Besser als nix

Gesetzesreform Die angekündigte Verschärfung des Sexualstrafrechts bietet Verbesserungen. Zeitgemäß ist sie jedoch nicht
Ausgabe 32/2015
Die geplante Gesetzesreform von Heiko Maas (Foto) lässt zu wünschen übrig
Die geplante Gesetzesreform von Heiko Maas (Foto) lässt zu wünschen übrig

Foto: Christian Thiel/Imago

Nein heißt Nein. Diese einfache Botschaft hätte Bundesjustizminister Heiko Maas bei seiner angekündigten Verschärfung des Sexualstrafrechts in Gesetzesform gießen können. Hat er aber nicht. Statt den sogenannten Vergewaltigungsparagrafen grundsätzlich zu verändern, baut er zusätzliche, schwammig definierte Straftatbestände ein. Die geplante Reform bietet Verbesserungen. Die Frage ist jedoch: Warum überhaupt an einem Gesetz herumdoktern, dessen Struktur noch aus dem Mittelalter stammt, wenn es auch zeitgemäß ginge? Bisher gilt ein sexueller Übergriff als Nötigung – oder im Falle von Geschlechtsverkehr als Vergewaltigung –, wenn der Täter das Opfer bedroht, Gewalt anwendet oder seine Schutzlosigkeit ausnutzt.

Falls etwa eine Person sich nicht wehrt, weil sie in Schockstarre ist oder Angst vor dem Täter hat, kommt es in der Regel nicht zur Verurteilung. Die Definition von Schutzlosigkeit sowie die Liste der Gründe, warum sich eine Person nicht wehren kann, soll nun erweitert werden, um diese sogenannten Schutzlücken zu schließen. Laut Entwurf wird der „sexuelle Missbrauch unter Ausnutzung besonderer Umstände“ zur Straftat. Etwa wenn Menschen sich nicht gewehrt haben, weil sie unter Alkoholeinfluss standen oder, wie es im Entwurfstext heißt, weil sie Angst vor einem „empfindlichen Übel“ hatten.

Was genau darunter zu verstehen ist, bleibt den Gerichten überlassen. Vielleicht eine drohende Kündigung. Die Angst, dass die Kinder im Nebenzimmer etwas mitbekommen, eher nicht. Vollständig geschlossen wird die Schutzlücke also nicht. Auch für sexuelle Selbstbestimmung kann der Gesetzesentwurf nur bedingt sorgen. Für eine Vergewaltigung reicht es immer noch nicht, dass Frau oder Mann Nein gesagt haben, dass sie geweint oder gezittert haben. Und wenn einer Frau in der U-Bahn die Hand unter den Rock oder in den Schritt gesteckt wird, sie aber aus Scham nicht reagiert, gilt das auch nach dem neuen Entwurf höchstwahrscheinlich noch immer nicht als sexuelle Nötigung.

Dabei hätte Maas in Formulierungsfragen nicht einmal besonders kreativ werden müssen. Deutschland hat die Istanbul-Konvention unterschrieben. Darin heißt es, dass alle nicht einverständlichen sexuellen Handlungen mit einer anderen Person unter Strafe zu stellen sind. Copy und Paste, sollte man meinen. Das Sexualstrafrecht an Grundsätze wie Selbstbestimmung und Einverständnis zu koppeln wäre nicht mal revolutionär, sondern sollte im 21. Jahrhundert selbstverständlich sein.

Kritiker fürchten, die Reform bedeute einen Rückschritt im liberalen Rechtsverständnis oder gar gesetzlich verordnete Lustfeindlichkeit. Thomas Fischer, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, schrieb auf der Juristenplattform verfassungsblog.de: Schutzlücken gäbe es immer. Die Frage sei vielmehr, „wie wir unsere Gesellschaft verfassen wollen und wo die Grenze verläuft, jenseits derer Strafverfolgung zur Karikatur von Freiheit wird.“ Solche Kritik ist polemisch. Wenn aber ein konsequentes Nein-heißt-Nein nach dem Vorbild der Istanbul-Konvention zur rechtlichen Prämisse würde, bedeutete das keineswegs, dass jeder Grabscher für fünf Jahre hinter Gitter wanderte.

Stattdessen wäre eine solche Änderung ein wichtiges Signal. Sowohl für die Täter, die sich nicht mehr damit herausreden können, es handele sich um ein Missverständnis oder ihre Angriffe seien nur Annäherungsversuche. Als auch für die Betroffenen: Dass sie nicht selbst schuld sind, dass die Gesellschaft sexuelle Übergriffe nicht als Kavaliersdelikt behandelt und dass sie sich nicht schämen müssen, sondern Opfer einer Straftat wurden. Vielleicht würde das auch den Mut erhöhen, Nein zu sagen.

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