Dass der Zusammenschluss zur Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di bei einer nicht allzu kleinen Minderheit in der ÖTV nicht beliebt ist, war bekannt. Ebenso bekannt - zumindest organisationsintern - war aber auch, dass Herbert Mai das Handtuch werfen wird, wenn sein Kurs in Richtung Ver.di nicht genügend Unterstützung findet. Trotzdem ließen sich beide Seiten auf einen Showdown ein, in der Hoffnung, der jeweils andere würde zurückzucken. Das ist bekanntlich nicht geschehen, was merkwürdigerweise allseits Überraschung auslöste. Das Ergebnis der nachfolgenden Krisensitzung: Ein Anruf beim Hannoveraner Personaldezernenten Frank Bsirske, ob er vielleicht Lust hätte, sich beruflich zu verändern. Der willigt ein, reist nach Leipzig, und damit die Öffentlichkeit sieht, dass sich in der ÖTV doch alle lieben, wird er mit 95 Prozent zum Vorsitzenden gewählt. Und der verkündet dann, dass alles bleibt wie es war. Er möchte die Fusion voran treiben.
Die Situation in der deutschen Gewerkschaftsbewegung ist zumindest an dieser Stelle ziemlich einfach: Zu Ver.di gibt es keine Alternative, und die ÖTV beginnt, sich überflüssig zu machen. Dabei hat gerade die ÖTV den Wandel in der Arbeitswelt bei allen Defiziten im Einzelnen relativ gut aufgenommen. Zur Erinnerung: Wenn in den siebziger Jahren der damalige ÖTV-Vorsitzende Heinz »Klotz« Kluncker nach einer Sitzung mit den öffentlichen Arbeitgebern etwas grimmig in die Kameras blickte, haben die Müllmänner in Mainz am nächsten Tag sicherheitshalber schon einmal einen Warnstreik eingeschoben. So funktioniert das heute nicht mehr.
Die Gewerkschaft ist immer noch arbeitskampffähig, hat aber längst begriffen, dass es nicht mehr allein um Lohnprozente geht, die man der Gegenseite abzutrotzen versteht. Es gab in den vergangenen Jahren interessante Initiativen, die darauf angelegt waren, dass die Beschäftigten sich aktiv beteiligen. Ein Beispiel: Reform der öffentlichen Verwaltung. Da wurden das Wissen und Engagement der Arbeitnehmer dazu genutzt, Effizienz und Bürgernähe herzustellen und moderne Arbeitsorganisation einzuführen. Unterstützt wurde das von externen Experten. In einem anderen Projekt wurde ein Programm zur betrieblichen Gesundheitsförderung entwickelt. Das sind zwei Beispiele für eine moderne Gewerkschaftsarbeit, bei denen sich die Rolle der Gewerkschaft auf die des Moderators reduziert. Eine solche Politik läuft keineswegs konfliktfrei ab, oft muss ein Korridor gemeinsamer Interessen mit den Arbeitgebern gefunden werden. Und öffentlichkeitswirksam ist sie kaum - es kracht ja nicht -, dafür aber praktische Demokratie.
Wo also hat es gehakt? Ein Problem der ÖTV war schon immer ihr Charakter als Bauchladen-Gewerkschaft. Von den Müllmännern über Lastwagenfahrer, Piloten, angestellten Ärzten bis zu Sparkassenbeschäftigten und Beamten wird eine immense Skala von Berufen bedient. Es gibt zum Beispiel keinen einsichtigen Grund, warum Sparkassenbeschäftigte nicht längst zur HBV übergewechselt sind, die Banker aus den Privatinstituten vertritt. Der öffentlich-rechtliche Charakter ist eine Ausrede - es geht um Mitglieder und damit um Geld.
Dieses ist eines der Probleme, die mit Ver.di gelöst werden sollen. Das, was zusammengehört, wird zusammengepackt (soweit es geht) und macht autonom eigene Tarifpolitik, kann Arbeitskampfmaßnahmen beschließen und so weiter. Das hieße aber, dass den Bezirken neben den Fachbereichen oder Säulen nicht mehr die Macht zufällt, über die sie jetzt verfügen. Und die ist bei der ÖTV recht groß. Die Vorsitzenden - »Bezirksfürsten« - verfügen über weitgehende finanzielle und personalpolitische Autonomie. Und da kommt natürlich hier und da das Bestreben auf, die eigene Macht zu retten. Ein Argument: Das Beratungsnetz - also die Zahl der Verwaltungsstellen - würde ausgedünnt. Das ist richtig. Die Gegenfrage aber muss lauten: Was kann eine einzelne Verwaltungsstelle leisten? Mag das mit dem Bauchladen auf höherer Ebene noch einigermaßen funktionieren, an der Basis klappt das nie und nimmer. Einige Berufsgruppen kommen zu kurz.
Und dann gibt es ein anderes ÖTV-Phänomen. Hauptamtliche Beschäftigte waren auf dem Gewerkschaftstag sehr stark vertreten. Das reicht schon einmal locker bis 20 Prozent. Dies birgt die Gefahr einer Verselbstständigung des Apparats oder zumindest einer Etablierung von Sperrminoritäten. Innergewerkschaftlicher Demokratie tut es nicht gut, wenn letztlich aus dem Apparat heraus die Auseinandersetzung um Ver.di geführt wird und blockiert werden kann. Und da ist es völlig egal, wer richtig liegt und wer nicht. Das fällt natürlich auch den Mitgliedern auf, die sich in den beteiligungsorientierten Projekten engagieren. Hier und da wächst dann die Befürchtung, dass Beteiligung nach innen ein Surrogat sein kann. Wenn sich das breit macht, ist es viel gefährlicher, als wenn ein Vorsitzender die Brocken hinschmeißt.
Jedenfalls ist dem Arbeitgeberpräsidenten Dieter Hundt in der vergangenen Woche der Schrecken ganz schön in die Glieder gefahren. Als die ÖTV von ihrer Aktion Scherbenhaufen partout nicht lassen wollte, fürchtete der Unternehmer-Funktionär, ihm könne ein Gegner abhanden kommen und erklärte öffentlich, »dass Gewerkschaften auch in Zukunft wichtig sind«.
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