Bin ich JETZT eine verdammte Schriftstellerin

Essay Das ist vielleicht nie zu klären: Wann ist der Moment da? Wann werden mich andere so sehen, wie ich will?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Als ich 8 Jahre alt war, entdeckte ich im Bücherschrank meines Vaters eine Ausgabe von Jack Londons „Frisco Kid“. Es war ein abgegriffenes Exemplar aus den Sechziger Jahren, ohne Schutzumschlag, das hellblaue Leinen ausgebleicht, es roch leicht modrig und in der Mitte fehlten ein paar Seiten.

Ich kann mich nicht mehr an die Geschichte erinnern – irgendein Junge, der auf einem Schiff anheuerte und in der Kombüse arbeitete. Mir war damals, während ich das Buch im Ilmpark sitzend las, klar, dass meine Lektüre etwas Besonderes war. Mehr noch: die machte mich, einfach durch den Akt des Lesens, zu etwas Besonderem.

Denn es war nicht die Art von Buch, die meine Freundinnen lasen – kein Mädchen-, kein Pferde-, kein Freundschafts-, kein Liebesbuch. Es war ein Jungsbuch, es war alt, es gehörte meinem Vater und es sah uncool aus, damit auf dem rasen zu sitzen.

Seit diesen Tagen im Sommer 2003 war mir bewusst, was ich einsam sein würde. Nicht wer, aber doch was – was meine Beschäftigung sein würde. Ich wollte solche Geschichten schreiben. Ich wollte die Möglichkeit haben, in die Köpfe der Menschen eine Vorstellung zu säen, sie dort wachsen zu lassen. Ich wollte Bilder entwerfen mit Worten

Ich wollte Schriftstellerin sein.

Viel hat sich geändert seitdem in meinem Leben, aber das ist noch immer so. Der Wunsch, meinen Lebenszweck im Erzählen von Geschichten zu sehen. In Den letzten Jahren hat mich der Gedanke gequält, dass ich das entweder nie schaffen oder dass es sehr sehr lange dauern würde. Dass ich darauf, mich Schriftstellerin nennen zu dürfen, Jahre und Jahrzehnte würde warten müssen wie auf einen Adelsschlag. Und dass es dann, wenn es soweit sein würde, zu spät wäre um sich noch lange daran zu erfreuen. Dass ich mein Leben mit der Vorbereitung auf diesen einen Tag verbracht habe würde – müßig, fast vergebens, voller Eitelkeit.

Vor einem Jahr hatte ich ein Gespräch mit einem Schriftsteller, der in Tübingen eine Lesung hatte. Bei einem Kaffee erzählte ich ihm von meinem Wunsch und meinen Sorgen. Er sah mich an und sagte mir:

Du musst selbst für dich bestimmen, wer und was du bist. Niemand kann dir da reinreden, niemand wird dir im Leben die Erlaubnis geben, zu sein, wer du sein willst.

Das hat mich damals sehr berührt und ich habe viel darüber nachgedacht.

Als ich im August ausbrach, beschloss ich, seinen Rat ernst zu nehmen. Ich schrieb überall hin: Josefine Engel. Schriftstellerin. Writer and Traveller.

Ich will es nicht von anderen abhängig machen, wie ich mich fühle. Und als was.

Und da ich mich als Schriftstellerin fühlte, auch ohne je etwas veröffentlicht zu haben, sah ich mich so. Schriftstellersein ist nämlich eher eine Lebensweise. Eine Einstellung. Eine Geisteshaltung. Eine Art die Welt zu sehen und die Dinge zu betrachten.

Als Material für dein Werk. Als Beispiele für Geschichten. Als Figuren und Charaktere. Als unerschöpflicher Speicher für Dialoge und Gefühle.

Darauf wurde jemand aufmerksam und schrieb mich an:

Du kannst dich nicht als Schriftstellerin bezeichnen. Du bist höchstens eine Autorin. Wenn du noch nichts veröffentlicht hast und wenn du nicht ganz vom Schreiben lebst und wenn dein in der Öffentlichkeit nicht bekannt ist, dann bist du keine Schriftstellerin. Egal was du selber behauptest.

Nun ist mein Roman veröffentlicht. Nun lebe ich seit 6 Wochen davon. Und ob mein Name in der Öffentlichkeit etwas zählt, ist recht subjektiv. Bin ich JETZT eine verdammte Schriftstellerin? Das ist vielleicht nie zu klären: wann ist der Moment da?

Wann werden mich andere so sehen, wie ich will?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden