentlichen Sitzung genauer Auskunft geben zu können.
Seine Aussage völlig verweigert hatte schon einige Wochen zuvor der Zeuge, von dem nur die Initialen D.B. bekannt gegeben werden. Er hatte als Unterabteilungsleiter 2013 (also im Rahmen der Snowdenveröffenltichungen) Anweisung gegeben nach Auffälligkeiten unter den Selektoren zu suchen. Als dem Mitarbeiter M.T. schon nach kurzer Suche rund 2000 “politisch sensible Suchbegriffe” aufgefallen waren, wurde das aber nicht an die Vorgesetzten weitergegeben. Den Grund dafür weigerte sich D.B. preiszugeben, da er sich mit der Aussage selbst belasten könnte.


Die Zeugen verstecken sich hinter Codenamen


Der Frage, wie es sein konnte, dass die Warnlampen mehrfach ansprangen in dem 6500 MitarbeiterInnen starken Verwaltungsapparat des Geheimdienstes und auf die Selektoren deuteten, aber nie wirklich konsequent verfolgt wurden, musste sich am heutigen Freitag die nächste Prominenz, der ehemalige BND Präsident Ernst Uhrlau stellen. Das SPD Mitglied war von 2005-2011 der höchste Beamte im BND. Also genau zu der Zeit, als der BND zusammen mit der NSA im Bayrischen Bad Aiblingen Daten durchsuchte, die aus deutschen Quellen gewonnen wurden. Als Uhrlau aber nach dem prestige­trächtigen Projekt Eikonal befragt wird, gibt er an davon nur aus der Presse gehört zu haben. Aber die Abgeordneten haben in den letzten Monaten des Untersuchungsausschusses dazugelernt und wissen inzwischen, dass Projektnamen Schall und Rauch sind. Sie werden wie Codenamen verwendet, ähnlich den amerikanischen Programme, wie XKeyscore, Quantum, Prism. Solche Bezeichnungen haben es aus gutem Grunde in sich, sie sind nicht dafür gedacht, dass man gerne öffentlich darüber redet, oder dass sie eindeutig genutzt werden können. Das ist eine Methode wie Geheimdienste arbeiten, das mag für ihre Spionagearbeit legitim erscheinen. Aber wenn sich die Ver­antwortlichen auch in einer parlamentarischen Befragung weigern sinnvolle Antworten zu geben und sich hinter Codenamen verstecken, erscheint dieser Ausschuss einen Moment lang wieder mal wie eine Farce. Die Abgeordneten versuchen es weiter und fragen nach anderen Bezeichnungen für Eikonal: Granat? Transit? Ja da mag er schonmal was von gehört haben, der ehemalige Präsident des BND.


Kein Interesse an NSA Selektoren


Auch auf die Selektoren angesprochen kann sich Uhrlau nicht erinnern, davon etwas in seiner Amtszeit mitbekommen zu haben. “Erst aus der Presse davon erfahren” hört man öfter von ihm an diesem Tag. Dann wird deutlich, dass er vielleicht die Bezeichnung “Suchbegriffe” kennen könnte, wieder so ein Versteckspiel mit den Worten.
Dennoch gibt er zu, schon 2006 von Problemen bei der Erfassung gehört zu haben, der Name des europäischen Rüstungskonzerns EADS soll dabei gefallen sein. Auch von einer Ausschussliste mit Suchbegriffen, die nicht mehr zugelassen werden sollen, hat er gehört, gesehen hat er sie nie. Interesse an diesem “Schatz”, wie der Grünen Abgeordnete von Notz diese Liste nennt, habe er auch nicht gehabt. Und das, obwohl der BND genau diesen Schatz bei sich selbst schützen wollte. Denn es hatte schon frühzeitig Warnungen gegeben, dass die USA mit Kenntnis der BND-eigenen Suchbegriffe Rückschlüsse auf das streng geheime Auftragsprofil des deutschen Dienstes bekommen könnten.
Wieder fragt Notz: “Ist der BND so naiv, 10 Jahre lang nicht diese Schatztruhe zu öffnen?”, also zu erfahren, für was sich die USA in den in Deutschland ausgeleiteten Daten interessieren. Die Antwort ist nicht eindeutig, anscheinend war die Leitung dagegen, vielleicht hat man gedacht die Suchbegriffe nicht ausreichend analysieren zu können.
War das wirklich ein Grund, oder stand das Abkommen mit den USA auf dem Spiel? Hochmoderne amerikanische Spionagetechnik gegen Informationen aus den deutschen Kabel. War es da vielleicht einfach zu verlockend, nicht richtig hinzuschauen und auf die Beteuerungen der USA zu vertrauen, dass Wirtschaftsspionage sich ja garnicht für sie lohnen würde? Hätten die BND Leute schon vorher auf die Warnsignale reagiert und sich schon ohne die Veröffentlichungen durch Snowden die Suchbegriffe mal genauer angeschaut, die bis zu dreimal täglich aus den USA kamen. Und wenn es nur aus eigenem Interesse gewesen wäre, dann wären Ihnen wahrscheinlich schon früher einige von den 12.000 Selektoren aufgefallen, die dann post-Snowden Ende 2013 gelöscht wurden. Allerdings so gründlich, dass heut nicht mehr nachvollzogen werden kann, welche Suchbegriffe das überhaupt waren - der Dienstlaptop aus dieser Zeit ist nicht mehr aufzufinden. Oder ist es eine Frage von Kompetenzen, schlechter Kommunikation, fehlendem Verantwortungs­verständnis?


Ein Geflecht aus Geheimhaltung und Verantwortungen


Momentan werden BND und Bundeskanzleramt nicht müde sich den schwarzen Peter gegenseitig zuzuschieben. Das ist noch kurioser, wenn man bedenkt, dass die Spitzenleute in Ihrer Karriere regelmäßig zwischen BND und Kanzleramt wechseln. Eine Farce, da dass Kanzleramt eine Kontrollfunktion über den Nachrichtendienst ausüben sollte. Auch Uhrlau war leitender Mitarbeiter im Kanzleramt bevor er Präsident des BND wurde und sich dort für mehrere Skandale verantworten musste. Es ist frustrierend dieses Geflecht entzerren zu wollen, das sich vielleicht in den Aktenbergen verbirgt mit denen die Abgeordneten überschwemmt werden. Sie kommen mit der Bearbeitung der Papiere kaum hinterher, vermuten schon lange eine Vertuschungsstrategie hinter den schlecht geordneten Dokumenten, geschwärzten Passagen und verschiedenen Geheimstufen. Als sie kürzlich dem Zeugen Thomas Kurz einen an ihn gerichteten Brief aus den BND Akten vorzeigen, hatte dieser den nie erhalten. Offenbar gibt es Geheimhaltungsstufen, von denen auch der Untersuchungausschuss noch nichts wusste, deshalb wurde der Brief in der Registratur des Kanzleramts abgefangen und an den Vorgesetzten von Kurz weitergereicht.
Diesmal wird Ernst Uhrlau ein Brief vorgelegt, es ist das Schreiben aus dem Kanzleramt, mit dem im Jahr 2004 die Telekom überzeugt wird, dass die Ableitung von Daten aus ihren Kabeln rechtmäßig ist. Der Inhalt ist streng geheim, laut dem Abgeordneten Ströbele besteht er zur Hälfte aus dem Briefkopf und dann ein paar Zeilen Text. Das hatte ausgereicht, um die Rechstabteilung der Telekom zu überzeugen, dass bei der Verletzung des Grundrechts alles im gesetzlichen Rahmen ist. Nicht umsonst wird das Schreiben in den BND Unterlagen ganz unverhohlen “Freibrief” genannt. Ströbele interessiert jetzt die Unterschrift, die ist von Uhrlau, damals noch Abteilungsleiter im Kanzleramt unter Merkel. Der Zeuge Uhrlau erinnert sich heute aber nicht mehr, er kenne den Inhalt nicht, trotz seiner Unterschrift. Wahrscheinlich habe jemand anders den Text ausformuliert und ihm zur Zeichnung vorgelegt.Wer das gewesen sei, kann er nun nicht mehr sagen.


Recht auf Amnesie


Diese Aussage ist nur ein Höhepunkt einer ganzen Reihe von ausweichenden Antworten von Uhrlau, denen sich die Abgeordneten genüber stehen. Die Fraktion der CDU, die zwar ab und zu auch mal mit kritischen Fragen überrascht, glänzt meist mit Desinteresse. Während Grüne und Linke jeweils nur 8 Minuten Zeit haben, um Ihre Fragen pointiert zu stellen und ihre Antworten zu bekommen. Die CDU Abgeordneten dagegen können in diesem Ausschuss fast 30 Minuten lang ihre selten interessanten Fragen auswälzen. Die SPD schafft es dagegen noch relativ oft kritische Nachfragen zu setzen oder auch mal eine Tirade auf einen Zeugen abzulassen, sie haben immerhin fast 20 Minuten Zeit dafür. Das ist das Ergebnis der letzten Bundestagswahl, der Ausschuss ist paritätisch besetzt und die Zeit nach der Sitzverteilung der Parteien bestimmt wie der Vorsitzende Sensburg regelmäßig und nimmermüde zu Beginn jeder Sitzung erklärt. Da es beliebig viele Fragerunden gibt, kann aber auch die Opposition theoretisch alle ihre Fragen stellen.
Leider sind auch diesmal wieder die Antworten selten zufriedenstellend. Der ehemalige Präsident Uhrlau überlegt lange pro Frage und antwortet dann meist mit nicht-Wissen. Wiedereinmal fragt man sich, wie es jemand geschafft hat soviel Unwissen in einer leitenden Position zu bewältigen.
Die Fragen orientieren sich an den Themen der vergangenen Sitzungen, der Plan war, erst die SachbearbeiterInnen zu befragen, um sich dann zur Spitze der Verantwortlichen vorzuarbeiten. Zu den Erkenntnissen aus der bisherigen Untersuchung soll Uhrlau Stellung beziehen, doch der beruft sich scheinbar auf ein Recht auf Amnesie: Memorandum of Agreement (Grundlage der Zusammenarbeit von NSA und BND)? Kennt er nicht. Der Schwachstellenbericht über das Programm Eikonal? Hat er vielleicht mal von gehört. Probleme mit dem Datenfilter? Weiß er nichts von. Weltraumtheorie? Hat er anscheinend nicht mal aus der Presse von erfahren.


Ergebnisse am Ende


Dann landet Ströbele aber anscheinend doch noch einen Treffer, er kann dem Zeugen immerhin ein Kopfnicken entlocken, das auch so zu Protokoll gegeben wird. Die Frage war, ob das Kanzleramt und der BND zusammen Begehrlichkeiten entwickeln, anscheinend nach neuen Projekten. Es scheint, dass der alteingesessene Grünen Abgeordnete, der auch Mitglied in einem geheim tagenden Kontrollgremium ist, mehr weiß als andere. Oft lohnt es sich während dieser Ausschusssitzung, bei den Fragen noch genauer hinzuhören als bei den Antworten, denn die Abgeordneten wissen mehr als sie in der öffentlichen Sitzung preisgeben dürfen. Zum Ende kann auch die Obfrau der Linken, Martina Renner, eine fast konkrete Antwort auf eine wichtige Frage erhalten, die bald eine wichtige Rolle im Ausschuss spielen wird. Ob die vom BND gesammelten Positionsdaten von Mobiltelefonen geeignet wären, um einer Militärdrohne ihr Ziel zu weisen, will sie wissen. Uhrlau antwortet: "Ich glaube Ja." Damit wird der Verdacht gefestigt, dass die Bundesrepublik auch ausserhalb von Ramstein den USA bei extralegalen Tötungen zur Seite gestanden haben könnte.


Ungeklärte Fragen


Zuvor hat der Ausschuss aber noch mit den Selektoren zu kämpfen. Die fragliche Liste haben sie immer noch nicht vom BND erhalten, diese ist aber zwingend notwendig für eine Beurteilung der Vorwürfe, die NSA hätten mit Hilfe des BND Wirtschaftsspionage betrieben. Die Mehrheit aus CDU und SPD im Ausschuss hat gegen eine Zitierung des Chefs des Bundeskanzleramtes, Peter Altmeier gestimmt, der wegen der umstrittenen Liste Rede und Antwort stehen sollte. Jetzt geben sie dem BND und dem Bundeskanzleramt bis zum 18. Juni Zeit, eine Entscheidung zu treffen, gegen die dann geklagt werden könnte, falls die Selektoren nicht zur Verfügung gestellt werden.
Gesichert sind weitere Besuche der politischen Prominenz, in der nächsten Woche sind der derzeitige BND Präsident Schindler, Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche und Minister de Maizière geladen. Im Juli folgt dann Ronald Pofalla, der schon kurz vor der Bundestagswahl 2013 den NSA Skandal schlichterdings für beendet erklären wollte. Danach sieht es aber auch nach der heutigen Sitzung noch lange nicht aus.

Ernst Uhrlau, 68 Jahre, war von 2005-2011 Präsident des deutschen Geheimdienstes BND. In dieser Zeit hatte der BND mit mehreren Skandalen zu kämpfen was gegenüber Uhrlau auch zu Rücktrittsforderungen geführt hat. Uhrlau ist SPD Mitglied und heute Berater der deutschen Bank.

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