Steve Bannon erklärte dem Hollywood Reporter einmal seine Weltsicht. Das war 2016, als er noch als politisches Genie gehandelt wurde. Trumps Wahlsieg, so Bannon, basiere auf einer tiefen Spaltung in der US-amerikanischen Gesellschaft. Auf der einen Seite stünden die Eliten: die gebildeten, wohlhabenden Anhänger des Freihandels und der kulturellen Freizügigkeit. Sie lebten in den „metrosexuellen Blasen“, den urbanen Zentren an der West- und Ostküste, und hätten kulturell mehr mit Shanghai oder London gemein als mit der Mehrheit der einfachen Amerikaner im „fly-over country“. Der von diesen Eliten propagierte „Globalismus“ habe die „amerikanische Arbeiterklasse zerstört und eine Mittelschicht in Asien geschaffenR
Wer sind nur diese Kosmopoliten?
Essay Mobile Gewinner der Globalisierung hier, lokale Kommunitaristen dort: Die Debatte über die Krisen unserer Zeit läuft arg schräg
schaffen“. Dagegen wolle Bannon „Konservative und Populisten“ unter dem Banner eines „ökonomischen Nationalismus“ vereinigen.Bannon hat seinen Einfluss weitgehend verloren, doch seine Theorie lebt fort. Auf sie stößt man immer wieder, wenn es darum geht, die rechtspopulistischen Revolten der Gegenwart zu erklären. Der britische Journalist David Goodhart zum Beispiel beschrieb in seinem Buch The Road to Somewhere den Brexit als Aufstand der lokal verwurzelten „Somewheres“ gegen die Herrschaft der gebildeten, kosmopolitischen „Anywheres“. Eine in Deutschland einflussreiche Version dieses Arguments stammt von dem Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel. Ihm zufolge spaltet sich das politische Feld zurzeit entlang einer „neuen Konfliktlinie“ zwischen „Kosmopoliten“ und „Kommunitaristen“. Im Zentrum stehe die Frage, „wie stark die Grenzen des Nationalstaates geöffnet oder geschlossen“ werden sollen. Auf der einen Seite „sammeln sich die Kosmopoliten als Grenzöffner und Vertreter universaler Menschenrechte“. Sie seien „Globalisierungsgewinner, besser gebildet und ausgestattet mit mobilem Human-, Sozial- und Kulturkapital“. Auf der anderen Seite stehen „die Kommunitaristen“, die „ein hohes Interesse an nationalstaatlichen Grenzen“ haben. Sie seien „Globalisierungsverlierer mit vergleichsweise niedriger Bildung, geringem Einkommen und lokal-stationärem Human-, Sozial- wie Kulturkapital“.Freier Handel ist nicht freiDas ist der falsche Tenor unserer Zeit, das Grundnarrativ, das bis weit in die politische Mitte hinein die Debatte über die derzeitigen gesellschaftlichen Krisen bestimmt: auf der einen Seite die liberalen Eliten, die frei und ungebunden um die Welt jetten und mit ihrer Zwillingsobsession vom Freihandel und multikultureller Progressivität ihre Nation und das einfache Volk verraten haben; und auf der anderen Seite die einfachen Menschen, die im Gegensatz zu den „mobilen“ Eliten auf ihre „Heimat“ und auf eine geschützte nationale Wirtschaft angewiesen sind.Dieses Narrativ ist nicht nur falsch, es ist auch reaktionär. Es verschleiert die tatsächlichen Widersprüche und Machtverhältnisse unserer Gesellschaft, indem es sie durch eine irreführende kulturalisierte Linse zeigt. Dass sich dieses Wahrnehmungsmuster immer mehr durchsetzt, bedeutet einen Hegemoniegewinn der Rechten. Denn wenn die Irrationalität und Brutalität des globalen Kapitalismus erst einmal mit Kosmopolitismus, mit kultureller Differenz oder hybriden Identitäten assoziiert wird, scheint nur noch die nationale „Gemeinschaft“ Schutz bieten zu können.Dabei hat Freihandel erst einmal nichts mit kosmopolitischer Kultur zu tun, geschweige denn mit universellen Menschenrechten. Die Architekten des globalen Freihandelsregimes waren nationale Eliten, die schlicht versuchten, die Interessen ihrer nationalen Wirtschaft zu vertreten. Besonders in Deutschland ist das evident. Das Rückgrat der deutschen Wirtschaft ist die exportierende Industrie – zahlreiche kleine „Familienunternehmen“ ebenso wie gewaltige Großkonzerne, Siemens oder VW etwa. Diese Unternehmen sind auf einen offenen Weltmarkt angewiesen. Könnten sie nur in Europa (oder noch schlimmer: nur in Deutschland) verkaufen, wären viele von ihnen nicht mehr profitabel. Die Besitzer dieser Unternehmen und die dort arbeitenden Menschen mögen einen völlig provinziellen Habitus pflegen, sie mögen sogar etwas gegen Ausländer haben oder die „traditionelle Familie“ verteidigen, vielleicht unterstützen sie auch die CSU oder sogar die AfD – aber ökonomisch sind sie auf globalen Freihandel angewiesen.Zwischen Globalisierung und Nationalismus besteht kein Widerspruch, ganz im Gegenteil. Die globalisierte Wirtschaftsordnung ist gerade das Mittel, mit dem Deutschland seine nationale Macht mehrt und sich gegen andere Länder durchsetzt. Ein Widerspruch besteht vielmehr zwischen den Anforderungen des Kapitalismus (nämlich konstante Profite für die Kapitaleigner zu erwirtschaften) und dem, was sich die meisten Menschen unter einer gerechten Wirtschaft vorstellen (nämlich einen funktionierenden Sozialstaat und sichere, angenehme, gut bezahlte Jobs für alle).Um sich auf dem Weltmarkt gegen die Konkurrenz behaupten zu können, muss man stets versuchen, billiger und besser zu produzieren als der Rest. Diesem Zweck dient das „Outsourcing“. Seit 1989/1990 sind große Teile der Fertigungsketten der Industrie nach Osteuropa verlagert worden. Deutsche Konzerne konnten so ihre Lohnkosten senken und gleichzeitig die eigenen Beschäftigten unter Druck setzen (der Freitag 17/2018). Gemeinsam mit der Agenda 2010 garantierte dies die hohe Wettbewerbsfähigkeit und Profitabilität deutscher Unternehmen. So konnte sich die hiesige Industrie gegen europäische und globale Konkurrenten durchsetzen und enorme Exportüberschüsse erzielen.Diese schreckliche deutsche Erfolgsgeschichte basierte darauf, dass die deutsche Arbeiterklasse zum Wohle der nationalen Industrie Opfer brachte: in Form von „Lohnzurückhaltung“, aber auch durch die neoliberale Transformation des Sozialstaates seit den 90ern. Die Gesellschaft, die dabei entstand, hat zuletzt etwa der Soziologe Oliver Nachtwey in Die Abstiegsgesellschaft skizziert. Sie ist geprägt von Leiharbeit, prekärer Beschäftigung, wachsender Armut und sozialer Unsicherheit.All das wäre ohne die wirtschaftsliberalen Reformen der rot-grünen Schröder-Regierung kaum möglich gewesen. Die Agenda 2010 und der explizit neoliberale Turn der SPD rührten eben nicht daher, dass sie sich einem exzessiven „Globalismus“ verschrieben hätte. Vielmehr erwiesen sich die Sozialdemokraten als gute deutsche Patrioten: Sie opferten die sozialen Interessen eines Großteils ihrer Basis, um die deutsche Wirtschaft, um die Nation, das nationale Kapital wieder stark zu machen.Gerade deswegen ist es so befremdlich, wenn die „Kosmopoliten“ als Sündenbock dienen sollen, um die gegenwärtige Krise der Sozialdemokratie zu erklären. So kritisierte etwa der Grundsatzreferent der SPD-Landtagsfraktion in Rheinland-Pfalz, Nils Heisterhagen, in einem Interview mit dem ipg-journal, die SPD wirkte „zuletzt wie eine Partei, in der Google-Praktikanten die Sprachbilder entwerfen und welche Politik für ein kosmopolitisches Jet-Set-Bürgertum macht“.Die ewige Agenda 2010Man kann sich denken, warum genau solche Überlegungen immer wieder zu lesen sind. Wenn nämlich staatstragende Journalisten und SPD-Parteistrategen darüber nachdenken, warum sich die SPD (genauso wie fast alle Mitte-links Parteien der Welt) in einer tiefen Krise befindet, stoßen sie bald an eine klare Grenze, die sie nicht überschreiten wollen: Hartz IV. Die Agenda 2010 darf nie in Frage gestellt werden. Denn das hieße, sich als national unzuverlässig zu erweisen und die wirtschaftliche Macht Deutschlands zu gefährden.Übrig bleiben dann die Klagen über die angebliche Volksferne und kulturelle Arroganz der kosmopolitischen Mittelschicht. Für die bessergestellten Milieus, die in der SPD und den liberalen Medien den Ton angeben, ist der Vorwurf an sich selbst natürlich viel angenehmer, sich zu sehr um Minderheitenrechte gekümmert zu haben, anstatt einzugestehen, dass man ohne mit der Wimper zu zucken das brutale Hartz-IV System, Leiharbeit, wachsende Kinderarmut und dergleichen unterstützt hat, nur weil man Angst um den Standort Deutschland und den eigenen Wohlstand hatte. (Diese angeblichen „Kosmopoliten“ verteidigen auch mit Zähnen und Klauen ein dreigliedriges Schulsystem, das zum Effekt hat, migrantische Kinder von Akademikerkindern fernzuhalten. Die Weltoffenheit der gehobenen Mittelschicht hat Grenzen.)Wenn man sich ehrlich an die Zeit der Agenda 2010 zurückerinnert, wird man auch eingestehen müssen, dass das gesellschaftliche Klima damals sehr wenig mit „progressivem Neoliberalismus“ zu tun hatte. Die Agenda war nicht eingebettet in idealistisch-liberale Identitätspolitik oder Träume vom kosmopolitischen Weltbürgertum. Vielmehr dominierten die konservativ-nationalen Begriffsklassiker: Deutschland, Standort und Sozialschmarotzer – oder: „Parasiten“, wie es eine Broschüre des damals SPD-geführten Wirtschaftsministeriums unter Wolfgang Clement ausdrückte.Neoliberalismus und konservativer Nationalismus sind keine Gegner, sondern siamesische Zwillinge. „Kommunitaristische“ Sehnsüchte nach einer „kulturell regulierten“ Nation und traditionellen Lebensweisen sind oft ein Bündnis mit autoritär-wirtschaftsliberaler Politik eingegangen. Auch Donald Trump treibt nur auf die Spitze, was schon immer die Strategie der Rechten gewesen ist, nämlich eine elitäre Wirtschaftspolitik durch „kulturelle Volksnähe“ zu kaschieren. Wenn suggeriert wird, der „kosmopolitischen Elite“ sei das Wohl der arbeitenden Bevölkerung deshalb egal, weil sie sich „dem Volk“ kulturell nicht zugehörig fühle, unterstützt das diesen rechtspopulistischen Betrug.Anstatt vage kulturelle Ressentiments zu bestärken, sollte die Linke vielmehr die systemische Logik des Kapitalismus aufzeigen. Das Problem ist die Macht des Kapitals und die Machtlosigkeit der arbeitenden Bevölkerung. Ob diese Arbeiterinnen jetzt blaue Haare haben und am Wochenende auf Crystal Meth polysexuelle Techno-Orgien feiern oder sich im Biergarten Weißwurst und Blasmusik gönnen, ist dabei erst einmal völlig irrelevant.
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