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Buchkritik Ein belgischer Ökonom und ein französischer Zeichner erklären den Kapitalismus mit Legomännchen und Hannibal Lecter – in einem Comic
Ausgabe 05/2015

Das Freihandelsabkommen TTIP soll jedem EU-Bürger 500 Euro bringen; der Mindestlohn Tausende Arbeitsplätze kosten. Täglich spucken Wirtschaftsexperten neue Zahlen und Szenarien aus. Dabei ist das Schema immer gleich: eine einfache Botschaft mit für Laien unverständlichen Prämissen. Ökonomen sitzen im Elfenbeinturm, reden möglichst kryptisch von Credit Default Swaps oder Assets, und unten versteht man: Bahnhof. Viele Menschen hegen Misstrauen gegenüber Profit- und Wachstumszwang der herrschenden Wirtschaftsordnung. Aber den Modellen von Mainstream-Ökonomen wie Hans-Werner Sinn hat der Laie wenig entgegenzusetzen.

Die vermeintlich in Stein gemeißelten Theorien zu demaskieren, Ökonomie verständlich zu machen – das haben schon viele versucht. Aber wer hat schon Zeit, neben seinem Job noch tausend Seiten Thomas Piketty zu lesen? Der belgische Ökonom Paul Jorion und der französische Zeichner Grégory Maklès bieten eine Lösung: Sie erklären Wirtschaft in einem Comic. Das Überleben der Spezies führt mit viel schwarzem Humor hinter die Kulissen der kapitalistischen Maschinerie und erklärt deren Grundlagen: Unterdrückung, Ausbeutung, Klassenkompromiss.

Im Mittelpunkt stehen die Akteure, ihre Interessen und Beziehungen. Da ist der Reiche, klein, aber größenwahnsinnig; der Investmentbanker mit einer Hannibal-Lecter-Maske; der normale Arbeitnehmer als Legofigur, gleichgeschaltet und immer fröhlich lächelnd. Und nicht zuletzt der Sohn des Kapitalisten – ein hoffnungsloser Fall. Er will partout nicht verstehen, warum man das überflüssige Geld nicht dorthin geben sollte, wo es gebraucht wird. Warum man es stattdessen zum Hannibal-Banker bringt, der auf die Preise der Nahrung anderer Leute spekuliert, und was in aller Welt sein Vater an Pferdewetten so spannend findet.

„Man wird als Kapitalist geboren, mit einem dicken Bankkonto und dem Wissen, dass einem die Welt gehört“, wird der Vater nicht müde, ihm einzutrichtern. Als der Sohn sich resistent gegen Geldgier und Kaltschnäuzigkeit zeigt, landet er im Psychiatrischen Institut Sankt Hayek.

Das Überleben der Spezies besticht nicht unbedingt durch Ausgewogenheit oder Authentizität, dafür umso mehr durch bissigen Humor und schonungslose Kritik. Die Preisbildung über Angebot und Nachfrage wird Kindern vom Weihnachtsmann als Märchen vorgelesen; Kapitalist und Manager tauschen feuchte Küsse aus und Obama steht im Club der Superreichen hinter der Bar und wäscht Teller.

Eine Satire, die ohne Skrupel Stereotype bedient und hemmungslos überspitzt. Jorion und Maklès setzen den Stift dort an, wo es wehtut, und entlarven jede kapitalistische Selbstlegitimation als Makulatur.

Wer nach differenzierteren Antworten sucht, kann auf einen anderen Wirtschaftscomic zurückgreifen: Economix von US-Autor Michael Goodwin lässt den Protagonisten einmal durch die komplette Wirtschaftsgeschichte reisen, setzt ökonomische Theorien dabei in den jeweiligen historischen Kontext und zeigt die Abhängigkeit der Deutungsmuster von machtpolitischen Interessen. Der Ökonom Rudolf Hickel fordert vehement, Economix in die Universitätsbibliotheken und Literaturlisten wirtschaftswissenschaftlicher Fakultäten aufzunehmen. Das wäre ein Anfang. Eigentlich aber braucht die herrschende Lehre in der Ökonomie dringend mehr Zuspitzungen à la Das Überleben der Spezies im Literaturplan.

Das Überleben der Spezies Paul Jorion, Grégory Maklès Marcel Le Comte (Übersetzung), Egmont Graphic Novel 2014, 120 S., 24,99 €

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