Kommando Fatzer 2013

Wohin desertieren? In den 20er Jahren schrieb Brecht die Tragödie Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer. Alexander Karschnia zeigt, wie Ungehorsam in Zeiten von Neoliberalismus aussieht

In seinem Fragment Der Untergang des Egoisten Johann Fatzer spielt Bertolt Brecht die Tragödie revolutionärer Politik in nicht-revolutionären Zeiten durch. Brecht schrieb Ende der zwanziger Jahre an dem Stück, später wurde das Material von Heiner Müller für die Bühne neu bearbeitet; warum Fatzer heute noch interessant sein kann, zeigt Alexander Karschnia in seinem Aufsatz „BEHEMOT vs. LEVIATHAN“, der in dem Sammelband Kommando Fatzer erschienen ist (Neofelis Verlag 2013).

„Ich scheiße auf die Ordnung der Welt/ Ich bin verloren“, schmettert der „Egoist Johann Fatzer“, bevor er seine Kompanie davon überzeugt, den engen Panzer und damit den ersten Weltkrieg hinter sich zu lassen und gemeinsam in der Stadt Mühlheim unterzutauchen. Während die Deserteure auf den Ausbruch der Revolution warten, frisst sich die äußere Gewalt, der die Gruppe ausgesetzt ist, nach innen: In der Gruppe entsteht eine tödliche Mischung aus Terror und Lethargie, die in der Hinrichtung Fatzers gipfelt.

Und heute? – Wohin desertieren? Wo ist im Neoliberalismus die Mühlheimer Wohnung zum Untertauchen? Wo die Grenze zwischen äußerem Zwang zur Flexibilität und seinem verinnerlichten Spiegelbild, das sich – perfide genug – Selbstverwirklichung nennt? Kurz: Wie auf die Ordnung der Welt scheißen, wenn jene selbst die Scheiße noch verwertet? Das sind die Fragen, die der Aufsatz stellt und damit nebenbei zeigt, welche politische Sprengkraft Brechts Theater heute noch hat – wenn man es nicht in Zentral-Abi-Curricula verstauben lässt.

Karschnia gräbt tief in der Geschichte des (gescheiterten) „roten Jahrhunderts“ und unterfüttert das Ganze mit kritischer Theorie der Moderne und Postmoderne. Ermüdend? Nein. Denn statt sich in den eigenen Textschleifen zu verheddern, behält der Autor stets die Grundproblematik im Blick: Protest und Widerstand dienen dem gegenwärtigen Kapitalismus als wichtige Korrektive. Linker Politik sind die alten Frontstellungen abhanden gekommen. Nicht trotz alledem, sondern genau deswegen drängt eine Frage: Wie sieht Widerstand aus, der über die gegenwärtige Ordnung hinausweist? Im Alltag äußert sich jene Kernfrage eher im „Befehl zur Selbstverwirklichung (am Arbeitsplatz)“ (Karschnia) – eigene Wünsche haben ihren Platz im Büro und müssen nicht mehr nur nach Feierabend befriedigt werden. Für viele sind Arbeitsplatz und zu Hause inzwischen ein und derselbe Ort. Wer Stellenanzeigen liest, weiß: Wichtiger als Disziplin und Gehorsam sind Softskills wie Kreativität, Eigenverantwortung und Teamarbeit.

Ungehorsam im Dienste einer höheren Ordnung – das ist die Schnittmenge zwischen der militärischen Figur des Partisanen und dem Kreativarbeiter. Geregelter Bürgerkrieg, der normalisierte Ausnahmezustand: Könnten das nicht Metaphern für den Mini- und 1-Euro-Jobmarkt in Krisenzeiten sein? Solche Fragen regt die Lektüre an. Es sind tastende Fragen, es sind aber auch Fragen, die Karschnias Aufsatz so spannend machen.

Denn was genau ist eigentlich Fatzers Rolle? Er ist keiner Ordnung verpflichtet, sein Ungehorsam dient nur seinen eigenen Wünschen. Und obwohl er Egoist bleibt, verbündet er sich. Mehr „Freibeuter“ (Karschnia) als Partisan, könnte er dafür sorgen, dass endlich „eine neue Zeit anfängt“ (Fatzer) – vielleicht. Hoffentlich.

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