Asyl Jurastudenten helfen Flüchtlingen im Asylverfahren. Pluspunkte im Lebenslauf für die einen, kostenfreie Beratung für die anderen. Eine Win-Win-Situation?
Das Jurastudium in Deutschland gilt als verschult und ohne Praxisbezug. An vielen Unis gründen sich in den letzten Jahren sogenannte Law Clinics. Die Idee: Studierende werden in einem Rechtsgebiet eingehend geschult und können dann eigenständig Rechtsberatung anbieten. Ein Vorreiter ist die Refugee Law Clinic in Gießen. Studenten helfen hier Flüchtlingen bei ihrem Asylantrag. Laura Hilb ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Law Clinic und engagiert sich seit Jahren für Asylsuchende.
der Freitag: Am Ausgang des Asylverfahrens hängt für die Flüchtlinge ihr Schicksal. Das ist eine große Verantwortung und das Asylrecht ziemlich kompliziert. Sind Studenten dem gewachsen?
Laura Hilb: Hinter der Beratung muss natürlich eine gewisse Qualit&
ura Hilb: Hinter der Beratung muss natürlich eine gewisse Qualität stehen, das ist klar. Um das zu gewährleisten, durchlaufen die Studierenden eine sehr engmaschige Ausbildung, die über zwei Semester geht. Dazu gehört eine Vorlesung in Asylrecht und ein Praktikum bei NGOs, Rechtsanwälten, oder Behörden. Im zweiten Semester gibt es eine Übung. Da werden echte Fälle bearbeitet und Beratungssituationen simuliert, damit die Hemmschwelle nicht so groß ist, wenn man später vor den Flüchtlingen sitzt. In einem parallelen Seminar erstellen die Studierenden ein rechtliches Gutachten über die Erfolgsaussichten eines Asylantrags.Law Clinics gibt es an verschiedenen Unis in Deutschland. Die Idee dahinter ist, den Studenten mehr Praxiserfahrung zu ermöglichen. Sind Flüchtlinge nicht ein sehr heikles Terrain zum Ausprobieren?Das Law Clinic System steht oft in der Kritik, da es stark von dem Studienmodell abweicht, das wir in Deutschland haben. Daran wollen viele nicht rütteln. Im angloamerikanischen oder osteuropäischen Raum ist es gang und gäbe, dass man schon während des Studiums Rechtsberatung anbietet. Es muss eben sichergestellt werden, dass man fundiert ausgebildet wird. Aber grundsätzlich halte ich das für eine gute Möglichkeit, sich auf das spätere Berufsleben vorzubereiten.Wie läuft so eine Flüchtlingsberatung dann ab?In Gießen gibt es die Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge, die nach Hessen kommen. Zusammen mit ehrenamtlichen Dolmetschern gehen wir wöchentlich in die Einrichtung und bieten Infoabende zum Asylverfahren in Deutschland an. Die Dolmetscher wechseln, sodass im besten Fall jede Woche eine andere Sprache gesprochen wird. Solche Gruppenabende sind eine gute Möglichkeit viele Menschen zu erreichen und den Flüchtlingen die Möglichkeit zu geben erstmal nur zuzuhören, oder allgemeine Fragen zu stellen. Im Anschluss kann man dann Termine für Einzelberatungen ausmachen. Da gehen wir mit den Menschen auf ihre individuellen Fluchtgründe ein.Woher kommen die Menschen in der Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen? Welche Schicksale begegnen euch dort?Hier gibt es ganz viele Menschen aus Eritrea. Das liegt daran, dass nicht in jedem Bundesland jedes Herkunftsland angehört wird. Eritrea beispielsweise wird viel in Gießen angehört, Guatemala ausschließlich hier. Wir haben auch viele Syrer, weil die gerade die größte Gruppe darstellen, die nach Deutschland flüchtet. Das sind natürlich besonders dramatische Schicksale. Die Menschen aus Eritrea sind in aller Regel vor dem Militärdienst geflohen.Gab es Geschichten, die dich sehr mitgenommen haben?Ja schon. Kein Schicksal ist unbewegend. Besonders schwierig ist es mit Jugendlichen. Minderjährige, die ganz alleine ohne ihre Familie kommen und die Sprache nicht sprechen. Da ist es enorm schwer, in der Beratungssituation ein Vertrauen aufzubauen. Und weil Kinder und Jugendliche in besonderem Maße verletzlich sind, ist das auch für den Berater emotional sehr belastend. Oft stellt man auch fest, dass die Flucht für die Kinder oder Jugendlichen traumatisierender war, als die Geschehnisse im Heimatland.Ihr seid juristisch auf die Fragen zum Asylverfahren vorbereitet. Bei der Arbeit mit Menschen, die traumatische Dinge erlebt haben und aus unterschiedlichsten kulturellen Kontexten kommen, braucht es aber auch eine große soziale Kompetenz. Können die Studenten das leisten?Bei der ersten Beratung der Studenten kommen immer Berater mit, die schon Erfahrung haben. Ich kann mich noch gut an meine erste Beratung erinnern. Als dann so viele Leute vor mir saßen, fand ich es schwierig mit dem Sprechen anzufangen. Ich war total nervös und habe mich gefragt, ob die Menschen mich überhaupt ernst nehmen. Die Dolmetscher helfen uns auch, damit es nicht zu kulturellen Missverständnissen kommt. Wir hatten zum Beispiel eine Studentin aus Pakistan, die bei uns aktiv war und gedolmetscht hat. Sie hat uns erklärt, dass wir darauf achten müssen Stühle freizulassen, sodass Frauen und Männer nicht nebeneinander sitzen. Sonst setzen sich die Frauen nicht, oder kommen im schlimmsten Falle gar nicht zur Beratung.Was bereitet den Flüchtlingen im Asylverfahren die größten Schwierigkeiten?Die Unsicherheit ist für die Flüchtlinge besonders schlimm. Das hat auch viel mit dem Dublin-System zu tun. Da die meisten Menschen über ein anderes Land nach Deutschland kommen, können sie nicht einmal sicher sein, ob sie hier ihr Asylverfahren durchlaufen dürfen.Unter den Flüchtlingen kursieren auch viele Gerüchte über die Anhörung, welche Geschichten man dort erzählen müsse, um bleiben zu können. Deshalb ist es unser größtes Anliegen den Menschen klar zu machen, wie man sich auf diese Anhörung vorbereitet, dass man dort einfach alles erzählen muss und sich nichts ausdenken darf.Das ist unglaublich wichtig, denn das Protokoll dieser Anhörung zieht sich durch das gesamte Asylverfahren. Problematisch ist auch, dass viele Sachen nicht übersetzt werden. Das Protokoll zum Beispiel ist auf deutsch. Und auch die Begründung der Entscheidung. Viele Flüchtlinge verstehen dann natürlich nicht, was es bedeutet, wenn sie die Flüchtlingsanerkennung aber nicht die Asylberechtigung bekommen haben.Das klingt nach viel Arbeit neben dem Studium. Warum engagieren sich die Studenten überhaupt in der Law Clinic?Das sind unterschiedlichste Gründe. Gerade viele Jurastudierende nehmen das als Chance wahr, die eigenen sozialen Kompetenzen auszubauen. Im Studium wird der Umgang mit Mandanten nie geübt. Viele werden später Anwälte, da ist das ein ganz wesentlicher Teil auf den die Studenten aber nicht vorbereitet werden.Bei vielen steht auch im Vordergrund, dass Flüchtlinge und Asyl aktuelle Themen sind. Sie wollen sich damit fachlich auseinandersetzen und gleichzeitig noch Hilfe leisten. Natürlich macht es sich auch gut im Lebenslauf, das mag für manche der Grund sein, aber sicher nicht der einzige.An der Humboldt-Uni Berlin hat sich vor Kurzem auch eine Refugee Law Clinic gegründet. Dort wurde von Teilnehmerinnen die Kritik hervorgebracht solche Initiativen würden postkoloniale Herrschaftsstrukturen reproduzieren, indem privilegierte Weiße armen Schwarzen helfen. Was sagst du dazu?Ich denke wir setzen uns mit Rassismus und Diskriminierung noch zu wenig auseinander. Aber wir wollen das machen und thematisieren das auch immer wieder. Wir sind eine gemischte Gruppe. Solche Kritik gibt mir natürlich zu denken. Ich weiß nur nicht was die Lösung sein könnte. Sollte man dann keine Flüchtlingsberatung anbieten? Es gibt generell zu wenige Beratungsstellen, um alle Asylsuchenden abzudecken. Die meisten Menschen haben kein Geld für einen Anwalt und die Beratungsstellen sind wegen der hohen Antragszahlen überlaufen.In den letzen Wochen ist mit den Pegida-Ablegern in ganz Deutschland eine neue Form der Fremdenfeindlichkeit deutlich geworden. Gibt es solche Entwicklungen auch in Gießen und hat das Einfluss auf eure Arbeit?Die Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen gibt es schon so lange. Die Bevölkerung empfindet das im Allgemeinen als völlig normal und hat keine negativen Einstellungen. Hier treten eher praktische Probleme auf. Eine Aufnahmestelle ist zum Beispiel am Rand der Stadt, da benutzen viele Flüchtlinge den Bus. Es gab dann Beschwerden, dass der Bus immer so voll sei, aber das hat nichts mit den Leuten zu tun, das ist einfach ein logistisches Problem. Hier gehören die Flüchtlinge schon lange dazu. Ich denke problematisch ist es vor allem dort, wo es kaum Flüchtlinge gibt.
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