Bekannt wurde er für ein Fehlurteil. In Das Ende der Geschichte (1992) behauptete Francis Fukuyama, mit der Niederlage des Kommunismus würde liberale Demokratie nie wieder ernsthaft in Frage gestellt werden. Sie könne besser als jedes System unsere Bedürfnisse nach Gleichheit und Anerkennung befriedigen. So war der optimistische Zeitgeist der frühen 1990er. Der ist passé.
Die globale Welle der Demokratisierung ist einer autoritären Ebbe gewichen. Russland und China erteilen universalistischen Ansprüchen immer selbstbewusster eine Absage. Was schiefging, versucht Fukuyama jetzt in Identität. Wie der Verlust der Würde unsere Demokratie gefährdet, zu beantworten – einem Buch, das er ohne die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten
umps zum US-Präsidenten nicht geschrieben hätte, wie er gleich zu Beginn betont.Die heutige Krise der Demokratie, so Fukuyama, geht einher mit der Renaissance der Identität: An die Stelle des liberalen Versprechens von Würde und Entfaltungsmöglichkeiten für jeden tritt gekränkter Zorn von Identitätskollektiven, die sich spinnefeind sind. Ressentiments florieren.Widersprüche der liberalen Ordnung selbst brachten die Krise hervor. Die Globalisierung schuf zwar Wohlstand, machte aber große Teile der westlichen Mittel- und Arbeiterschichten zu Verlierern. Deren traditionelle Vertreter, sozialdemokratische Parteien, kümmerten sie sich lieber um Minderheitenrechte. Auch deshalb nahmen Globalisierungsverlierer ihre Deklassierung nicht primär als ökonomische wahr, sondern durch das Prisma des Kulturkampfes. Ihr Zorn speist sich nicht nur aus dem Kontostand, sondern aus dem Gefühl, nicht mehr respektiert zu werden.Trumps Wahl, so Fukuyama, folgte einer nostalgischen Sehnsucht nach der Zeit, als es genügte, ganz normaler, anständiger weißer Amerikaner zu sein, um sich seines gesellschaftlichen Status sicher zu sein.Dass von den Verwüstungen neoliberaler Globalisierung meist die Rechte profitiert, sei nichts Neues. Seit dem 19. Jahrhundert haben die Linken die Arbeiterklasse regelmäßig an den Sirenengesang des Nationalismus verloren. Um das zu erklären, so Fukuyama, braucht es eine bessere Theorie der menschlichen Seele, als sie ein Liberalismus bietet, der nur rationale Interessen kennt. Es gehe um den Thymos, den „Teil der Seele, der sich nach Anerkennung seiner Würde sehnt“.Sehnsucht nach AnerkennungPeter Sloterdijk hat von diesem aristotelischen Begriff aus in Zorn und Zeit (2006) eine Theorie des Ressentiments entwickelt. Sein Schüler, AfD-„Hausphilosoph“ Marc Jongen übernahm ihn, meinte damit aber kaum mehr als wutbürgerliche Wut. Fukuyamas Thymosbegriff ist ein anderer, er kreist um die „Sehnsucht nach der Anerkennung der eigenen Würde und des eigenen Status“. Anfang der 90er hatte er noch als überzeugter Hegelianer argumentiert, die liberale Demokratie habe die Zauberformel gefunden, um diese Sehnsucht zu befrieden. Die Kämpfe der Moderne, schreibt er nun, zielten primär darauf, den Kreis der Anerkennung immer weiter zu ziehen, zuerst für alle Männer, dann für Frauen, Schwarze und andere Minderheiten.Viele reagierten auf die Zumutungen der Moderne mit einer Flucht in eine Gruppenidentität, „welche die Individuen erneut in eine soziale Gruppe einbindet“. Das Streben nach Anerkennung habe schon immer zwei Pfade eröffnet: „Ein Weg führte zu universaler Anerkennung der Individualrechte und daher zu liberalen Gesellschaften, die ihren Bürgern ein immer größer werdendes Spektrum individueller Autonomie bieten wollten. Der andere Weg führte zur Bekräftigung der kollektiven Identität, deren Hauptmanifestationen Nationalismus und politisierte Religion waren.“Identitätspolitik sei zunächst der ersten Tradition gefolgt. Martin Luther King träumte davon, dass seine Kinder nicht mehr nach ihrer Haut beurteilt würden, sondern nach ihrem Charakter. Ab den 70ern jedoch, als zwar Rechtsgleichheit weitgehend erkämpft war, reale Ungleichheit aber fortbestand, hätten die Kämpfe für Minderheitenrechte immer mehr jenes zweite Muster der „kollektiven Identität“ übernommen. Mitte-links-Parteien hätten sich einem relativistischen Multikulturalismus verschrieben, der Einwanderer nicht integrieren wollte, sondern forderte, ihre Kultur zu respektieren. Auch deshalb sei die von der Globalisierung gebeutelte, vom Multikulturalismus eingeschüchterte weiße Mehrheit schließlich selbst in eine Identitätspolitik geflüchtet, die diejenige von links spiegelte: Wenn Schwarze oder Muslime fordern, dass ihre Kultur respektiert wird – warum nicht auch weiße Christen?Das Problem wird man nicht los, stellt Fukuyama resigniert fest, man könne höchstens versuchen, Identitätsspannungen zu senken. Dafür müssten linke Parteien wieder universelle soziale Reformen anstreben – auch um jene wieder auf den Boden der Demokratie zu ziehen, die noch dafür empfänglich sind. Vor allem aber bräuchte es ein neues Identitätsangebot, das nicht spaltet, sondern vereint. Wie Yasha Mounk, der einen „liberalen Nationalismus“ fordert (der Freitag 15/2018), hofft Fukuyama auf die integrierende Kraft einer patriotischen Erzählung. Besonders Europa müsse sich von der alten, ethnisch definierten Nationalidentität lösen, aber auch vom relativistischen Multikulturalismus. Der Vorschlag: eine „Nationale Bekenntnisidentität“ US-amerikanischer Art. Amerikaner zu sein, ist (theoretisch) eine Frage der Loyalität, nicht der Herkunft. Für Deutschland wäre das ein Fortschritt. Doch wäre liberaler Patriotismus ohne ethnischen Überschuss zu haben?Insgesamt scheint Fukuyama die Dialektik von „rechter“ und „linker“ Identitätspolitik zu übertreiben. Nicht der Identitätsfimmel der Progressiven hat die nativistische Gegenreaktion „provoziert“. Kaum ein US-Präsident hat so sehr versucht, die zivilreligiöse „Nationale Bekenntnisidentität“ zu mobilisieren, wie Barack Obama. Der Backlash kam trotzdem – und richtete sich primär gegen das, was Fukuyama als Antidot präsentiert: eine post-ethnische Nationalidentität, die Multikulturalismus als Faktum akzeptiert und jenseits liberaler Grundsätze immer weniger identitätsstiftende Fundamente kennt.Placeholder infobox-1
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