Pauschal wie Alice Schwarzer

Die Buchmacher Helma Sick und Renate Schmidt arbeiten sich an Diskriminierung und der finanziellen Naivität vieler Frauen ab. Das ist wichtig, kommt aber mit einigen Schwächen daher
Ausgabe 09/2015
Hier ist alles möglich: Madame Tussauds
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Bild: Steffen Kugler/Getty Images

Was denken Feministinnen der ersten Stunde, wenn sie auf die junge Frauen von heute schauen? Nichts Gutes. Jahrzehntelang haben sie für Gleichberechtigung gekämpft und müssen nun feststellen: Alles für die Katz. Die Frau von heute will einen Mann mit dickem Portemonnaie, süße Kinder und Geborgenheit.

So ist jedenfalls der Eindruck von Helma Sick und Renate Schmidt, eben solchen Feministinnen der ersten Stunde. In ihrem gemeinsamen Buch „Ein Mann ist keine Altersvorsorge“ gehen sie der Frage auf den Grund, warum Anspruch und Wirklichkeit in Bezug auf die finanzielle Unabhängigkeit von Frauen noch immer so weit auseinanderklaffen. „Mich ärgert, dass ich mit wenigen Änderungen dasselbe schreiben könnte wie vor 20 Jahren“, meint die SPD-Politikerin Schmidt, einst Bundesministerin für Frauen und Familie. Schuld daran trägt gerade die Politik. Zwar zielt der politische Diskurs auf Selbstverantwortung ab, setzt aber Anreize genau in die andere Richtung: Ehegattensplitting, beitragsfreie Krankenmitversicherung, Betreuungsgeld.

Helma Sick, die sich als Finanzberaterin, Brigitte-Kolumnistin und Buchautorin zum Thema Frauen und Geld längst einen Namen gemacht hat, und Renate Schmidt rechnen alle familienpolitischen Maßnahmen durch und zeigen, dass Abhängigkeit in Deutschland – weit mehr als in anderen europäische Staaten – vom Staat belohnt wird. Warum die Frau am Ende immer den Kürzeren zieht, illustrieren kleine Geschichten: Anna liebt Tom, sie heiraten, bekommen Kinder. Anna gibt ihren Job auf und dann kommt, was kommen muss: Tom hat eine Jüngere, will sich scheiden lassen. Anna steht da, ohne Berufserfahrung, mit mickriger Rente. Blöd gelaufen. Wie viel Rente hätte sie heute wohl, wenn sie gearbeitet, ein eigenes Konto eingerichtet und Zusatzversicherungen abgeschlossen hätte?

Mit dieser Analyse politisch zu verantwortender und strukturell bedingter Diskriminierung leisten die Autorinnen zweifellos einen wichtigen Dienst. Und keine Frage, Frauen sollten über das Verliebtsein nicht die eigene Lebensplanung vernachlässigen. Doch in einem Buch mit feministischem Anspruch irritiert der Ton der Geschichten von Anna, Jule, Peter & Co. doch ziemlich: Frauen, seid nicht so dumm, auch wenn es euch schwerfällt! Am Ende seid ihr alt, alleine und arm, weil ihr Eheverträge unromantisch findet und an die Rente erst denkt, wenn es zu spät ist. Seid doch nicht so emotional! Damit verbleiben Schmidt und Sick bei klassischen Pauschalisierungen à la Alice Schwarzer: Frau weiß, was alle anderen Frauen denken und fühlen.

Natürlich müssen nicht alle, die sich heute feministisch nennen, Eierstöcke für eine soziale Konstruktion halten. Und Herrschaftsbeziehungen müssen benannt und kritisiert werden. Aber den Frauen eine pauschale Abhängigkeitsliebe anzudichten, das missachtet dann doch gehörig den Wandel feministischer Positionen hin zur Dekonstruktion von Rollenbildern.

Fragwürdig ist auch das Ziel dieses im Grunde wichtigen Buches: Ein Leben lang als perfektes Rädchen in der kapitalistischen Maschinerie 40 Stunden pro Woche zu arbeiten und fleißig zu „riestern“, das mag Gleichberechtigung gegenüber Männern bedeuten und vor Altersarmut schützen. Mit dem Ideal einer selbstbestimmten Lebensführung hat es aber nicht viel zu tun. Feminismus und Kapitalismuskritik gehen Hand in Hand, das war eine starke These der Frauenbewegung. Es würde nicht schaden, sich auf sie zu besinnen.

Buch

Ein Mann ist keine Altersvorsorge. Warum finanzielle Unabhängigkeit für Frauen so wichtig ist Helma Sick, Renate Schmidt Kösel, 208 S., 16,99 €. Erscheint am 30. März

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