Der Widerstand gegen TTIP artikuliert sich nicht nur im Netz und auf der Straße, auch zahlreiche Städte und Gemeinden begehren mittlerweile gegen das Freihandelsabkommen auf. Zurzeit verabschieden Gemeinderäte und Kreistage quer durch Deutschland Resolutionen, in denen sie dazu aufrufen, die Verhandlungen zu TTIP und dem Dienstleistungsabkommen TiSa zu stoppen. Sowie CETA, das Freihandelsabkommen der EU mit Kanada, so lange nicht zu ratifizieren, so lange der dort festgeschriebene Investorenschutz dafür sorgt, dass die Handlungsfreiheit der Kommunen bei der öffentlichen Daseinsvorsorge beschnitten wird.
Attac dokumentiert die „TTIP-freien Kommunen“ im Netz auf einer interaktiven Karte. Rund 150 sind es bisher, 10.000 sollen es – so das ehrgeizige Ziel der Attac-Kampagne – noch werden. Mit Köln ist seit Kurzem auch eine Millionenstadt unter den Aufmüpfigen. Auf Bundesebene ist man über die neue Opposition alles andere als erfreut. Für die Kommunen gab es von oben eins auf den Deckel. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages schrieb in einem Infobrief Ende vergangenen Jahres: „Weder den Gemeinderäten noch den Kreistagen stehen Befassungs- oder Beschlusskompetenzen im Hinblick auf eine politische Erörterung oder Bewertung der geplanten Freihandelsabkommen zu.“
Aber die Lokalpolitiker wollen sich nicht den Mund verbieten lassen. Denn die Folgen von TTIP und Co., die fernab ihrer Einflussmöglichkeiten in Brüssel und Washington verhandelt werden, könnten sie am Ende besonders hart treffen. Kommunale Wasserversorgung, Müllabfuhr und Nahverkehr könnten durch die Liberalisierung in das Visier amerikanischer Konzerne und Private-Equity-Fonds geraten. Bei der öffentlichen Auftragsvergabe dürften die Kommunen dann lokale Anbieter nicht mehr bevorzugen. Umwelt- und Verbraucherschutzstandards würden fortan als Handelshemmnisse gelten. Sie wären damit als Kriterien für die Auftragsvergabe hinfällig.
Gegen den vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestags verordneten Maulkorb regt sich deshalb Protest. Britta Haßelmann und Sven Giegold von den Grünen schreiben in einem Brief: „Es gibt ein allgemeines Recht der Kommunen, sich sachlich und kritisch zu Gesetzgebungsvorhaben zu äußern, von denen sie direkt oder indirekt betroffen sein können.“ Die Innenministerien von Nordrhein-Westfalen und Bayern stellten klar, dass sich die Kommunen durchaus mit TTIP befassen dürften, wenn der lokale Bezug deutlich gemacht werde. Und Attac verspricht den Lokalrebellen: Niemand kann für so eine Resolution bestraft werden.
Quer durch alle politischen Lager
Auffällig ist, dass der größte lokalpolitische Widerstand aus Bayern kommt. Ausgerechnet in der CSU-Hochburg sitzen die Punkte auf der Karte TTIP-freier Kommunen dicht an dicht. „In Süddeutschland hat die kommunale Selbstverwaltung einen besonders hohen Stellenwert“, sagt Thomas Eberhardt-Köster, Mitglied im Koordinierungskreis von Attac Deutschland. „Auch konservative CSU-Politiker reagieren dort sehr allergisch, wenn ihre Eigenständigkeit aus Brüssel oder Berlin angegriffen wird.“ Kommunale Selbstverwaltung geht da vor Parteilinie. Das erklärt auch, warum der lokale Widerstand quer durch alle politischen Lager geht. Zumindest fast, die FDP hält sich vornehm raus.
Aber was kann dieser Protest bewirken? Wenn zehntausende Menschen auf der Straße die Politiker bisher nicht umdenken ließen, warum sollten sie sich dann für die Sorgen von Bergisch-Gladbach, Augsburg oder Chemnitz interessieren? „Dieser Infobrief vom wissenschaftlichen Dienst ist ja schon mal ein klares Zeichen dafür, dass der kommunale Widerstand auf Bundesebene gehört und ernst genommen wird“, sagt Eberhardt-Köster. Formalrechtlich müssten sich die Bundestagsabgeordneten zwar nicht daran orientieren, er ist aber trotzdem überzeugt, dass der kommunale Widerstand bei ihnen durchaus Wirkung hinterlässt. „Auch für die Bundespolitiker spielt es ja eine Rolle, was an der Basis ihrer Partei geschieht.“
Druck über alle Kanäle ist die Strategie der TTIP-Gegner: über die Straße, über die Parteibasis, über Verbände. So können sich die Kommunen auch über ihre Verbände in Berlin Gehör verschaffen. Zwar hat der deutscher Städte- und Gemeindebund in den Entscheidungen zu TTIP nur konsultierende Funktion. „Aber seine Meinung hat Gewicht“, betont Eberhardt-Köster.
Die Bayern haben dabei bereits vorgemacht, wie es gehen kann. Sie sind Meister darin, lokale Interessen zum bundesweiten Thema zu machen. Stromtrassen, Maut und nun – vielleicht TTIP? Mit dem Unterschied, dass es sich beim Freihandelsabkommen tatsächlich einmal um ein allgemeingesellschaftliches Interesse handelt.
Druck über alle Kanäle ist aber nicht nur die Strategie der TTIP-Gegner, es ist auch ihre einzige Chance. Die Frage, wie viel Einfluss die Statements der Kommunen im Einzelnen haben, ist insofern müßig. Es gilt schlicht so viel und so breitgefächerten Widerstand wie möglich zu organisieren.
Das ist auch die Idee des Aktionstages gegen TTIP an diesem Samstag. NGOs, Gewerkschaften und soziale Bewegungen rund um den Globus mobilisieren dafür. Nicht nur in Europa und den USA, auch in Indonesien, Japan und weiteren Ländern sollen Aktionen stattfinden. Dass der Protest in Deutschland ein dezentraler wird, dass es in vielen Ecken der Bundesrepublik laut wird – dafür wollen auch viele Lokalpolitiker und TTIP-kritische Kommunen sorgen. Immer treu ihrer Devise: Denke global und leiste Widerstand in deinem Gemeinderat.
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