Der beliebteste Politiker Berlins, so konnte sich Mario Czaja zwei Jahre nach seinem Amtsantritt als Sozialsenator nennen. Flughafendesaster, Mietenexplosion – nicht seine Probleme. Zwar kannte nur knapp die Hälfte der Berliner den jungen Politiker, aber die anderen mochten ihn. Das war Anfang 2014, bevor täglich mehrere Hundert Flüchtlinge in die Hauptstadt kamen und der Senat an ihnen scheiterte. Jetzt kennt fast jeder Berliner den Namen des Sozialsenators. Seine Beliebtheit ist Geschichte. Die Opposition fordert seit Monaten seinen Rücktritt, selbst Berlins Regierender Bürgermeister legte ihm die Demission nahe. Czaja steht heute für: Versagen, Unfähigkeit, Schande.
Die Lage im Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) hat den Ambitionen des jungen Ostberliners einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die Situation dort verbessert sich kaum. Flüchtlinge warten bei Schnee und Regen tagelang in der Kälte. Nun können sie sich nicht mal mehr selbst versorgen – denn das Lageso hängt mit der Auszahlung des Versorgungsgeldes skandalös hinterher.
Dabei ist Czaja ein bürgernaher Politiker. In seinem Wahlkreis ist der 40-Jährige tief verwurzelt. Seine Familie lebt seit langem dort, er ging in Marzahn zur Schule, verließ das Gymnasium ohne Abitur, feierte, jobbte, lernte Versicherungskaufmann. Der ganz normale Typ von nebenan.
Über die katholische Kirche kam er zur Jungen Union, ab 1993 war er kommunalpolitisch aktiv. Seit 1999 sitzt er im Abgeordnetenhaus. Er errang dreimal das Direktmandat, obwohl sein Wahlkreis keine CDU-Hochburg ist.
Mario Czaja ist wahrscheinlich ein weit besserer Kommunalpolitiker denn Minister. Der direkte Austausch mit den Bürgern, das sind die Momente, in denen er punkten kann. Er bedankt sich für Einladungen, erzählt Witze und nimmt Kritikern durch Zuwendung den Wind aus den Segeln. Er verbreitet eine Alles-wird-gut-Stimmung. Ein Gast, bei dem man schnell vergessen kann, dass er der Regierung angehört, wenn er bei einem Treffen mit Hebammen plötzlich anfängt, mit strahlenden Augen von der eigenen kleinen Tochter zu schwärmen – ganz der stolze Papa.
Als vergangene Woche in Berlin aber die Nachricht über einen vermeintlich verstorbenen Flüchtling kursierte, forderten viele, Czaja müsse nun endlich Konsequenzen ziehen – und zurücktreten. Die Geschichte stellte sich als falsch heraus. Die Kritik am Sozialsenator aber blieb. Allein dass viele die Meldung für plausibel hielten, zeige das Versagen des Senators, meinten Oppositionspolitiker.
Wo immer Mario Czaja in diesen Tagen auftaucht, lässt er mit gesenktem Kopf Vorwürfe über sich ergehen. Der Senator wiederholt kleinlaut: Man arbeite mit Hochdruck, Verbesserungen gebe es bereits, die Situation sei nicht so dramatisch, wie sie dargestellt werde. Besonders überzeugt wirkt er selber nicht.
Schuld an den aktuellen Engpässen sei der hohe Krankenstand am Lageso, meint Czaja, die Hälfte des Personals hat sich krankgemeldet. Seine Lösung: Die Mitarbeiter werden nun umverteilt – von der Erstregistrierungsstelle in die Leistungsausgabe für die Flüchtlinge, die schon länger in Berlin sind. Für die Hungrigen gibt es eine Notfallhotline. Das ist Czajas Strategie gegen das Chaos. Das und die Hoffnung, dass der Rückstau sich in einigen Wochen von alleine erledigt. Auch ein geplantes neues Flüchtlingsamt soll ihm die Probleme abnehmen.
Bloß nicht auffallen
Rücktritt ist für Czaja keine Option. Im Dezember nahm er die Forderungen, seinen Stuhl im Senat zu räumen, angriffslustig entgegen: Die Grünen hätten den Rücktritt von so ziemlich jedem gefordert, der für die Flüchtlingsunterbringung zuständig sei, sagte er. Jetzt ist er kleinlauter, schlägt versöhnlichere Töne an. Er gesteht Fehler, sagt für ihn bedeute Verantwortung, Kritik anzunehmen und weiter mit voller Kraft für Besserung zu arbeiten. Czaja ist kein Streithammel wie sein CDU-Kollege, der zweite Bürgermeister Frank Henkel. Czaja versucht zu beschwichtigen – und zu beschönigen.
Man habe am Lageso bereits einen Paradigmenwechsel eingeleitet, versprach der Sozialsenator im Dezember. Davon merken Flüchtlinge und Helfer nichts. Natürlich hat Czaja keinen einfachen Job, zumal der 40-Jährige eigentlich eher im Bereich der Gesundheitspolitik zu Hause ist. Und eine zusammengesparte Behörde mit veralteten Strukturen binnen Monaten in eine Hochleistungsagentur zu verwandeln, ist schwer.
Aber Paradigmenwechsel sind nicht Czajas Spezialität. Seine Strategie war immer: Bloß nicht auffallen, weder mit großen Visionen noch mit Beleidigungen. Die Strategie hätte aufgehen können, wären die Flüchtlinge nicht gekommen. Eigentlich war Czaja prädestiniert, in der CDU Karriere zu machen, ein Sonnyboy, ein junger Sympathieträger, der lächelt und zuhören kann. Das Gegenstück zu der selbstgerechten Altherren-Attitüde, die CDU-Politiker in Berlin gerade bei den jungen Menschen unpopulär macht.
Das war ein Grund, der den Ostberliner in seinem Wahlkreis in Marzahn-Hellersdorf so beliebt machte. Er ist ein Politiker, der sich ehrlich und geduldig mit den lokalen Anliegen der Bürger beschäftigt, mit den Schulen im Wahlkreis, den Bürgersteigen, den Spielplätzen. In Marzahn gilt Czaja als lösungsorientierter Politikertyp. Er arbeitete dort oft mit der PDS zusammen und bekam dafür aus der eigenen Partei harten Gegenwind. Aushandeln, kommunizieren, keinen vor den Kopf stoßen – das ist sein Stil. Bis heute ist er niemand, der die Linke pauschal verteufelt.
Als Senator bringt ihm das wenig. Besonders wenn die Probleme so gravierend werden, dass seine Alles-wird-gut-Masche inzwischen ganz anders wirkt – wie Zynismus.
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